Das war keine schöne Woche. Zwar bremste ein Erholungsversuch an den US-Börsen den Kursrutsch am deutschen Aktienmarkt vor dem Wochenende, aber die Skepsis angesichts hoher Bewertungen im Technologiesektor ließ die Anleger auch am Freitag nicht los.
Die zwischenzeitliche Erleichterung nach starken Quartalszahlen von Nvidia habe sich als Strohfeuer entpuppt, schrieb Jürgen Molnar, Kapitalmarktstratege vom Broker Robomarkets. Nach einem Rutsch bis auf 22.943 Punkte und damit den tiefsten Stand seit Anfang Mai büßte der deutsche Leitindex letztlich noch 0,8 Prozent auf 23.092 Zähler ein. Den Wochenverlust weitete der Dax zwar auf 3,3 Prozent aus, doch in der Jahresbilanz bleibt ihm ein Plus von stattlichen 16 Prozent. Für den MDax der mittelgroßen Werte ging es am Freitag um 0,6 Prozent auf 28.264 Punkte bergab.
Marktbeobachter Stephen Innes von SPI Asset Management sieht eine ganze Reihe von Sorgen an den Aktienmärkten. Er nannte unter anderem das hohe Investitionstempo im Bereich der Künstlichen Intelligenz, dem die Monetarisierung klar hinterherhinke. Außerdem stolpere die US-Notenbank Fed halbblind in den Dezember, nachdem der Teilstillstand der Regierungsgeschäfte die Meldung und Konsolidierung zahlreicher Konjunkturdaten verzögert habe. So erhärtet sich die Annahme, dass die Fed auf eine weitere Zinssenkung noch in diesem Jahr verzichten könnte.
Der New Yorker Leitindex Dow Jones Industrial startete wie erwähnt dennoch einen weiteren Erholungsversuch und stieg zum europäischen Handelsschluss um fast ein Prozent. Für den technologielastigen Nasdaq 100 ging es zuletzt rund 0,4 Prozent aufwärts. Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 schloss gleichwohl knapp ein Prozent tiefer mit 5.515 Punkten. In London ging es dagegen leicht, in Zürich sogar deutlich nach oben.
Die Aktien von Nvidia blieben vor dem Wochenende unter Druck und in der Folge gaben auch die deutschen Chipwerte nach. Im Dax verloren Infineon 3,7 Prozent, in den hinteren Börsenreihen gehörten Branchenausrüster wie Aixtron und Suss Microtec mit einem Minus von 6,2 beziehungsweise 10,5 Prozent zu den größten Verlierern.
Schlusslicht im Dax waren die Aktien von Siemens Energy, die wegen des Strombedarfs von Rechenzentren auch als KI-Profiteur gelten. Nach ihrem Vortagsrekord rutschten sie um gut zehn Prozent ab. Die Geschäftsdynamik des Energietechnikkonzerns sei solide, zeige aber gewisse Anzeichen für einen zyklischen Höhepunkt, schrieb Barclays-Analyst Vladimir Sergievskiy. Der Aktienkurs preise bereits einen endlos guten Geschäftsverlauf ein.
Auch im Rüstungssektor wurden wieder Gewinne mitgenommen: Für Rheinmetall ging es um 7,2 Prozent bergab. Im MDax sanken Hensoldt um 6,6 Prozent und Renk fielen nach ihrem Kursrutsch wegen enttäuschender Mittelfristziele tags zuvor um weitere 8,4 Prozent. Ein US-Friedensplan im Ukraine-Krieg sieht heikle Zugeständnisse der Ukraine vor und lässt die europäischen Unterstützer bei den Gesprächen an der Seitenlinie.
Zu den wenigen Kursgewinnern gehörte die Deutsche Börse mit einem Plus von fünf Prozent. Die jüngste Volatilität am Aktienmarkt dürfte dem Börsenbetreiber zupasskommen. Auf Wochensicht erholten sich die Aktien um mehr als sechs Prozent und sprangen wieder über die 21-Tage-Linie, einem Indikator für den kurzfristigen Trend.
Für ein Ausrufezeichen sorgte CTS Eventim, dessen Anteile um 11,8 Prozent nach oben schnellten. Der Ticketvermarkter und Konzertveranstalter hatte mit einem überraschend soliden dritten Quartal die Sorgen vieler Anleger mit Blick auf die Jahresziele weggewischt. Auch die Berufung des neu gefundenen Finanzchefs beruhige, kommentierte JPMorgan-Analystin Lara Simpson.
Erholungsversuch an der Wall Street
Nach der Schwäche vom Vortag setzten die Börsen in den USA am Freitag wie schon ausgeführt zu einer Erholung an. Der Leitindex Dow Jones Industrial, der am Donnerstag nach Anfangsgewinnen wieder in die Verlustzone gedreht war, stieg um 1,1 Prozent und schloss mit 46.245 Punkten. Die Börsenwoche war mit einem Verlust des Dow von knapp zwei Prozent allerdings eine der schwächsten der zurückliegenden Monate.
Gefragt waren vor dem Wochenende vor allem Titel der “Old Economy” wie Coca-Cola, Nike, Home Depot und Merck & Co. Etliche große Tech-Aktien wie Oracle, Microsoft, Broadcom und AMD wurden dagegen gemieden.
Für den Nasdaq 100 ging es um knapp 0,8 Prozent auf 24.240 Punkte nach oben. Der von großen Tech-Aktien dominierte Index war am Vortag stärker unter Druck geraten als der Dow und der S&P 500. Letzterer erholte sich am Freitag um ein Prozent auf 6.603 Zähler.
Wegen Sorgen über die hohen Bewertungen im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI) hätten Herbststürme Aktien und Kryptowährungen kräftig durchgeschüttelt, konstatierte Investmentanalyst Hennig Oligmüller von der Landesbank Baden-Württemberg. Die guten Zahlen des weltgrößten Börsenunternehmens Nvidia hätten die Anleger am Vortag nur kurz beeindruckt. “Dass Hyperscaler wie Alphabet, Amazon, Meta oder Microsoft im KI-Wettrüsten an ihre finanziellen Grenzen stoßen und daher in immer größerem Stile Schulden aufnehmen, liegt ihnen schwer im Magen.” Nvidia-Aktien traten am Freitag nach anfänglichen Verlusten auf der Stelle.
Für Aufsehen sorgten Eli Lilly: Erstmals überwand ein Pharmaunternehmen mit dem Börsenwert die Marke von einer Billion US-Dollar. Der US-Pharmakonzern profitiert weiterhin von einem starken Lauf seiner Diabetesmittel und Gewichtssenker Mounjaro und Zepbound. Zum Handelsschluss stieg der Kurs um 1,6 Prozent auf knapp 1.060 US-Dollar. In der vergangenen Woche hatte er erstmals die Marke von 1.000 Dollar überwunden.
Aktien von Gap erholten sich von den jüngsten Verlusten, der Kurs der Modekette stieg um gut acht Prozent. Gap hatte am Donnerstag nachbörslich über eine überraschend starke Umsatzentwicklung berichtet. Zudem konkretisierte das Unternehmen die Jahresziele für den Umsatz und die operative Marge nach oben.
Langfristig ist Bargeld ein Verlustgeschäft
An solchen Tagen denken Investoren öfter über grundsätzliche Fragen des Anlegens nach. Das Forschungsinstitut der Deutschen Bank liefert dazu nun Grundlagen. In einer Studie haben die Banker Finanzdaten der vergangenen 200 Jahre aus mehr als 50 Ländern analysiert. Fazit: Investoren sollten ein Augenmerk auf Stabilität, Bewertung und Inflation legen; denn international betrachtet waren die besten Anlageorte – wenig überraschend – stets auch die stabilsten Volkswirtschaften.
Schweden erzielte mit 7,5 Prozent jährlicher Rendite die stärksten Aktienerträge, gefolgt von den USA und Australien mit 7,2 respektive 6,9 Prozent pro Jahr. Bei Anleihen liegt Dänemark mit 3,5 Prozent pro Jahr an der Spitze, Kanada (2,7 Prozent), Australien (2,2 Prozent) und Irland (2,2 Prozent) folgen.
Diese Stabilität zeigt sich teilweise auch in den Währungen. Der Schweizer Franken gehört zu den nur drei Währungen, die sich seit 1924 gegenüber dem US-Dollar aufgewertet haben. Heute ist der Franken rund sechsmal wertvoller, der Singapur-Dollar etwa 40 Prozent und der niederländische Gulden (in Euro umgerechnet) rund ein Drittel.
Länder mit geringer Stabilität oder hoher Verschuldung erzielten dagegen niedrigere Renditen. In Italien belastete die ausgeprägte politische Instabilität nach dem 2. Weltkrieg mit mehr als 60 Regierungswechseln die Renditen, in Japan das exorbitant hohe Schuldenniveau. Die realen Aktienrenditen in Italien und Japan liegen im Durchschnitt bei minus 1,1 Prozent pro Jahr seit über 100 Jahren. Frankreich – ebenfalls Opfer von dauerhaft hoher Schulden – verzeichnet in der gleichen Periode eine Jahresrendite von minus 0,5 Prozent.
Der US-Markt ist in diesem Zusammenhang ein interessanter Fall. Die Renditen waren in jüngster Zeit trotz des explodierenden Staatsdefizits außergewöhnlich hoch, bei gleichzeitig hohen Kurs/Gewinn-Verhältnissen sowie historisch tiefen Dividendenrenditen. Laut den Deutschbankern war die Bewertung des US-Marktes in den vergangenen 100 Jahren nur einmal höher – und zwar während des Aufbaus der Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende. Die realen Zehn-Jahres-Renditen nach dieser Phase fielen anschliessend negativ aus. Die Experten sehen Parallelen zu heute. Berechnungen zufolge dürfte die Durchschnittsrendite für US-Aktien für die nächsten zehn Jahre bei rund minus 2,5 Prozent liegen.
Beim langfristigen Vermögensaufbau nimmt im übrigen die Inflation eine zentrale Stellung ein. Um mittel- bis langfristig hohe Anlageergebnisse zu erzielen, sei es notwendig, kurzfristige Anlagerisiken einzugehen und die Dividenden sowie Coupons von Aktien und Anleihen zu reinvestieren, heben die Autoren der Studie hervor. Das Fazit wirkt etwas paradox, aber nachvollziehbar: “In einem inflationsgeprägten Umfeld wie dem heutigen kann es paradoxerweise auf lange Sicht deutlich riskanter sein, Bargeld zu halten.”
Die Auswertung der globalen, inflationsbereinigten Renditen (in US-Dollar) belegt das: Aktien erzielten im Schnitt 4,9 Prozent pro Jahr, ein 60/40-Portfolio bestehend aus Aktien und Staatsanleihen kam auf 4,2 Prozent, 100 Prozent Anleihen auf 2,6 Prozent, Geldmarktpapiere auf 1,9 Prozent und Gold auf 0,4 Prozent. Bargeld dagegen verlor real zwei Prozent pro Jahr an Wert. (baha/dpa-AFX)

