Die kriegerische Eskalation in Nahost hat am Freitag auch nach den Einbrüchen in Asien und Europa auch die US-Börsen belastet. Auf die israelische Bombardierung von Atom- und Militäranlagen im Iran reagierte dessen Regierung inzwischen mit Gegenschlägen. Der New Yorker Leitindex Dow büßte letztlich 1,8 Prozent auf 42.198 Punkte ein. Der marktbreite S&P 500 fiel um gut 1,1 Prozent auf 5.977 Zähler, und der von Technologiewerten dominierte Nasdaq 100 verlor 1,3 Prozent auf 21.631 Punkte.
Die Stimmung an den Börsen weltweit sei zwar von Sorgen geprägt, aber nicht panisch, fasste Sören Hettler, Leiter Anlagestrategie und Privatkunden der DZ Bank, die Lage zusammen. Beunruhigend sei die Situation im Nahen Osten dennoch, da eines Krieges in Nahost auch für die Weltwirtschaft belastende Folgen hätte, wie Chefvolkswirt Ulrich Kater von der Dekabank in Frankfurt sagte. Entsprechend sensibel reagierten nicht nur die Ölpreise.
Portfolio-Manager Thomas Altmann von QC Partners sprach von einer „weltweit neuen Unsicherheit – politisch und an den Börsen“. Das rufe die typischen Reaktionen hervor: Risikoassets wie Aktien würden verkauft. Die Flucht in sichere Häfen wie Staatsanleihen und Gold setze ein. Gleichzeitig stiegen zudem die Ölpreise deutlich. „Im Moment ist jede Menge Unsicherheit im Markt. Wie groß die mittel- und langfristigen Auswirkungen auf Wirtschaft und Börsen sein werden, lässt sich aktuell noch nicht abschätzen.“
Das von der Universität Michigan – noch vor Beginn der gegenseitigen Attacken zwischen Israel und dem Iran – erhobene Verbrauchervertrauen für den Monat Juni fiel unterdessen deutlich besser als erwartet aus. Im aktuell geopolitisch unsicheren Umfeld hatten die Ergebnisse jedoch keine positive Auswirkung auf die Anlegerstimmung.
Das Branchentableau spiegelte die angespannte Situation wider: Die Verluste dominierten, während der Energiesektor wegen des sprunghaften Ölpreisanstiegs deutlich zulegte. Unter den Einzelwerten rückten Tesla in den Fokus. Die Aktie des E-Autobauers sprang nach frühen Verlusten zeitweise mit mehr als vier Prozent an die Spitze des Nasdaq 100 und beendete den Handel mit plus 1,9 Prozent. Die Anteile der Google -Mutter Alphabet verringerten im Handelsverlauf ihre Verluste auf minus 0,6 Prozent. Uber gaben um zwei Prozent nach. Die US-Regierung will den Einsatz selbstfahrender Autos ohne Fahrersteuerung erleichtern, was Tesla und all jene in ihren Ambitionen unterstützen dürfte, die bald Robotaxis auf die US-Straßen bringen wollen.
Das Papier von Adobe war nach Quartalszahlen und Aussagen zur laufenden Geschäftsentwicklung mit minus 5,3 Prozent einer der schwächsten Nasdaq-Werte. Trotz allgemein positiver Analystenkommentare besänftigte der Umsatzausblick die kritischen Investoren des Softwarekonzerns nicht. Diese blieben skeptisch und fragten sich, ob der Marktführer für Kreativsoftware KI-fokussierte Start-ups überflügeln könne, erklärte ein Börsianer. Im Dow sackten unterdessen Visa um fünf Prozent ab, und die Anteile des Kreditkarten-Konkurrenten Mastercard büßten im S&P-100-Index 4,6 Prozent ein. Wie das „Wall Street Journal“ berichtete, prüfen einige große Handelskonzerne, darunter Walmart und Amazon, wie sie digitale Währungen mit stabilem Wert – sogenannte Stablecoins – ausgeben oder verwenden könnten, um die traditionellen Gebühren der kartenbasierten Systeme zu umgehen.
Dow-Schlusslicht war der Anteilsschein von Sherwin-Williams mit minus 5,7 Prozent. Die Citigroup senkte ihr Anlageurteil für den Hersteller von Farben, Lacken und Beschichtungen von „Buy“ auf „Neutral“.
RH, die zeitweise um rund 25 Prozent hochgeschnellt waren, legten letztlich um 6,9 Prozent zu. Anleger reagierten erleichtert auf den beibehaltenen Ausblick des Luxusmöbel-Unternehmens. Vor der Bekanntgabe des Quartalsberichts hatte die Sorge vorgeherrscht, dass RH die Jahresziele wegen der US-Zölle und des schwachen US-Häusermarkts senken könnte.
Dax mit sechstem Verlusttag in Folge
Die israelischen Luftangriffe auf Atomanlagen und andere Ziele im Iran hatten zuvor bereits dem Dax herbe Kursverluste eingebrockt. Zum Börsenschluss büßte der deutsche Leitindex knapp 1,1 Prozent auf 23.516 Punkte ein. Damit verzeichnete er den sechsten negativen Handelstag in Folge sowie ein Wochenminus von 3,2 Prozent. Noch in der Vorwoche hatte der Dax mit 24.479 Punkten ein Rekordhoch erzielt.
Eine weitere Eskalation des neuen Nahostkriegs könnte die Ölpreise über 80 US-Dollar treiben, warnten die Experten von ING Economics. Von der US-Notenbank Fed werde ohnehin eine Beibehaltung der aktuellen Zinsen erwartet. Durch diese Ereignisse dürfte sie sich in ihrer Haltung bestätigt fühlen. Am kommenden Mittwochabend entscheiden die Währungshüter über ihre weitere Geldpolitik.
„Die Fed wird Donald Trumps Drängeln in Richtung der ersten Leitzinssenkung in diesem Jahr erneut nicht nachgeben“, schrieb Robert Greil, Chefstratege bei Merck Finck. Denn obwohl die US-Inflation im Mai abermals unter den Markterwartungen gelegen habe, sei deren weitere Entwicklung ungewiss. „Bis auf den nicht gerade detaillierten Handels-Deal mit Großbritannien lassen weitere echte Deals trotz aller Ankündigungen der US-Administration auf sich warten“, so Greil. „Damit fehlt der Fed weiterhin ein wesentlicher Mosaikstein, um den künftigen Inflationstrend wirklich einschätzen zu können.“ Er hält auch eine Zinssenkung bei der Sitzung Ende Juli für unwahrscheinlich – „wahrscheinlich kommt sie erst bei der nächsten Sitzung im September“.
Die Risikoaversion der Anleger bekamen vor dem Wochenende auch andere Aktienindizes zu spüren. Für den MDax der mittelgroßen Unternehmen ging es am Freitag um 1,5 Prozent auf 29.742 Punkte bergab. Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 setzte mit minus 1,3 Prozent seinen Abwärtstrend ebenfalls fort. In Zürich stand ein ähnlicher, in London dagegen ein nur moderater Kursrückgang zu Buche.
Rüstungsaktien konnten von der geopolitischen Lage nicht gleichermaßen profitieren. Rheinmetall gewannen an der Dax-Spitze 2,7 Prozent. Im MDax ging es für Renk um 0,8 Prozent hoch, wogegen Hensoldt um 0,1 Prozent nachgaben. Letztere lagen damit dennoch im Index unter den vorderen Werten.
Die Papiere von Verbio eroberten mit plus 8,3 Prozent den Spitzenplatz im Nebenwerte-Index SDax. US-Präsident Trump will, dass Ölraffinerien im kommenden Jahr mehr Biokraftstoffe in Benzin und Diesel mischen und gleichzeitig die Verwendung importierter Vorräte einschränken. Eine Umsetzung dieser Pläne dürfte auch Verbios US-Geschäft zugutekommen.
Unter Druck blieben dagegen Papiere aus dem Reise- und Luftfahrtbereich – wegen der Einschränkungen im Reiseverkehr durch die israelisch-iranische Konfrontation und wegen der steigenden Ölpreise. Fraport büßten 3,5 Prozent ein. Bei Tui und Lufthansa mussten die Anleger Verluste von 3,4 und 2,8 Prozent verkraften. Aus Sorge vor einer sich abkühlenden Konjunktur zeigten sich zyklische Werte aus dem Einzelhandel, dem Automobil- und Bankensektor schwach. Adidas, Volkswagen, Deutsche Bank und BMW belegten im Dax mit Abschlägen von bis zu 2,8 Prozent hintere Plätze.
Im Bärsenmarkt nicht kirre machen lassen
Viele Anleger fragen sich nun, wie sie reagieren sollen. Verkaufen, um auf Nummer Sicher zu gehen, oder doch eher durchhalten? Wer schon länger im Geschäft ist, entscheidet sich für letzteres; denn Vietnamkrieg, Ölkrise, Schwarzer Montag, Lehman-Krisen, Dotcom-Blase oder Corona-Crash haben letztlich eines gelehrt: Krisen bringen zwar kurzfristig Einbrüche, langfristig hat es sich aber fast immer gelohnt, in der Krise, dem sogenannten „Bärenmarkt“ einen kühlen Kopf zu bewahren.
Von einem Bärenmarkt sprechen Börsianer übrigens, wenn ein Index im Vergleich zum letzten Höchststand um mehr als 20 Prozent gesunken ist. Wie eine Studie des Vermögensverwalters Assenagon zeigt, sind Bärenmärkte an der Börse in der Tat gar nicht so selten. Seit dem Jahr 1945 gab es in den USA zwölf solche Marktphasen, in denen der S&P 500 jeweils mehr ein Fünftel seines Wertes verlor. Dazu zählten beispielsweise die Rezession nach dem Zweiten Weltkrieg, die Ölkrise 1973/74, der Schwarze Montag im Jahr 1987, das Platzen der Dotcom-Blase zur Jahrtausenwende, die Finanzkrise im Zuge der Lehman-Pleite (2008) oder der Corona-Crash im Jahr 2020.
Nach dem Ausbruch solcher Krisen brauchten die Aktienmärkte manchmal nur kurze Zeit, manchmal etwas länger, um sich zu erholen. „Krisen können sich über mehrere Jahre strecken“, sagt Thomas Romig, Anlagechef von Assenagon. Wie die Auswertung zeigt, lagen die Anleger bei einem Einstieg in den S&P 500 bei einem Minus von 20 Prozent aber oftmals bereits nach einem Jahr im Plus – Ausnahmen waren die Ölkrise, das Platzen der Dotcom-Blase und die Finanzkrise. Nach fünf Jahren hatte sich der Einstieg in den Aktienmarkt während einer Krise (beziehungsweise nach Verlusten von 20 Prozent und mehr) fast immer gelohnt. Eine Ausnahme machte nur die Zeit des Vietnamkriegs: Damals verbuchten Anleger fünf Jahre nach dem Einstieg immer noch ein Minus von 11,3 Prozent.
Ein Blick auf die langfristigen Renditen der Aktienmärkte unterstützt ebenfalls die Mutigen. Das jährlich publizierte Global Investment Returns Yearbook (https://www.ubs.com/global/en/investment-bank/insights-and-data/2025/global-investment-returns-yearbook-2025.html) zeigt, dass Aktien im Zeitraum von 1900 bis 2024 weltweit nach Abzug der Inflationsrate eine durchschnittliche Rendite von 5,2 Prozent pro Jahr erreicht haben – trotz zwei Weltkriegen, der Weltwirtschaftskrise und anderen Stressphasen wie den oben erwähnten. Anleihen erzielten im selben Zeitraum eine jährliche Anlagerendite von 1,7 Prozent. Die Lehre aus diesen Zahlen ist klar: In Krisenzeiten sollte man nicht in den Panikmodus verfallen. Langfristig sollte auch die gerade zu beobachtende Iran-Israel-Krise die Börse nicht von ihrem langfristigen Aufwärtstrend abbringen.
Anleger sollten sich also von den Schwankungen der Börsenkurse nicht kirremachen lassen. Dies gelingt dann besonders gut, wenn man die Entwicklung des Depots gar nicht allzu oft anschaut. So vermeidet man Kurzschlussreaktionen, wenn die Kurse einmal fallen. Wer die Kursschwankungen als Preis für die Zusatzrendite von Aktien begreift, ist schon wesentlich gelassener: Man muss sie aushalten, um die höhere Rendite zu bekommen. Wer das Geld auf dem Sparkonto liegen lässt oder nur in Festverzinslichen anlegt, riskiert, dass sein Vermögen von der Inflation vernichtet wird. Viele Anleger übersehen nämlich, dass schon für den Erhalt der realen Kaufkraft des Vermögens eine Rendite in Höhe der Inflationsrate nötig ist.
Ein Kardinalfehler, den viele Anleger machen, ist zudem das sogenannte Market-Timing – also der Versuch, die Schwankungen der Kurse mit „rechtzeitigem“ Kaufen und Verkaufen auszunutzen. Wer nämlich am Beginn eines Kursaufschwungs den Einstieg verpasst, läuft Gefahr, die besten Zeiten am Aktienmarkt zu verpassen. Dies zeigt ein Blick auf die Renditen von S&P 500: Anleger, die im Zeitraum ab 1926 und 2006 in den besten 40 Monaten nicht investiert waren, hätte eine schlechtere Rendite mit seiner Aktienanlage erzielt als mit US-Rentenpapieren. In diesem Fall hätte man zu wenig verdient, um nach Abzug von Inflation und Steuern den realen Wert des Vermögens zu erhalten. (baha/dpa-AFX)