Die Rahmenbedingungen sind derzeit für die Europäische Zentralbank (EZB) ganz besonders schwer: Kommt es zum Handelskrieg zwischen den USA und der EU; wie stark werden die Rüstungsausgaben tatsächlich steigen und wie werden sie finanziert? Wie soll man als Notenbank mit dem Bruch der Maastricht-Schuldenregeln durch die voraussichtliche neue, schwarz-rote Koalition im gewichtigsten Euromitgliedland umgehen?
Am vergangenen Donnerstag ließ sich die EZB erst einmal nicht von ihrem bisherigen Kurs abbringen. Sie senkte die Leitzinsen gemessen am Einlagensatz um 0,25 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent. Damit hat sie die Zinsen seit Juni in sechs Schritten um insgesamt 1,5 Prozentpunkte reduziert.
„Der Disinflationsprozess schreitet gut voran“, teilte die EZB in ihrer Pressemitteilung mit. Sie erwarte nach der neusten Schätzung nun eine Gesamtinflation in der Euro-Zone von durchschnittlich 2,3 Prozent für dieses Jahr, 1,9 Prozent für 2026 und 2,0 Prozent für 2027. Der Wert für 2025 wurde leicht erhöht. Der Grund dafür sei eine stärkere Dynamik bei den Energiepreisen.
Im Februar lag die Inflationsrate nach einer ersten Schätzung der EU-Statistikbehörde Eurostat bei 2,4 Prozent gegenüber 2,5 Prozent im Januar. Überdurchschnittlich hoch ist der Preisauftrieb weiterhin bei den Dienstleistungen sowie bei Lebensmitteln, Alkohol und Tabak. Die Energiepreise und die Industriegüter haben dagegen im Februar nur geringfügig zum Preisanstieg beigetragen.
Clemens Fuest, der Präsident des Ifo-Instituts, sieht nun keinen weiteren Spielraum mehr für Zinssenkungen. Der Leitzins liege jetzt relativ knapp über der Inflationsrate. Steigende Löhne und eine wachsende staatliche Neuverschuldung könnten dazu führen, dass die Inflation nicht weiter sinke, sondern eher wieder steige. Deshalb sind aus seiner Sicht die Spielräume für weitere Zinssenkungen gering.
Bilanziell sieht es bei Europas Notenbanken derzeit düster aus. Sie spüren in den Büchern die Folgen der extrem expansiven Geldpolitik der Draghi-Zeit („whatever it takes“) als sie die Staatshaushalte mit Wertpapierkäufen in Billionenhöhe stützten und damit die Geldmenge aufblähten. Am vergangenen Dienstag wies zum Beispiel die Deutsche Bundesbank einen Bilanzverlust von 19,2 Milliarden Euro für 2024 aus. Für die Bundesbank ist es der erste Verlust seit 1979 und zugleich der größte in der Geschichte.
Die Ursache für die roten Zahlen sind die erwähnten Wertpapierkäufe. Die Bundesbank hatte im Rahmen der Geldpolitik der EZB überwiegend Staatsanleihen erworben, die allerdings sehr niedrig verzinst werden. Zugleich sind die Notenbanken verpflichtet, kurzfristige Einlagen der Geschäftsbanken zum jeweils aktuellen Niveau zu verzinsen. Das war in der Null- und der Negativzinsphase kein Problem. Doch der Einlagensatz stieg von Mitte 2022 bis Mitte 2023 von –0,5 auf vier Prozent. Derzeit verzinsen sich die Einlagen nach fünf Leitzinssenkungen seit vergangenem Juni zwar nur noch mit 2,75 Prozent, gleichwohl sind die Kosten der Notenbanken für die Verzinsung der Einlagen immer noch erheblich höher als die Zinseinnahmen aus den Staatsanleihen. Der Internationale Währungsfonds rechnet damit, dass erst im Jahr 2032 wieder ein Gewinn für den Bund übrigbleiben wird.
Sorgen muss man sich nicht machen. Die Bundesbank hat ihre Goldbestände zu einem im Vergleich mit dem gegenwärtigen Börsenpreis sehr geringen Wert in den Büchern stehen. Daraus resultierte Ende 2024 eine Bewertungsreserve von insgesamt 267 Milliarden Euro.
Die Gewinnmitnahmen nach der jüngsten Rekordjagd, die den Dax am Freitag zeitweise unter die Marke von 23.000 Punkten drückten, standen zumindest nicht mit den Bundesbankzahlen in Zusammenhang. Letztlich verlor der deutsche Leitindex 1,75 Prozent auf 23.008,94 Punkte. Auf Wochensicht jedoch verbuchte der Dax ein klares Plus von zwei Prozent, nachdem er am Montag erstmals über 23.000 Punkte geklettert war. Die vergangenen Tage hatten die von der voraussichtlich künftigen Regierungskoalition geplanten Milliardenkredite für Verteidigung und Infrastruktur das Börsenbarometer beflügelt. Noch stärker profitierte der MDax von diesen Impulsen: Er verbuchte einen Wochengewinn von 4,5 Prozent. Am Freitag schloss der Index der mittelgroßen Unternehmen 2,4 Prozent tiefer bei 29.560 Zählern.
Kursverluste dominieren vor dem Wochenende in Frankfurt
Am deutschen Aktienmarkt dominierten vor dem Wochenende also Kursverluste. Bayer brachen um 6,5 Prozent ein. Der hoch verschuldete Chemie- und Pharmakonzern will sich auf der Hauptversammlung das Recht auf eine umfangreiche Kapitalerhöhung einräumen lassen. Anleger befürchten eine massive Verwässerung ihrer Anteile.
Infrastrukturtitel wie Siemens Energy, Hochtief und Bilfinger, die zuletzt deutlich von den geplanten deutschen Milliardenkrediten profitiert hatten, gerieten mit Abschlägen von bis zu gut sieben Prozent unter Druck. Die jüngst ebenfalls gefragten Rüstungsaktien Rheinmetall und Renk sackten um sieben beziehungsweise 6,6 Prozent ab. Hensoldt büßten am MDax-Ende sogar mehr als 13 Prozent ein. Hier belastete auch eine Abstufung des Analysehauses Kepler Cheuvreux. Die gigantischen Aufrüstungspläne in Europa lieferten zweifellos gute Gründe, um auf einen Umsatzschub für den Spezialisten für Rüstungselektronik zu setzen, schrieb Experte Aymeric Poulain. Das Tempo, in dem die Aktien die Zukunft vorwegnähmen, sei aber gefährlich hoch. Die Aktien seien inzwischen “zu heiß, um sie zu halten”.
Auch Autotitel litten unter Gewinnmitnahmen, die allerdings unterschiedlich hoch ausfielen. Am Vortag hatte die Branchenstimmung noch davon profitiert, dass Trump im Zollstreit mit Mexiko und Kanada einen einmonatigen Aufschub zumindest für US-Autohersteller gewährte. Zuletzt erweiterte der US-Präsident diese Ausnahme auf alle Auto-Einfuhren aus den beiden Nachbarländern, die unter das nordamerikanische Freihandelsabkommen USMCA fallen. Das gilt auch für Zulieferer.
BMW zählte mit minus 3,9 Prozent zu den größten Dax-Verlierern. Der Konzern muss bereits höhere Zölle auf seine in Mexiko produzierten Fahrzeuge für den US-Markt zahlen, da diese nicht unter eine bestimmte Regelung fallen und deshalb mit Einfuhrzöllen von 25 Prozent belegt werden. Dagegen gilt Konkurrent Volkswagen (VW) als Nutznießer des Aufschubs der Zollerhöhungen gegen Mexiko. Wie die US-Tochter der Wolfsburger mitteilte, fallen die in Nordamerika hergestellten Autos der Kernmarke VW Pkw beim Import in die USA unter die Regelungen des USMCA, was sie von Zöllen bis zunächst Anfang April ausnimmt. Dementsprechend verloren die VW-Titel lediglich 1,4 Prozent.
An der Wall Street Erholung nach schwachen Tagen
Anders verlief die vergangene Woche an der Wall Street. Dort konnten die wichtigsten Indizes nach schwachen Tagen am Freitag wieder etwas zulegen. Im Fokus standen die monatlichen Arbeitsmarktdaten, die nach Auffassung der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) zwar solide ausgefallen waren, für wesentliche Impulse jedoch nicht sorgen konnten. “Per Saldo dürfte die US-Notenbank weiterhin keine Eile verspüren, die Zinsen zu senken”, sagte Helaba-Experte Ralf Umlauf.
Der Leitindex Dow Jones Industrial stieg um 0,5 Prozent auf 42.802 Punkte. Auf Wochensicht ergibt dies einen Verlust von 2,4 Prozent. Für den marktbreiten S&P 500 ging es am Freitag um gut 0,5 Prozent auf 5.770 Zähler nach oben. Der von Tech-Werten beherrschte Nasdaq 100 gewann gut 0,7 Prozent auf 20.201 Punkte.
Am Vortag war der Nasdaq 100 erstmals seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten wieder kurz unter der Marke von 20.000 Punkten gefallen. Marktbeobachter sehen den Index nun charttechnisch angeschlagen, da er sich jetzt unter der viel beachteten 200-Tage-Durchschnittslinie bewegt.
Aus fundamentaler Sicht herrscht Beobachtern zufolge weiter eine “zollpolitische Konfusion”, die die Unsicherheit an den Märkten verstärke und das Vertrauen in die Konjunkturaussichten trübe. So hat Trump zwar die Abgaben für Waren aus den Nachbarländern Mexiko und Kanada vorerst wieder ausgesetzt, sofern diese unter das Freihandelsabkommen USMCA fallen. Allerdings drohte der Republikaner Kanada mit weiteren Zöllen – besonders im Bereich der Landwirtschaft.
Geopolitische Unsicherheit und die wechselnden Zollsignale aus den USA hatten in den vergangenen Tagen die US-Börsen auf Talfahrt geschickt und den Zustrom der Aktienanleger nach Europa verstärkt. “Wenn nicht bald etwas Ruhe in der amerikanischen Politik einkehrt, dürfte es in den kommenden Wochen noch sehr viel ungemütlicher an den Finanzmärkten werden”, befürchtete Jürgen Molnar vom Handelshaus Robomarkets.
Kopfschmerzen bereitet die Zollthematik dem IT-Unternehmen HP Enterprise, dessen Aktien wegen eines schwachen Gewinnausblicks um zwölf Prozent einbrachen und damit an das Ende des S&P 500 sackten. Neben den Zöllen hatte der Konzern auf schwache Margen bei Serververkäufen und Probleme bei der Auftragsabwicklung verwiesen.
Bei Broadcom stand ein Plus von 8,6 Prozent zu Buche, weil Umsatz und Margen die Erwartungen übertroffen hatten. Dies bedeutete den ersten Platz im S&P 500. Eine optimistische Prognose des Chipkonzerns für das zweite Jahresviertel stärke die Perspektive, dass sich die Ausgaben für Künstliche Intelligenz weiterhin gesund entwickeln, hieß es.
Für die Anteilsscheine von Walgreens Boots Alliance ging es um 7,5 Prozent nach oben. Der Finanzinvestor Sycamore Partners will die kriselnde Apothekenkette kaufen und dann von der Börse nehmen. Die Aktien von Gap zogen gar um fast 19 Prozent an. Der Bekleidungseinzelhändler hatte ein starkes viertes Geschäftsquartal verzeichnet und damit die Erwartungen übertroffen.
Bei den Anlegern von Tesla ist die Euphorie über die enge Bande zwischen Unternehmenschef Elon Musk und dem neuen US-Präsidenten Donald Trump endgültig verflogen. Die Aktien des Elektroautobauers hatten zwischenzeitlich fast fünf Prozent verloren. Damit waren alle Gewinne seit der Wahl von Trump Anfang November letzten Jahres aufgezehrt. (baha/dpa-AFX)