Börsenwoche: EZB senkt erneut die Leitzinsen, Dax erreicht neuen Rekord, US-Börsen fest, Baywa-Turbulenzen, Netflix überzeugt

©peterschreiber.media /Adobe Stock
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Die Energiewende frisst ihre Kinder. In Bayern herrscht deshalb seit Wochen Alarmstimmung. Der für die Landwirte sehr wichtige Agrar- und Baustoffhändler Baywa kämpft gegen die Insolvenz. Dabei hatte das Unternehmen für 2020 einen Gewinn pro Aktie von 4,36 Euro ausgewiesen und 1,20 Euro Dividende gezahlt. 

Der 1923 als „Bayerische Warenvermittlung“ gegründete und heute als Baywa AG firmierende Konzern musste im Halbjahresabschluss  einen dreistelligen Millionenbetrag abschreiben. Schuld daran war in erster Linie die Energietochter Baywa r. e. Der genossenschaftlich geprägte, aber an der Börse kotierte Konzern mit 24 000 Mitarbeitern ist ein zentraler Dienstleister für die süddeutsche Landwirtschaft. Er vertreibt unter anderem Heizöl und Holzpellets, Betriebs- und Futtermittel und spielt eine bedeutende Rolle im Obst- und Gemüsehandel. Dem Management reichte der Status des Platzhirsches in der Region vor einigen Jahren aber nicht mehr. Seit Ende der 2000er plant und betreibt der Konzern über die Baywa r. e. auch Wind und Solarparks und vermarktet teilweise die erzeugte Energie. 

Zunächst wuchs die Energietochter sowohl durch Zukäufe als auch organisch schnell. Dabei profitierte das Unternehmen vom Boom bei Solar- und Windkraftanlagen. Entwickelte immer neue Solar- und Windparks. Ähnlich wie viele Immobilienentwicklern – Rene Benko lässt grüßen – wurde das Unternehmen offensichtlich von dem Kurswechsel der Europäischen Zentralbank (EZB) überrascht. Die steigenden Zinsen ließen die ursprünglichen Kalkulationen Makulatur werden. Inzwischen gibt es Projekte in Europa, Nordamerika, Asien und Australien. Bei einigen Anlagen kam es offensichtlich auch zu rechtlichen und technischen Problemen oder der Wind wehte nicht so stark wie prognostiziert. 

Im Juli gab das Unternehmen bekannt, aufgrund der angespannten Finanzlage bei der Beratungsfirma Roland Berger ein Sanierungsgutachten in Auftrag gegeben zu haben. Mitte August einigten sich Anteilseigner und Gläubigerbanken auf Überbrückungskredite und Liquiditätshilfen in der Höhe von 547 Millionen Euro. Ende September wurde der Überbrückungskredit um weitere 500 Millionen bis Jahresende erhöht. Seit Juli hat sich der Kurs auf gut zehn Euro halbiert, in jüngster Zeit aufgrund der Liquiditätsspritze aber auf dem niedrigen Niveau stabilisiert.

Dax mit neuem Rekord

Um die Börse zu beeinflussen, ist die Baywa natürlich zu klein, aber sie steht exemplarisch für die strukturellen Fehlentwicklungen der deutschen Wirtschaft. Der Dax beinhaltet allerdings überwiegend Unternehmen, die ihre Geschäfte überwiegend auf dem Weltmarkt machen. Und da läuft es zur Zeit rund. So verfehlte der Dax am Freitag seine erst am Vortag erreichte Bestmarke nur knapp. Mit einem Aufschlag von 0,4 Prozent auf 19.657 Punkte ging der deutsche Leitindex ins Ziel. Auf Wochensicht verbuchte er einen Zuwachs von 1,5 Prozent. Eine erneute Zinssenkung der EZB und die Aussicht auf weitere Verringerungen waren neben teils erfreulichen Quartalsberichten beiderseits des Atlantiks für die Anleger die Hauptargumente für Aktienkäufe.

Das Rekordhoch im Dax steht aktuell bei knapp 19.675 Zählern, damit ist auch die Schwelle der 20.000-Punkte-Marke nicht mehr weit. „Die Zinsen sinken, die Kurse steigen”, kommentierte Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank, die Entwicklung. Der MDax der mittelgroßen Börsenunternehmen kletterte am Freitag um 0,7 Prozent auf 27.336 Punkte.

Am Donnerstag hatte die EZB den Leitzins angesichts schwächelnder Konjunktur und rückläufiger Inflation erneut gesenkt. Marktbeobachter gehen davon aus, dass der Zinssenkungszyklus weitergeht, somit auf der nächsten Notenbank-Sitzung im Dezember die nächste Senkung kommt.

Am Freitag standen auch Konjunkturdaten aus China im Mittelpunkt. Dort hatte sich das Wirtschaftswachstum weiter abgekühlt, lag aber leicht über den Erwartungen von Analysten. ““er befürchtete Datenschock aus China ist ausgeblieben”, sagte Analyst Jochen Stanzl von CMC Markets. „Die Zahlen deuten sogar auf eine Stabilisierung der zweitgrößten Volkswirtschaft hin.” Infolge der anhaltenden Konjunkturschwäche hatte Chinas Regierung bereits Ende September ein Konjunkturpaket angestoßen. Mögliche Auswirkungen dieser Maßnahme sind in den am Freitag veröffentlichten Konjunkturdaten noch nicht enthalten.

Unter den Einzelwerten in Frankfurt profitierten von den Nachrichten aus China Autowerte. China ist für die Autoindustrie ein sehr wichtiger Markt. Volkswagen gewannen 1,4 Prozent, Porsche AG 1,1 Prozent und Mercedes-Benz 0,7 Prozent. Daimler Truck setzten sich mit einem Kursplus von 6,6 Prozent an die Dax-Spitze und trotzten damit schwachen Quartalszahlen von Volvo. Die Nachfrageprognose des schwedischen Konkurrenten fürs kommende Jahr liege allerdings über der Markterwartung, schrieb Jefferies-Analyst Michael Aspinall.

Die schwächelnde Stahltochter von Thyssenkrupp trennt sich von ihrem Elektrobandgeschäft in Indien. So soll die Gesellschaft Thyssenkrupp Electrical Steel India Private Ltd an ein indisch-japanisches Konsortium aus JSW Steel Limited und JFE Steel verkauft werden. Der Preis liegt bei rund 440 Millionen Euro. Die Nachricht trieb die im MDax notierten Thyssenkrupp-Papiere um 9,1 Prozent hoch.

Im Nebenwerteindex SDax rutschten die Anteile von Süss Microtec um 13,6 Prozent ab. Die Investmentbank Stifel hatte die Kaufempfehlung gestrichen. Wie andere Branchenwerte auch, stand Süss Microtec infolge eines überraschend tristen Geschäftsausblicks des Chipindustrie-Ausrüsters ASML in dieser Woche besonders unter Druck.

Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 stieg am Freitag um 0,8 Prozent auf 4.986 Punkte. Zürich meldete leichte Gewinne, London moderate Verluste. Für den US-Leitindex Dow Jones Industrial ging es zum europäischen Handelsschluss etwas nach unten, während die Technologiebörse Nasdaq auch dank erfreulicher Nachrichten vom Streaminganbieter Netflix Gewinne verbuchte.

Am Rentenmarkt fiel die Umlaufrendite von 2,19 Prozent am Vortag auf 2,17 Prozent. 

Wall Street fest

Später konnte der Dow Jones Industrial seine Anfangsverluste abschütteln und ein Rekordhoch erreichen. Zum Handelsende behauptete der US-Leitindex ein Plus von 0,1 Prozent auf 43.276 Punkte und verbuchte so einen Wochengewinn von ein Prozent. Der marktbreite S&P 500 stieg letztlich um 0,4 Prozent auf 5.865 Punkte. Er blieb damit nur wenig unter seiner am Vortag früh erreichten Bestmarke. Der technologiewertelastige Nasdaq 100 gewann auch dank erfreulicher Nachrichten von Netflix 0,7 Prozent auf 20.324 Zähler. Er legte auf Wochensicht um knapp 0,3 Prozent zu. Bis zum Rekordstand aus dem Sommer fehlt aber immer noch ein gutes Stück.

Der Streaminganbieter Netflix überzeugte mit seinen Quartalszahlen sowie dem Ausblick auf das laufende Quartal: Die Aktien eroberten mit einem Kursplus von 11,1 Prozent den Spitzenplatz im Nasdaq 100 und erreichten zudem ein Rekordhoch. Der jüngste Anstieg der Kundenzahlen übertraf ebenso wie das Umsatzwachstum die Markterwartungen. Im laufenden Quartal rechnet Netflix für die Erlöse mit einem ähnlich kräftigen Anstieg.

Bei Apple reichte es nach der jüngsten Bestmarke am Freitag immerhin für einen Kursanstieg um 1,2 Prozent und den zweiten Platz im Dow. Die neuen iPhones des Unternehmens scheinen in China wieder gefragter zu sein, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf Daten des Analysedienstes Counterpoint Research schreibt.

Dagegen büßten die Titel von Index-Schlusslicht American Express 3,2 Prozent ein. Der Kreditkartenkonzern profitiert zwar weiter von der Kauflaune seiner Kunden und blickt nun optimistischer auf die Geschäftsentwicklung im laufenden Jahr. Allerdings haben die Papiere auch einen Rekordlauf hinter sich. Einige Anleger machten daher offenbar erst einmal Kasse.

Der Konsumgüterkonzern Procter & Gamble bekräftigte nach dem ersten Geschäftsquartal seine Jahresziele. Gleichwohl enttäuschte das Unternehmen in den drei Monaten bis Ende September abermals mit der Umsatzentwicklung. Die Aktien sanken um 0,6 Prozent.

Die Anteilscheine der Drogerie- und Apothekenkette CVS Health büßten 5,2 Prozent ein, nachdem vorläufige Quartalszahlen die Markterwartungen verfehlt hatten. Zudem gibt es bei dem Konzern einen Führungswechsel.

Der Euro stabilisierte sich nach der jüngsten Talfahrt etwas und kostete zuletzt 1,0866 US-Dollar. Am US-Rentenmarkt sank die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen auf 4,08 Prozent. (wr/baha/dpa-AFX)

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