Börsenwoche: Kommt ein Zoll-Deal? Schadenbegrenzung oder Schnäppchenjagd?

©peterschreiber.media /Adobe Stock
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Am Karfreitag blieben die Börsen fast überall auf der Welt geschlossen und auch am Ostermontag wird außerhalb der USA kaum gehandelt. So haben die Börsianer Zeit zum Verschnaufen und Nachdenken.

Was sie dabei Revue passieren lassen, ist ein sehr gemischtes Bild. Anfang März schien sich der Konjunkturhimmel über Deutschland aufzuhellen: Die Anfang Mai wohl ihre Arbeit aufnehmende neue Bundesregierung kündigte – wenn auch schuldenfinanzierte – Ausgaben in dreistelliger Milliardenhöhe für die Verteidigung, die Infrastruktur und viele soziale Wohltaten an, die sich auf die Wirtschaft belebend auswirken sollten. Der klassische fiskalische Impuls. im Ukraine-Krieg wurde über einen Waffenstillstand gesprochen, und die Aktienkurse dankten es mit immer neuen Höchstständen.Innerhalb der EZB  wurde bereits darüber diskutiert, ob die Notenbank im April eine Pause im Zinssenkungszyklus einlegen müsste. Einen Monat später sieht die Welt ganz anders aus: Donald Trumps Zollpolitik hat die Welt massiv verunsichert, weil nicht klar ist, wie die Deals aussehen, die er anstrebt. Kommt es schnell zu einer Ausweitung des Freihandels, würde sich die Panikreaktion der Märkte im Nachhinein als kleine Delle auf dem Weg zu neuen Höchstkursen herausstellen. Verkrampfen sich die Partner längerfristig in einer Zoll/Gegenzoll-Politik, könnte das die Welt vorübergehend in eine Rezession stürzen und langfristig zu globalen Wachstumsverlusten führen. In der Ukraine wird zudem immer noch gekämpft. Kein Wunder, dass die Kurse auf dem Niveau nach dem Absturz verharren. 

Entsprechend schnell war bei der EZB die Zinspause kein Thema mehr. Am vergangenen Donnerstag senkte sie die Leitzinsen zum siebten Mal seit Juni 2024 um 0,25 Prozentpunkte. Der derzeit maßgebende Einlagensatz liegt nunmehr bei 2,25 Prozent. Die Wirtschaft des Euro-Raums habe eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegenüber globalen Schocks aufgebaut, die Wachstumsaussichten hätten sich jedoch aufgrund der zunehmenden Handelsspannungen eingetrübt, hieß es von der EZB. Noch seien die makroökonomischen Auswirkungen des eingeleiteten Handelskrieges jedoch nicht völlig klar, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde in der der Entscheidung folgenden Pressekonferenz. Im Erdölpreis spiegelt sich allerdings eine konjunkturelle Abschwächung. Dieser ist seit Trumps Zoll-Ankündigungen von Anfang April um rund 17 Prozent gesunken. Der Kurs des Euro ist seit Trumps „Liberation Day“ um rund fünf Prozent gestiegen. Zumindest mit der Wechselkursbewegung hat Trump schon ein Ziel erreicht: Sie verbilligt die Importe in die Euro-Zone und verteuert die Exporte. Angesichts der Gemengelage unterstrich Lagarde, dass die EZB sich auch für die kommenden Monate nicht auf einen Zinspfad festlegen werde, sondern ihre Entscheide aufgrund der eintreffenden Wirtschaftsdaten von Sitzung zu Sitzung treffen wolle. 

Weitere mögliche Schäden begrenzen?

Auch für Privatanleger stellen sich jetzt viele Fragen. Die wichtigste ist wahrscheinlich, ob man nun noch Aktien verkaufen soll, um mögliche Verluste zu vermeiden? Grundsätzlich gilt hier die alte Regel, dass Impulsverkäufe bei fallenden Börsenkursen nicht empfehlenswert sind, wenn sich durch die veränderten Umstände Anlagestrategie nicht fundamental geändert hat. Überprüfen sollte man das Depot indes dahingehend, ob es vernünftig diversifiziert ist. Das bedeutet im Großen, dass das Vermögen über verschiedene Anlageklassen wie Aktien, Anleihen, Edelmetalle und Immobilien verteilt ist, bezogen auf den Aktienanteil heißt es, dass Unternehmen aus verschiedenen Regionen der Welt genauso darin vertreten sind wie aus unterschiedlichen Branchen. Stimmt die Diversifikation nicht, sollte man übergewichtete Positionen reduzieren und in andere Titel umschichten. 

Schnäppchenjagd starten?

Umgekehrt fragen sich Mutige, die vielleicht gerade über hohe Barmittelbestände verfügen, ob sie die Korrektur an den Märkten für Käufe nutzen sollten. Während der Kursabsturz die einen nervös gemacht hat, wittern die Schnäppchenjäger eine Chance: Star-Aktien wie Apple oder Nvidia oder Nestlé notieren fast 20 Prozent tiefer als zu Jahresbeginn. Da kann es für sehr langfristig Orientierte durchaus sinnvoll sein, Aktien zu kaufen.

Bieten Edelmetalle wie Gold und Silber oder Krytpowährungen wie der Bitcoin Schutz, lautet die dritte wichtige Frage? Unmittelbar nach Ankündigung der neuen Zoll am 2. April sackte der Goldpreis auch erst einmal. Inzwischen hat er sich allerdings wieder stabilisiert und scheint sogar auf den seit 2022 bestehenden Aufwärtstrend zurückzufinden. Ähnliches gilt für Silber. Der Bitcoin wiederum hat sich zwar weniger schlecht entwickelt als Aktien, ging aber auch deutlich in die Knie.

USA gehen schwach ins Osterwochenende

Die verkürzte vorösterliche Handelswoche brachte zwar eine gewisse Beruhigung der sehr erratischen Kursschwankungen der Vorwochen, endete für die US-Anleger per saldo aber auch wieder einen Verlust – während Europa auf Wochensicht leichte Aufwärtstendenzen zeigte. Der Wall-Street-Index Dow Jones Industrial weitete am Donnerstag seine Vortagesverluste sogar aus. Belastend wirkte besonders der Kurssturz der Unitedhealth-Aktie und die Schwäche von Nvidia. Die überwiegend mit Technologieaktien bestückte Nasdaq pendelte dagegen vor dem verlängerten Wochenende richtungslos zwischen Gewinnen und Verlusten.

Von den Konjunkturdaten gingen keine klaren Impulse aus. Sie waren durchwachsen, wobei jedoch der Philly-Fed-Index, der das Geschäftsklima in der Region Philadelphia misst, negativ herausstach. Auch auf Aussagen des US-Präsidenten Donald Trump nach seinem Gespräch mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni über eine von ihm zu “100 Prozent” erwartete Zoll-Einigung mit der Europäischen Union am Ende der 90-tägigen Pause reagierten die US-Börsen nicht. Letztlich büßte der Dow 1,3 Prozent auf 39.142 Punkte ein. Auf Wochensicht verlor er damit 2,7 Prozent. Der breit gefasste S&P 500 legte am Donnerstag um 0,1 Prozent auf 5.283 Zähler zu. Der Nasdaq 100 hielt sich stabil auf Vortagesniveau bei 18.258 Zählern und gab damit in den vergangenen vier Handelstagen um 2,3 Prozent nach. Die Produktionsaktivität in der Region Philadelphia ging im April auf minus 26,4 Punkte zurück. Ökonomen hatten nur mit einem Rückgang von 12,5 Punkten im März auf 2,0 Punkte gerechnet.

Auf die Stimmung drückte außerdem, dass Trump den Präsidenten der US-Notenbank Fed für dessen angeblich zögerliche Haltung in puncto Zinssenkung gescholten hatte. Er sagte, Jerome Powells Rücktritt könne nicht schnell genug erfolgen. Die Fed hätte die Zinsen bereits in diesem Jahr senken müssen und sollte dies auf jeden Fall jetzt tun. Powell sei “immer zu spät und falsch”, schrieb Trump auf Truth Social. Angesichts der aggressiven US-Zollpolitik hatte Powell vor einer steigenden Inflation und einem langsameren Wirtschaftswachstum gewarnt.

Unter den Einzelwerten standen im Dow vor allem Unitedhealth und Nvidia im Fokus. Der größte US-Krankenversicherer hatte zur Vorlage seiner Zahlen zum ersten Quartal die Jahresprognose gekappt und von einer überraschend hohen Behandlungsaktivität bei Medicare, der öffentlichen US-Krankenversicherung berichtet. Die Aktie brach zeitweise um 25 Prozent ein und damit so stark wie seit 25 Jahren nicht mehr. Mit minus 22,4 Prozent ging sie ins verlängerte Wochenende.

Die stark getrübte Stimmung für Unitedhealth belastete auch die Anteilscheine der Wettbewerber. Humana verloren 7,4 Prozent und CVS Health gaben um 1,8 Prozent nach. Nvidia litten mit minus 2,9 Prozent darunter, dass die US-Regierung dem Chiphersteller den Verkauf seiner H20-Chips in China untersagt hat. Dies verschärft den Technologiekonflikt Washingtons mit Peking, wird das Unternehmen wohl Milliarden Dollar kosten und eine Produktlinie beeinträchtigen, die explizit auf die Einhaltung früherer US-Beschränkungen ausgelegt gewesen war. Inmitten des Handelskonflikts der beiden weltgrößten Volkswirtschaften sei Nvidia-Chef Jensen Huang nach Peking gereist, berichteten nun chinesische Staatsmedien.

Um 14,3 Prozent nach oben ging es dagegen für die Anteilscheine von Eli Lilly . Der Pharmakonzern veröffentlichte positive Studiendaten zu der Abnehmpille Orforglipron. Die Stabilisierung der Ölpreise durch Erholungsgewinne verhalf wiederum den Aktien von Chevron, ConocoPhillips und Exxonmobil zu Kursanstiegen zwischen zwei und drei Prozent. Marktbeobachter verwiesen auf Meldungen, wonach die USA den Druck auf das Förderland Iran erhöht hat. Auch dass Trump optimistisch ist, was eine Zoll-Einigung mit der EU betrifft, ließ die Ölpreise steigen.

Dax erholt

Die Anleger am deutschen Aktienmarkt hatte zuvor vor dem langen Osterwochenende Gewinne mitgenommen. Daran änderte auch die Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) nichts. Der Dax verlor 0,5 Prozent auf 21.206 Punkte. Damit ergibt sich für den Leitindex in der verkürzten Karwoche aber immer noch eine weitere Erholung, und zwar in Höhe von 3,1 Prozent. Anfang der vergangenen Woche war der Dax noch zeitweise unter die Marke von 19.000 Punkten gefallen, bevor er sich peu à peu wieder nach oben arbeiten konnte. Der MDax der mittelgroßen Unternehmen sank am Gründonnerstag um knapp 0,3 Prozent auf 27.148 Zähler. Börsenkenner Andreas Lipkow kommentierte: „Die Marktteilnehmer bleiben weiterhin nervös, und auch wenn sich die Investoren an die Volatilität gewöhnt haben, bleiben weitere Unsicherheiten bestehen.“ Unterdessen machen die Zoll-Verhandlungen zwischen Japan und den USA laut Aussagen von Trump große Fortschritte. „Sollte das Beispiel Schule machen, könnte sich die Lage am Aktienmarkt nach Ostern weiter entspannen“, glaubt Kapitalmarktstratege Jürgen Molnar vom Handelshaus Robomarkets.

Die Aktien von Siemens Energy verbuchten ein weiteres Rekordhoch und schnellten am Ende um 10,5 Prozent nach oben. Ausschlaggebend dafür war ein überraschend gutes Quartal und ein optimistischerer Ausblick für das Gesamtjahr. Der Ausblick des Energietechnikkonzerns sei sehr stark und klar besser als erwartet, lobte ein Händler. Der Marktkonsens dürfte nun wohl zweistellig steigen, schrieb JPMorgan-Analyst Akash Gupta.

Die Papiere von Fresenius Medical Care verloren am Dax-Ende fast sechs Prozent und haben mittlerweile gut die Hälfte ihrer Kurserholung seit dem Zollschock wieder eingebüßt. Ein Händler verwies auf einen Kommentar des JPMorgan-Analysten David Adlington, der mit schwachen Volumina im ersten Quartal rechnet. Die jüngste Dollar-Schwäche werde wohl das bereinigte operative Ergebnis 2025 um fünf Prozent schmälern, glaubt er.

Die Anteilscheine von Evotec gewannen nach Jahreszahlen und Prognosen des Wirkstoffentwicklers an der MDax-Spitze fast zehn Prozent. Evotec habe im Schlussquartal 2024 die Erwartungen übertroffen und so die eigenen Ziele locker erreicht, schrieb Analyst Charles Weston von der kanadischen Bank RBC. Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 verlor 0,6 Prozent auf 4.935 Punkte. In Zürich schloss der Leitindex SMI moderat im Plus, während der Londoner “Footsie” stagnierte. (baha/doa-Afx)

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