Hamburg/Berlin (dpa/tmn) – Wann bin ich eigentlich berufsunfähig – und wann nur länger krank? Für viele Menschen, die Leistungen aus ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) beantragen wollen, ist diese Einschätzung bereits die erste große Hürde. Da ist der herausfordernde Papierkram aber noch in weiter Ferne. Die Frage lautet also: Wie gehe ich’s konkret an, wenn ich Leistungen von meinem BU-Versicherer einfordern möchte? Wir leiten Sie an.
Schritt 1: Einschätzung über mögliche Berufsunfähigkeit einholen
Wichtig ist zunächst zu klären, ob tatsächlich eine Berufsunfähigkeit vorliegt. Versicherte holen sich für die Einordnung am besten Hilfe vom Bund der Versicherten (BdV) oder einer Verbraucherzentrale. Laut Kerstin Hußmann-Funk von der Verbraucherzentrale Hamburg gibt es auch einige Versicherer, die Hilfestellung durch eigene Mitarbeiter anbieten. «Wir raten aber davon ab, diese Angebote anzunehmen.»
Eine erste Orientierung kann Betroffenen die Definition von Constantin Papaspyratos, Chefökonom beim Bund der Versicherten, bieten: «Berufsunfähig bin ich dann, wenn ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage bin, dauerhaft mindestens 50 Prozent von dem Arbeitsergebnis abzuliefern, das ich an gesunden Tagen geleistet habe.» Anders als viele glauben, geht es in der Einstufung nämlich nicht um die Arbeitszeit, die man imstande ist zu leisten, sondern um das Arbeitsergebnis. Denn: Jemand, der zwar acht Stunden pro Tag unter Schmerzen an seinem Arbeitsplatz sitzen könne, dürfte dennoch kaum dazu in der Lage sein, vernünftige Leistung zu bringen, so Papaspyratos.
Schritt 2: Antragsunterlagen beim Versicherer anfordern
Steht fest, dass ein Antrag auf Berufsunfähigkeit gestellt werden kann, ist der nächste Schritt recht unkompliziert: Teilen Sie Ihrem Versicherer mit, dass eine Berufsunfähigkeit gemeldet werden soll. «Anschließend schickt der Versicherer die auszufüllenden Unterlagen zu», erklärt Papaspyratos. Ab hier wird es komplizierter, weil der Versicherer die gesundheitlichen Gründe sowie Ursachen für die Berufsunfähigkeit belegt haben möchte.
Schritt 3: Versicherungsberater oder Rechtsanwalt einschalten
Spätestens wenn Ihnen die auszufüllenden Unterlagen des Versicherers vorliegen, sollten Sie einen spezialisierten Versicherungsberater oder Rechtsanwalt einschalten. Immerhin können Laien beim Ausfüllen der Unterlagen einiges falsch machen – und so im schlimmsten Fall leer ausgehen. Weil es bei Berufsunfähigkeitsrenten um stattliche Summen geht – die Zeitschrift «Finanztest» (Ausgabe 6/2024) spricht von durchschnittlich 264.000 Euro – lohnt sich dieser Schritt allemal.
Denn zum einen müssten Versicherte sämtliche Abfragen des Versicherers vollständig und wahrheitsgemäß beantworten, sagt Moritz Schumann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Zum anderen müssten sie dabei gewisse Fristen einhalten. Nach den Erfahrungen des Verbands ist gerade letzteres immer wieder Grund für die Ablehnung von Anträgen.
Schritt 4: Antrag ausfüllen und einreichen
Gemeinsam mit dem Versicherungsberater oder Rechtsanwalt geht es nun an das Ausfüllen der Unterlagen, die der Versicher Ihnen zugeschickt hat. Zwar ist das ein höchst individuelles Unterfangen, einen Grundsatz kann man Hußmann-Funk zufolge aber beachten: Reichen Sie nur Informationen und Nachweise ein, nach denen gefragt wird und lassen Sie jene weg, die nicht eingefordert werden.
Erforderlich sind der Verbraucherschützerin zufolge regelmäßig die Arztberichte der behandelnden Ärzte, weil man dem Versicherer klarmachen muss, worin die Berufsunfähigkeit besteht. Die Schwierigkeit hierbei: Körperliche Krankheiten sind meist relativ leicht nachweisbar, bei psychischen Erkrankungen ist es oft deutlich schwieriger. «Übliches Vorgehen wäre hier, sich erst in psychotherapeutische Behandlung zu geben – das kann Wochen oder Monate dauern», sagt Papaspyratos. Dabei müsse der behandelnde Therapeut feststellen, dass keine Besserung in Aussicht ist.
Was der Versicherer laut Hußmann-Funk auch wissen möchte: Welche konkreten Arbeiten in Ihrer Tätigkeit anfallen – und warum Sie diese nun nicht mehr ausführen können. Ist der Antrag sorgfältig ausgefüllt, reichen Sie ihn innerhalb der vorgegebenen Frist ein. Reichen dem Versicherer Informationen und Unterlagen nicht aus, fordert er gegebenenfalls weitere an.
Schritt 5: Behandelnde Ärzte und Therapeuten von ihrer Schweigepflicht entbinden
Nun ist es am BU-Anbieter, den Antrag zu prüfen. Dazu wird er in der Regel die behandelnden Ärzte oder Therapeuten kontaktieren – ohne Ihre Zustimmung darf er das aber nicht. Daher wird er Sie um eine unterzeichnete «Schweigepflichtentbindungserklärung» bitten.
Hußmann-Funk zufolge gibt es dafür zwei Möglichkeiten: Entweder erteilen Sie dem Versicherer eine Genehmigung, dass alle notwendigen Ansprechpartner – also etwa Ärzte und Krankenkasse – Auskunft erteilen dürfen. Oder aber Sie teilen dem Versicherer mit, dass er für jede geplante Abfrage erneut eine solche Schweigepflichtentbindungserklärung einholen muss. «Wir raten dazu, die zweite Möglichkeit zu wählen, um einen Überblick zu behalten, bei wem der Versicherer welche Auskünfte einholt», sagt Hußmann-Funk.
Bei komplexeren Leistungsanträgen kann der Versicherer den Antragsteller zusätzlich von einem medizinischen Gutachter untersuchen lassen, sagt Moritz Schumann.
So kann sich der Antragsprozess über Monate hinziehen, denn der Versicherer überprüft die ganze Gesundheitshistorie – bis hin zu den Infos, die Sie bei Vertragsschluss angegeben haben. Sollten hier Falschinformationen auftauchen, kann der Versicherer den Versicherungsschutz sogar rückwirkend auflösen.
Schritt 6: Rentenzahlung abwarten
«Wenn der Antrag erfolgreich bewilligt ist, erhalten Versicherte die vereinbarte Rente – und das so lange, bis sie nicht mehr berufsunfähig sind oder der Vertrag abläuft», sagt Schumann. Für die Zeit zwischen Antragstellung und Leistungsentscheidung des Versicherers erhalten Betroffene die Rente in der Regel rückwirkend.
«Der Versicherer prüft aber in regelmäßigen Abständen, ob man wieder genesen ist oder man eine neue Tätigkeit ausübt», so Papaspyratos. Zwar könne er die Leistung nicht ohne Weiteres beenden. Er könne Leistungsbezieher aber regelmäßig dazu auffordern, einen Arzt für neue Untersuchungen aufzusuchen.