Wer ständig vor dem Wolf warnt, wird eines Tages recht bekommen: Dann steht er vor der Tür. Zu diesen Dauerpessimisten gehört Ray Dalio eigentlich nicht, aber nun hat sich der 76jährige Gründer von Bridgewater Associates, des grössten Hedge-Funds der Welt, in einem Interview mit der «Financial Times» zu Wort gemeldet: Die Politiker im Weissen Haus, aber auch in Europa häuften immer mehr Schulden an. Derzeit stehe die Welt vor einem Wendepunkt, wie in den 1930er und 1970er Jahren.
Der nächste Absturz im Schuldenzyklus drohe, sagte Dalio und begründete, dass die Kredite auf unproduktive Art eingesetzt würden. Damit erzielten sie auf Dauer keine Rendite, die ausreiche, um die Schulden zurückzuzahlen. Auf Dauer übersteige das Angebot neuer staatlicher Schuldtitel die Nachfrage; der Preis für Staatsanleihen sinke, weil sie niemand mehr halten wolle – im Umkehrschluss: Die Zinsen steigen und steigen. Dalio achtet deshalb auf etwas, das er „Verstopfungsgrad“ nennt – das Verhältnis der Staatseinnahmen zu den Kosten des Schuldendienstes. Die USA nähmen derzeit rund fünf Billionen Dollar pro Jahr ein und gäben eine Billion davon direkt wieder für die Bedienung der Zinsen auf die Staatsverschuldung aus. Auch Länder wie Grossbritannien, Frankreich oder Japan stünden vor vergleichbaren, wenn nicht sogar noch größeren Problemen. Den USA gibt er noch drei Jahre bis zum Beginn einer ausgewachsenen Staatsschuldenkrise.
Gegen Dalios Sichtweise wenden die Optimisten ein, dass die USA über eine sehr innovative und produktive Wirtschaft verfügten. Insbesondere die Fortschritte in der KI-Entwicklung würden für weitere Produktivitätsschübe sorgen. Davon profitiere mittelbar auch der Staat, der höhere Steuererträge erwarten könne. Donald Trumps Regierung argumentiert zudem, dass die kürzlich beschlossenen Steuersenkungen produktive Investitionen förderten und für zusätzliches Wachstum sorgten. Verbreitet ist auch die Sichtweise, dass die USA das sauberste unter den schmutzigen Hemden seien, sprich: Andere hochverschuldete Industriestaaten wie Japan, Grossbritannien oder Frankreich seien im Zyklus schon weiter fortgeschritten und stünden näher am Abgrund.
Renditen von Staatsanleihen steigen weltweit an
Tatsächlich sind die langfristigen Renditen für Staatsanleihen in letzter Zeit nicht bloss in den USA, sondern in anderen Staaten sogar noch stärker angestiegen. Frankreich scheint dabei als das neue Italien der 2010er Jahre – nicht nur mit ausufernder Verschuldung, sondern auch unregierbar. Deshalb wird an den Finanzmärkten wieder über die Gefahr einer neuen Schuldenkrise in der Euro-Zone diskutiert. Die französischen Staatsschulden dürften in diesem Jahr auf 116 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) und das Haushaltsdefizit auf knapp sechs Prozent des BIP steigen, eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. Im Euro-Raum sind nur Italien mit 135 Prozent und Griechenland mit 154 Prozent höher verschuldet. Doch diese Länder haben unter der Führung von Giorgia Meloni und Kyriakos Mitsotakis in den vergangenen Jahren den Schuldenstand gehalten oder sogar deutlich reduziert. Und sie weisen zudem stabile Regierungsverhältnisse auf.
Bei dem Versuch, die Schulden in den Griff zu bekommen, ist dagegen am vergangenen Montag in Frankreich bereits die zweite Regierung innerhalb weniger Monate gescheitert. Premierminister François Bayrou überstand die Vertrauensfrage im Parlament nicht; linke und rechte Parteien weigerten sich, seinen Kurs zur Reduktion der Staatsschulden zu unterstützen. Infolge der Regierungskrise stiegen die Renditen für französische Staatsanleihen deutlich. Das Geschehen in Frankreich überschattete am Donnerstag auch die Zinssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB).
In ihrem Werkzeugkasten hat die EZB unterschiedliche Instrumente, um Mitgliedstaaten der Euro-Zone notfalls von den Finanzmärkten abzuschirmen. Das wäre nötig, wenn die Zinsen für die Schuldenlast so gross würden, dass ein Land in Finanzierungsschwierigkeiten geriete. Das neueste und bisher noch nicht eingesetzte Instrument ist das sogenannte TPI, das Transmission Protection Instrument. Die EZB betonte am Donnerstag, dass das TPI zur Verfügung stehe, “um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euro-Raum” darstellten. Die Notenbank argumentiert also, beim TPI gehe es darum, die Transmission der Geldpolitik für die gesamte Euro-Zone sicherzustellen – und nicht etwa darum, die Mitgliedstaaten vor dem unangenehmen Druck der Finanzmärkte zu schützen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde äußerte sich zu den Vorgängen in ihrem Heimatland allerdings nicht, beruhigte jedoch, die Staatsanleihemärkte in der Eurozone funktionierten derzeit “ordnungsgemäss und reibungslos“. Ansonsten ließ die EZB ihre drei Leitzinssätze unverändert. Der derzeit massgebende Einlagensatz notiert damit weiterhin bei zwei Prozent. Die EZB hatte im Juni 2024 die Zinswende für den Euro-Raum eingeleitet und die Leitzinsen in acht Schritten um insgesamt zwei Prozentpunkte gesenkt.
Situation in Frankreich alarmierend
Tatsächlich ist die Situation in Frankreich alarmierend. In der vergangenen Woche hatten vor allem die Renditen für 30jährige französische Staatsanleihen den höchsten Stand seit 2011 erreicht. Das Gleiche galt auch für die Anleihen des einstigen Stabilitätsankers Deutschland, wo Schwarz-Rot die Schuldenbremse deutlich gelockert hat. Allerdings notieren die Renditen deutscher Staatsanleihen noch 0,8 Prozentpunkte unter den französischen. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron setzte umgehend nach dem Scheitern der Regierung Bayrou mit dem vorherigen Verteidigungsminister Sebastian Lecornu einen neuen Premierminister ein. Er soll sich nun mit der Opposition auf Sparmassnahmen verständigen und eine neue Regierung bilden. Dies hat an den Finanzmärkten vorerst zu einer gewissen Beruhigung geführt. Mit 3,45 Prozent notieren die Renditen für zehnjährige französische Staatsanleihen allerdings immer noch auf dem Niveau von Italien und sogar höher als die Renditen von Griechenland, Spanien, Portugal und Irland. Diese Länder standen während der Staatsschuldenkrise 2011 im Zentrum. Beunruhigen muss auch die Lage in Großbritannien. Dort stiegen die Renditen für 30jährige sogar auf den höchsten Wert seit 1998. Ob es zu einer neuen Schuldenkrise, ausgehend von Frankreich, kommt, hängt vor allem davon ab, ob sich in Paris eine Mehrheit der Parlamentarier auf eine signifikante Reduktion der Schulden einigen kann.
Deutschland verliert Rolle als Stabilitätsanker
Mit der erwähnten Lockerung der Schuldenbremse hat sich die neue Bundesregierung nun allerdings auch auf den Pfad der Untugend begeben. Bis zum Ende der Legislaturperiode könnte der Schuldenstand um knapp 20 Prozentpunkte auf 80 Prozent des BIP steigen. Es bedarf dann nur noch einer weiteren Krise, um die Quote in den dreistelligen Bereich zu katapultieren. Deutschland könnte dann das Privileg niedriger Finanzierungskosten verlieren. Schon jetzt fordern Anleger von der Bundesregierung einen Zinssatz von 2,65 Prozent für Anleihen mit zehn Jahren Laufzeit. Das sind rund 0,6 Prozentpunkte mehr als Ende vergangenen Jahres. Das schlägt mittlerweile fühlbar auf den Bundeshaushalt durch. Nächstes Jahr wird die Bundesregierung 34 Milliarden Euro für Zinsen ausgeben, die Zinsausgaben werden dann der drittgrößte Posten im Bundeshaushalt sein. Bis 2029 werden sie sich auf 72 Milliarden Euro verdoppeln und mehr als zwölf Prozent des Haushalts verschlingen.
Dalos Warnungen zum Trotz ließen die Anleger am US-Aktienmarkt die Woche ruhig ausklingen. Zwar schwangen sich das marktbreite Börsenbarometer S&P 500 sowie die Technologie-Indizes Nasdaq 100
und Nasdaq Composite am Freitag mit Mühe noch einmal zu weiteren Rekorden auf, doch insgesamt hielten sich die Bewegungen in Grenzen.
Wall Street weiter auf Rekordkurs
Der Leitindex Dow Jones Industrial verharrte den Tag über in der Verlustzone und verpasste so einen erneuten Höchststand. Am Ende stand ein Minus von 0,6 Prozent auf 45.834 Punkte zu Buche. Auf Wochensicht ergibt dies ein Plus von knapp einem Prozent. Der S&P 500 gab am Freitag geringfügig auf 6.584 Punkte nach. Der Nasdaq 100 stieg um 0,4 Prozent auf 24.092 Punkte und der Nasdaq Composite gewann gut 0,4 Prozent auf 22.141 Punkte.
Am Donnerstag hatten erneut schwache Daten vom heimischen Arbeitsmarkt und erwartungsgemäße Inflationszahlen die Erwartung einer moderaten Senkung der Leitzinsen in der kommenden Woche zementiert. Selbst einen großen Zinsschritt von 0,5 Prozentpunkten halten einige Beobachter nun für möglich, um die Wirtschaft anzukurbeln. Zum Wochenschluss kamen weitere enttäuschende Konjunkturdaten hinzu. Die Stimmung der Verbraucher hat sich im September stärker als erwartet eingetrübt.
“Die Verbraucher stellen weiterhin zahlreiche Schwachstellen in der Wirtschaft fest, wobei die Risiken für die Geschäftslage, den Arbeitsmarkt und die Inflation zunähmen”, kommentierte Joanne Hsu, Leiterin der entsprechenden Umfrage der Universität Michigan. “Ebenso sehen die Verbraucher Risiken für ihren Geldbeutel.” Die persönliche Finanzlage habe sich aus Sicht der Verbraucher verschlechtert.
Unter den Einzelwerten stiegen Microsoft an der Dow-Spitze um 1,8 Prozent. Der Softwareriese war mit Zugeständnissen an die Europäische Union (EU) einer drohenden Wettbewerbsstrafe entgangen. Die Wettbewerbshüter der EU-Kommission waren zuvor bei einer Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen, dass Microsoft seine Marktmacht regelwidrig zur Unterstützung seiner Kommunikationsplattform Teams nutzt. Auslöser für das Verfahren war eine Beschwerde des Konkurrenten Slack im Sommer 2020.
Im S&P 500 hatten die Titel des Hollywood-Konzerns Warner Bros. Discovery mit einem Plus von fast 17 Prozent die Nase vorn, nachdem sie schon am Tag zuvor dank eines Medienberichts über Übernahmepläne seitens des Rivalen Paramount Skydance nach oben gesprungen waren.
Derweil sanken die Aktien des Luxusmöbelherstellers RH um 4,6 Prozent. Für trübe Stimmung sorgten eine wegen der Auswirkungen der US-Zölle gesenkte Prognose für das Umsatzwachstum sowie Aussagen des Unternehmenschefs gegenüber Analysten. Demnach muss die Branche angesichts des schwachen Immobilienmarktes Rabatte anbieten, um sich über Wasser zu halten.
Ein Medienbericht über eine mutmaßliche Verknüpfung von Todesfällen bei Kindern mit Corona-Impfungen belastete Aktien von Impfstoffherstellern stark. So sackten Moderna um 7,4 Prozent ab. Für Pfizer
ging es um vier Prozent nach unten. Die in New York gelisteten Papiere des deutschen Unternehmens Biontech büßten 7,3 Prozent ein. Die Washington Post hatte geschrieben, dass Beamte des US-Gesundheitsministeriums planen, Covid-19-Impfstoffe mit dem Tod von 25 Kindern in Verbindung zu bringen.
DAX geht die Luft aus
Zuvor hatte sich der deutsche Aktienmarkt richtungslos gezeigt. Der Dax verlor letztlich weniger als ein Zehntelprozent auf 23.698 Punkte. Damit legte er auf Wochensicht knapp ein halbes Prozent zu. Insgesamt bleibt der Leitindex nach seinem starken Lauf bis Anfang Juli aber in einer Konsolidierungsphase. Der MDax der mittelgroßen Unternehmen ging 0,1 Prozent höher mit 30.175 Zählern ins Wochenende.
Aus Sicht des Kapitalmarktstrategen Jürgen Molnar vom Broker Robomarkets hat der Dax eine “gebrauchte Woche” hinter sich. Während die US-Börsen von Zinssenkungsfantasie und überraschend positiven Nachrichten aus dem Technologiesektor auf Rekordhöhen getragen worden seien, trete der Dax auf der Stelle. Hauptgrund dafür sei geopolitische Unsicherheit sowohl im Nahen Osten als auch mit Blick auf das Eindringen russischer Drohnen in den polnischen Luftraum. “Hier lauert einiges Eskalationspotenzial, von dem Anleger ungern auf dem falschen Fuß erwischt werden wollen, sollte es freigesetzt werden”, so Molnar. Marktexperte Andreas Lipkow stellte eine “ausgemachte Tendenz für Gewinnmitnahmen” fest. Vor wichtigen Großereignissen wie der Zinsentscheidung der US-Notenbank Fed in der kommenden Handelswoche scheuten die Anleger das Risiko.
Unternehmensseitig schob eine Kaufempfehlung der UBS die zuletzt schwächeren Aktien der Hannover Rück um 3,6 Prozent an die Dax-Spitze. Laut UBS-Analyst Will Hardcastle hinkte der Rückversicherer jüngst anderen Branchentiteln hinterher, obwohl sich die Ertragsstabilität von Hannover Rück im aktuellen Preisumfeld auszahlen dürfte. Für die Aktien von Munich Re ging es derweil zwei Prozent aufwärts.
Die Titel von Nordex litten auch am Freitag unter einer drohenden Verschlechterung politischer Rahmenbedingungen für Erneuerbare Energien in Deutschland. Sie rutschten auf den tiefsten Stand seit Mitte Juli ab und verloren am MDax-Ende letztlich 3,2 Prozent. Für das laufende Jahr steht aber immer noch ein Kursplus von gut 72 Prozent zu Buche.
Die Aktien von Siltronic schnellten dank KI-Fantasie als Spitzenreiter im SDax um 7,1 Prozent nach oben. MWB-Analyst Abed Jarad verwies auf den südkoreanischen Chipkonzern SK Hynix, der die Massenproduktion neuer Breitbandspeicherchips für Anwendungen rund um Künstliche Intelligenz angekündigt habe. Das sei auch für die Erholungsstory von Siltronic entscheidend.
Die Aktien von Eckert & Ziegler profitierten leicht von einer optimistischen Analystenstimme und gewannen 0,4 Prozent. Alexander Galitsa von Hauck Aufhäuser Investment Banking stufte den Strahlen- und Medizintechnikkonzern von “Hold” auf “Buy” hoch. Eine Studie des Pharmaunternehmens Telix im Prostata-Krebsbereich könne die Nachfrage nach bestimmten Generatoren von Eckert & Ziegler steigern. (baha, dpa-AFX)