Früher lernten Studenten der Ökonomie eine Binse: Soll die Wirtschaft wachsen, braucht es mehr Arbeitskräfte. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) läutet vor diesem Hintergrund die Alarmglocken: Statt eines Mangels an Arbeitsplätzen wie früher erlebe die westliche Welt zunehmend einen Mangel an Arbeitskräften, konstatiert die OECD in ihrem jüngst veröffentlichten Beschäftigungsreport – und warnt vor den schwerwiegenden Folgen des demographischen Wandels.
Der wirtschaftliche Aufstieg in den letzten Jahrzehnten sei nur möglich gewesen, weil die Zahl der Beschäftigten Jahr für Jahr konstant gewachsen sei, heißt es weiter; diese Entwicklung verkehre sich nun in ihr Gegenteil. Die Geburtenraten erreichen in allen Ländern neue Tiefststände: In Deutschland seien es gerade noch 1,4 Kinder pro Frau. Hinzu komme die Welle an Pensionierungen bei den geburtenstarken Jahrgängen aus der Babyboomer-Generation. „Dies führt dazu, dass eine immer kleinere Zahl an Arbeitskräften das Einkommen für eine immer größere Zahl von Menschen erwirtschaften muss, die zwar konsumieren, aber nicht produzieren“, hält die OECD in ihrem Report fest. „Die meisten OECD-Länder werden mit einem beispiellosen Einbruch des Pro-Kopf-BIP-Wachstums konfrontiert sein“, schreiben die Autoren. Die OECD-Ökonomen prognostizieren, dass das von den 38 Mitgliedstaaten bislang erreichte durchschnittliche Pro-Kopf-Wachstum der Wirtschaft von ein Prozent pro Jahr dramatisch zurückgehen werde. Das jährliche Wachstum werde in den kommenden Jahrzehnten bis 2060 auf nur noch 0,6 Prozent zusammenschmelzen. Für Europa sagt die OECD einen noch stärkeren Wachstumseinbruch voraus. So könne Deutschland mit einem jährlichen Plus von nur gerade 0,1 bis 0,3 Prozent rechnen. Österreich und Italien drohe gar eine schrumpfende Wirtschaftsleistung pro Kopf; denn diese Länder seien von der Abnahme der Erwerbsbevölkerung überdurchschnittlich betroffen.
Diese Wachstumsprognose basiert auf der Annahme, dass die Arbeitsproduktivität der Beschäftigten im gleichen Tempo zunimmt wie bisher. Dank den Fortschritten der künstlichen Intelligenz könnte sich dies als zu pessimistisch erweisen, schreiben die OECD-Ökonomen. Umgekehrt sei aber auch denkbar, dass eine alternde Gesellschaft generell nur noch geringere Produktivitätszuwächse schafft. In der Tat war der Trend in den vergangenen Jahren eher rückläufig. Eine Option, um die Wirtschaftsleistung zu steigern, bestünde darin, dass die Beschäftigten mehr Arbeitsstunden leisteten – also entweder die Wochenarbeitszeit oder das Renteneintrittsalter erhöhten. Auch hier verläuft die Entwicklung allerdings genau umgekehrt: Laut OECD arbeiten die Erwerbstätigen heute im Schnitt sechs Prozent weniger lang als noch vor 20 Jahren.
Da Änderungen der Demographie erst sehr langfristig wirken, empfiehlt die OECD für eine kurzfristige Verbesserung, den bestehenden Pool an Arbeitskräften besser auszuschöpfen. Also einerseits eine verbesserte Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt zum andere eine deutlich veränderte Beschäftigungspolitik für Ältere – zumal diese von einer besseren Gesundheit profitierten und auch der Anteil der körperlich anstrengenden Jobs zurückgehe. Zu diesem Zweck sollten die berufliche Mobilität und das lebenslange Lernen gefördert werden. Ob das mit der aktuellen schwarz-roten Koalition umsetzbar ist, scheint allerdings fraglich. Dass die Politik handle, sei auch deshalb wichtig, weil es um die Frage der Gerechtigkeit zwischen den Generationen gehe. Die Älteren hätten bisher überdurchschnittlich vom höheren Wohlstand profitiert. Dagegen seien es primär die Jungen, welche künftig die zusätzlichen Lasten aufgrund einer stagnierenden Wirtschaft zu tragen hätten. Auch hier scheint die Einsichtsfähigkeit der Regierung eher begrenzt.
Börsen kurzfristig orientiert
Die Börsen scheinen solche Fragen nur mittelmäßig zu interessieren. Sie ist vielmehr auf die Entwicklung der Zinsen und Trumps Zoll-Politik fixiert. Und so drehte die Wall Street nach anfangs weiteren Kursgewinnen und Rekorden moderat ins Minus. Neue Quartalsberichte unter anderem vom Streamingriesen Netflix überzeugten die Anleger nicht, während Konjunkturdaten einmal mehr nur am Rande interessierten.
Der technologielastige Auswahlindex Nasdaq 100 rutschte nach seinem Startrekord schnell ab und schloss knapp 0,1 Prozent tiefer mit 23.065 Punkten. Für den marktbreiten S&P 500 ging es nur wenige Punkte auf 6.297 Punkte nach unten. Er hatte ebenfalls gleich zu Beginn eine neue Bestmarke aufgestellt. Der Leitindex Dow Jones Industrial verlor 0,3 Prozent auf 44.342 Punkte. Hier warten die Anleger schon seit Anfang Dezember auf einen Rekord. Auf Wochensicht verbucht der Nasdaq 100 einen Gewinn von 1,2 Prozent, wogegen der Dow einen minimalen Verlust ausweist.
Im Nasdaq 100 war Netflix am Freitag mit einem Kursrückgang um 5,1 Prozent auf 1.209 Dollar einer der größten Verlierer. Ende Juni hatten die Aktien mit gut 1.341 Dollar einen Rekord aufgestellt, und im bisherigen Jahresverlauf zählen sie immer noch zu den besseren Indexwerten. Die am Vorabend veröffentlichten Zahlen fielen zwar in so gut wie allen wichtigen Punkten etwas besser als von Analysten erwartet aus. Händlern zufolge hatten einige Investoren aber darauf gesetzt, dass Netflix die Erwartungen deutlicher übertreffe. Gerade der Gewinn je Aktie lag nur knapp über der Konsensschätzung.
Die Titel von American Express litten nach der jüngsten Stabilisierung mit minus 2,4 Prozent unter Gewinnmitnahmen, obwohl der Kreditkartenanbieter ein starkes Wachstum verzeichnete und weiter zulegen will. Allerdings ging der Nettogewinn zurück, der im Vorjahr vom Verkauf eines Unternehmensteils profitiert hatte. Beim Mischkonzern 3M mussten die Anteilseigner ungeachtet besser als erwarteter Zahlen und einer Prognoseanhebung einen Kursrückgang von 3,7 Prozent verkraften. Damit waren die Aktien Schlusslicht im Dow.
Für die Titel des Ölfeld-Dienstleisters Schlumberger ging es nach Vorlage des Quartalsberichts um 3,9 Prozent bergab. Dieser belegte einen deutlicheren Gewinnrückgang als von Analysten prognostiziert.
Derweil schafften es die Aktien von Charles Schwab auf ein Rekordhoch und gewannen letztlich 2,9 Prozent. Der Finanzdienstleister überraschte mit seiner Ergebnisentwicklung positiv.
Dass der Ölriese Chevron endgültig den Kampf gegen den Konkurrenten Exxon Mobil um die Übernahme des Energieunternehmens Hess gewonnen hat, bescherte diesem eine Kurserholung um 1 Prozent von den jüngsten Verlusten. Dagegen konnten Chevron ihre anfangs deutlichen Gewinne nicht halten und schlossen 0,9 Prozent tiefer, während es für Exxon Mobil um 3,5 Prozent bergab ging. Die Entscheidung eines Schiedsgerichts, den Abschluss der Transaktion zu genehmigen, beendete eine 20 Monate währende Auseinandersetzung.
Dax mit kleinem Wochenplus
Nach dem Kurssprung am Vortag hat zuvor in Frankfurt schon der Dax zum Wochenschluss etwas nachgegeben. Angesichts schwächelnder Kurse an der Wall Street fiel der deutsche Leitindex am Freitag um 0,3 Prozent auf 24.290 Punkte. Auf Wochensicht bedeutete dies aber immer noch ein Plus von gut 0,1 Prozent. Der MDax der mittelgroßen Werte stieg am Freitag um knapp 0,3 Prozent auf 31.098 Punkte
Risiken durch den Handelsstreit zwischen den USA und der EU spielen weiterhin nur eine unterordnete Rolle. Bestimmende Themen bleiben der Megatrend Künstliche Intelligenz sowie die Hoffnung auf eine Belebung der deutschen Wirtschaft. Daran änderten auch pessimistischerer Geschäftsausblicke des Stahlkochers Salzgitter sowie des Chemiekonzerns Wacker Chemie wenig, denen die aktuelle Konjunkturunsicherheit das Leben schwer macht.
Zu Wochenbeginn hatte der Handelsstreit zwischen den USA und der EU die Aktienmärkte noch deutlicher belastet, nachdem US-Präsident Donald Trump mit hohen Einfuhrzöllen gedroht hatte. Mittlerweile hat bei den Investoren aber ein gewisser Gewöhnungseffekt Einzug gehalten. Anleger setzen weiter auf eine Verhandlungslösung. Sollte allerdings keine Einigung gefunden werden, könnte es an der Börse turbulent werden.
Am Freitag richteten sich die Blicke am deutschen Markt vor allem auf die Aktien von Salzgitter. Der Stahlkonzern hatte nach einem schwachen zweiten Quartal die Prognosen für das Gesamtjahr gesenkt. Auch in der zweiten Jahreshälfte sei noch keine spürbare Markterholung zu erwarten, hieß es vom Unternehmen. Für den Aktienkurs ging es als klares Schlusslicht im Nebenwerteindex SDax um fast 21 Prozent nach unten, 2025 steht aber immer noch ein Kursplus von gut 31 Prozent auf dem Zettel.
Nach einer Abstufung durch das Investmenthaus Jefferies fielen die Aktien von SMA Solar noch weiter zurück. Die Papiere des Herstellers von Solar-Wechselrichtern rutschten um 6,5 Prozent auf 20,60 Euro ab. Jefferies-Experte Constantin Hesse sprach von einem düsteren Ausblick. In seiner Begründung findet sich fast alles, was Anleger ungern hören: Nachfrageschwäche, drohende Abschreibungen und wohl noch nicht ausreichende Sparmaßnahmen.
Die Papiere des Essenlieferdienstes Delivery Hero gingen auf Achterbahnfahrt: Zuerst hatten sie sich peu à peu vom jüngsten Kursrutsch erholt und waren in der Spitze um fast 16 Prozent nach oben geklettert, nachdem sich Analyst Jo Barnet-Lamb von der Bank UBS positiv zum Marktanteil der südkoreanischen Plattform der Tochter Woowa geäußert hatte. Dann jedoch rutschten die Aktien rasant ins Minus. Grund war ein Bericht über einen geplanten Anteilverkauf durch den Großinvestor Prosus. Der habe angeboten, seine Beteiligung zu veräußern, um den Weg für die behördlichen Genehmigungen für die Übernahme von Just Eat Takeaway zu ebnen, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Personen. Am Ende stand bei Delivery Hero ein Plus von 3,5 Prozent zu Buche.
Nordex-Papiere stiegen im Kielwasser des Konkurrenten Vestas um fünf Prozent und setzten sich so an die MDax-Spitze. Für die Vestas-Papiere ging es in Kopenhagen um 15 Prozent rauf, nachdem die Analysten der US-Bank JPMorgan sie empfohlen hatten. Hinzu kam ein Großauftrag für den Windkraftanlagenbauer. Für Vestas hellte sich damit das Chartbild deutlich auf. (baha/dpa-AFX)