Larry Fink, Chef der weltgrößten Fondsgesellschaft Blackrock, hatte wieder einmal eine gute Nase. Europa werde für Anleger künftig ein interessanterer Ort sein als die USA, empfahl er seinen Kunden im April, kurz nach der erstmaligen Verhängung hoher Importzölle durch US-Präsident Donald Trump.
Namentlich britische Vermögenswerte hob er hervor. Diese seien besonders unterbewertet. Das war – wie gesagt – im April, als die Finanzmärkte wegen der Zollpolitik weltweit eingebrochen waren. Danach stiegen die Börsenkurse wieder steil an, und seit Anfang des Jahres haben europäische Aktien durchschnittlich zehn Prozent zugelegt. Zwar hat die Wall Street mit einem Plus von sieben Prozent fast ebenso gut abgeschnitten – allerdings nur ohne Berücksichtigung der Währungseffekte; denn der Dollar hat gegenüber dem Euro seitdem rund 13 Prozent verloren. Währungsbereinigt bedeutet das: US-Anleger haben mit europäischen Aktien einen Gewinn von 23 Prozent erzielt. Umgekehrt sind europäische Anleger an der amerikanischen Börse in die Verlust gerutscht.
Dass die Wall Street an Gunst verliert, ist nach dem Boom der vergangenen Jahre allerdings nicht besonders überraschend. Allein in den vergangenen zehn Jahren hat sich der S&P 500 Index glatt verdreifacht. In der gleichen Periode konnte das europäische Pendant, der Stoxx Europe 600, nur 40 Prozent gewinnen. Dieses Missverhältnis spiegelt sich auch in dem riesigen Unterschied bei den Bewertungen. Die Aktien im S&P 500 kosten laut Bloomberg derzeit das 22fache ihres Gewinns – was 30 bis 60 Prozent über dem langjährigen Durchschnitt liegt. Dagegen sind europäische Aktien mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 15 wesentlich niedriger bewertet.
Wer Finks Ratschlag jetzt noch folgen und in europäische Aktien investieren will, sollte sie sich allerdings genau anschauen: Wie verletzlich ist die Firma, wenn der globale Handel einbricht? Und wie zyklisch ist die Branche, in der sie tätig ist? So scheint Fink mit seiner Vorliebe für Großbritannien ins Schwarze zu treffen: Der Leitindex FTSE 100 hat im Juli erstmals die Marke von 9000 Punkten geknackt. Die London Stock Exchange scheint von vielen Investoren als sicherer Hafen wahrgenommen zu werden. So konnte die Regierung bereits früh ein Handelsabkommen mit den USA abschließen. Dank der nach wie vor günstigen Bewertung trauen Analysten der britischen Börse weitere Kursavancen zu.
Nicht richtig auf Touren kommt dagegen die französische Börse. Symptomatisch ist der Verlauf beim weltgrößten Luxusgüterkonzern LVMH. Gegenüber dem historischen Höchststand ist der Kurs um fast die Hälfte eingebrochen. Der gesamte Sektor leidet unter der gesunkenen Nachfrage, namentlich aus China. Daneben bremst auch die fragile politische Lage in Frankreich die Entwicklung an der Börse – für das laufende Jahr wird ein Budgetdefizit von sechs Prozent des BIP erwartet.
In Deutschland klettert der DAX derweil von einer Bestmarke zur nächsten. In nur fünf Jahren hat sich sein Kurs verdoppelt. Auch im laufenden Jahr gehört der Index mit einem Plus von über 20 Prozent zu den besten. Wesentlich getrieben wird dieser Boom vom Aufstieg des Softwarekonzerns SAP. Mit einer Börsenkapitalisierung von 320 Milliarden Euro ist er inzwischen das wertvollste Unternehmen Europas. Die Hausse mag vor dem Hintergrund der schwachen Konjunktur in Deutschland erstaunen. Sie ist denn auch von wenigen Aktien getragen. So hat sich der Kurs des Rüstungskonzerns Rheinmetall seit Anfang Jahr verdreifacht, während sich der Wert von Siemens Energy mehr als verdoppelte. Kurstreiber ist in beiden Fällen das milliardenschwere Rüstungs- und Infrastrukturpaket der neuen deutschen Regierung. Auch weitere Aktien wie Heidelberg Materials profitieren davon. Analysten warnen indes, dass die Bewertungen deutscher Aktien inzwischen stark gestiegen sind. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt mit 16 rund ein Viertel über dem langjährigen Schnitt. Zudem reagiert kaum ein anderer Aktienmarkt so empfindlich auf einen Rückschlag im globalen Handel. Rund 80 Prozent ihrer Gewinne erzielen die DAX-Konzerne im Ausland.
Übernahme von Media-Markt-Mutter Ceconomy
Interessant ist der alte Kontinent derzeit auch für Direktinvestoren aus dem Ausland. Wie am Donnerstag bekanntwurde, hat die Muttergesellschaft der Media-Markt-Kette, Ceconomy, vom chinesischen E-Commerce-Giganten JD.com ein Übernahmeangebot erhalten. Die Offerte bewertet das Düsseldorfer Unternehmen mit 2,2 Milliarden Euro beziehungsweise 4,60 Euro je Aktie. Für die Anteilseigner von Ceconomy ist dies ein verlockendes Angebot. Am Mittwoch, dem letzten Handelstag vor der Bekanntgabe der Offerte, hatten die Titel des Unternehmens mit 3,75 Euro auf einem fast ein Viertel tieferen Niveau geschlossen. Am Freitagnachmittag wurden sie für 4,19 Euro gehandelt. Im Markt scheint es trotz allem noch gewisse Zweifel zu geben, ob die Übernahme gelingen wird.
JD.com zählt in China zu den Marktführern im Versandhandel. Ähnlich wie Amazon (in den USA und Europa) besitzt der Konzern ein engmaschiges Netz an Verteilzentren. Dies ermöglicht es ihm, Waren oft noch am Tag der Bestellung an die Kunden auszuliefern. In chinesischen Großstädten wirbt JD.com sogar mit Lieferzeiten von teilweise unter einer Stunde. Ceconomy wiederum bezeichnet sich als größten europäischen Händler von Konsumelektronik. Mit 50 000 Angestellten und einem Konzernerlös von rund 22 Milliarden Euro ist das Unternehmen allerdings achtmal kleiner als JD.com. Der Kauf von Ceconomy böte JD.com die Gelegenheit, das Geschäft geografisch zu diversifizieren. Ceconomy ist in elf europäischen Ländern aktiv. Deutschland, Österreich, die Schweiz und Ungarn steuern gut die Hälfte des Umsatzes bei. Auf die Benelux-Länder, Spanien und Italien entfallen 32 Prozent.
Media Markt verfügt über einen hohen Bekanntheitsgrad. Dass ausgerechnet ein solches Unternehmen in chinesische Hände gelangen könnte, dürfte in Deutschland auch für politische Diskussionen sorgen, zumal Karsten Wildberger, der neue Minister für Digitales und Staatsmodernisierung, bis zur Übernahme des Regierungsamtes im Mai als Vorstandsvorsitzender von Ceconomy amtierte. Einen definitiven Nachfolger für ihn hat der Konzern bis heute nicht bestimmt. Sein Posten wurde lediglich interimistisch neu besetzt.
US-Börsen mit neuen Rekorden
Nach einer erfreulichen Börsenwoche gingen die US-Aktienmärkte am Freitag mit leichten Gewinnen aus dem Handel. Skeptische Töne vom Halbleiterkonzern Intel trübten das Bild im Technologiesektor kaum. In puncto Berichtssaison tat sich am letzten Handelstag der Woche nicht viel. Die Hoffnung auf eine versöhnliche Zolleinigung zwischen den USA und der Europäischen Union stützte den Markt.
Der Dow Jones Industrial schloss mit einem Plus von knapp 0,5 Prozent bei 44.902 Punkten. Daraus resultierte für den Wall-Street-Leitindex ein Wochengewinn von rund 1,3 Prozent. Der marktbreite S&P 500 erklomm am Freitag ein Rekordhoch und gewann letztlich 0,4 Prozent auf 6.389 Punkte. Auch der Nasdaq 100 erreichte eine Bestmarke und legte am Ende um gut 0,2 Prozent auf 23.272 Zähler zu.
Ein Grund der erfreulichen Entwicklung: In den USA waren die Aufträge für langlebige Güter im Juni nicht so stark gesunken wie befürchtet. Die Bestellungen fielen im Monatsvergleich um 9,3 Prozent, wie das US-Handelsministerium am Freitag in Washington nach einer ersten Schätzung mitteilte. Volkswirte hatten im Schnitt mit einem Rückgang um 10,7 Prozent gerechnet. Allerdings waren die Aufträge im Vormonat noch um 16,5 Prozent gestiegen.
Der Umsatz des gebeutelten Chipkonzerns Intel stagnierte im Jahresvergleich. Unter dem Strich gab es einen Verlust von 2,9 Milliarden Dollar nach roten Zahlen von 1,6 Milliarden Dollar ein Jahr zuvor. Der Konzern räumte ein, dass er die Entwicklung seiner modernen Prozessor-Technologie 14A fallenlassen könnte, wenn sich dafür nicht genug Kunden finden. Hinter der Kehrtwende stehen also Fragezeichen. Die Intel-Papiere büßten 8,5 Prozent ein.
Noch schlimmer erwischte es die Titel von Charter Communications. Sie brachen um gut 18 Prozent ein, nachdem der Kabelnetzbetreiber im zweiten Quartal mehr Internetkunden als erwartet verloren hatte. Das Unternehmen sprach in diesem Zusammenhang von einem zunehmenden Druck durch die 5G- und Glasfaser-Internetangebote der Mobilfunk-Konkurrenten.
Für die Aktien von Sarepta Therapeutics ging es um 7,4 Prozent nach unten, nachdem die europäischen Aufsichtsbehörden die Gentherapie Elevidys abgelehnt hatten. Dies verschärft die Krise des Arzneimittelherstellers, nachdem schon die Auslieferung dieses Medikaments in den USA verboten wurde. Während Sarepta die Therapie in den USA vermarktet, hält Roche die Rechte außerhalb der USA.
Dax legt Verschnaufpause ein
Enttäuschende Geschäftszahlen großer Konzerne hatten zuvor die deutsche Börse belastet. Größere Verluste verhinderte die anhaltende Hoffnung auf eine bald bevorstehende Einigung im Handelsstreit zwischen den USA und der EU. „Ich denke, die EU hat ziemlich gute Chancen, eine Einigung zu erzielen“, sagte US-Präsident Donald Trump am Freitag vor Journalisten vor dem Abflug zu einem mehrtägigen Aufenthalt in Schottland. Er sprach von einer 50:50-Chance. Der Leitindex Dax dämmte im späten Handel seine Verluste daraufhin etwas ein und schloss mit einem Abschlag von gut 0,3 Prozent auf 24.217 Punkte. Auf Wochensicht bedeutet dies ein Minus von 0,3 Prozent.
Für den MDax ging es am Freitag um knapp 0,5 Prozent auf 31.484 Punkte nach unten. In dem Index der mittelgroßen Werte standen die Aktien von Puma mit einem Kurseinbruch von rund 16 Prozent im Fokus. Der Sportartikelhersteller gab nach einem enttäuschenden Quartal die Hoffnung auf ein währungsbereinigtes Umsatzwachstum in diesem Jahr auf. Beim berichteten Ergebnis vor Zinsen und Steuern erwarten die Herzogenauracher nun einen Verlust. Die DZ Bank änderte ihre Empfehlung für Puma von „Halten“ auf „Verkaufen“ und sprach von großen Herausforderungen für das Unternehmen.
Niedrigere Zinsen und die geplanten Milliardeninvestitionen der Bundesregierung hellen unterdessen die Stimmung in der deutschen Wirtschaft weiter auf. Das Ifo-Geschäftsklima stieg im Juli leicht. Bemerkenswerterweise verbesserten sich im Verarbeitenden Gewerbe trotz handelspolitischer Unsicherheiten sowohl die Lage als auch die Erwartungen, schrieb Analyst Marc Schattenberg von der Deutschen Bank.
Die Zuversicht für eine Lösung im Zollstreit stützte europaweit vor allem Automobilwerte, die im frühen Handel noch unter deutlichen Kursverlusten von Volkswagen und Traton gelitten hatten. Die VW-Nutzfahrzeugholding Traton bekommt unter anderem das schwache Umfeld für Nutzfahrzeuge in den USA zu spüren und machte spürbare Abstriche am Jahresausblick. Das Kursminus betrug zum Handelsende 4,1 Prozent nach wesentlich höheren Einbußen zum Start.
Der Volkswagen-Konzern selber verzeichnete auch im zweiten Quartal einen deutlichen Gewinneinbruch. Grund war unter anderem das schlechte Abschneiden im Tagesgeschäft bei den teuren Marken Porsche und Audi. Analysten zufolge entsprachen die Resultate aber weitgehend den Erwartungen, zudem hoben die Experten die starke Entwicklung der Kernmarke hervor. Die Vorzugsaktien von VW dämmten anfänglich deutliche Verluste ein und drehten in die Gewinnzone. Am Ende des Tages standen sie mit plus 4,6 Prozent an der Dax-Spitze. Für die Papiere der Deutschen Börse ging es um 1,7 Prozent abwärts. Der Börsenbetreiber hatte zwar dank der geopolitischen Unsicherheiten von einer anhaltenden Nachfrage nach europäischen Anlagemöglichkeiten profitiert, seinen Ausblick aber lediglich bestätigt. (baha/dpa-AFX)