Am Freitag schaute die Welt in die Rocky Mountains. Um 16.00 Uhr (MEZ) trat der Präsident des US-Notenbanksystems, Jerome Powell, beim alljährlichen Treffen der Gouverneure der wichtigsten Zentralbanken der Welt in Jackson Hole vor’s Mikrofon.
Die Beobachter erwarteten darin auch eine Reaktion auf die vielfältigen Angriffe, die US-Präsident Donald Trump in den vergangenen Monaten auf Powell lanciert hatte. Der hatte den Fed-Chef mehrfach eine vorzeitige Beendigung seiner noch bis kommenden Mai reichenden Amtszeit nahegelegt. Powell hatte sich bislang der von Trump geforderten signifikanten Zinssenkung verweigert. Nun lenkte Powell bei seiner letzten großen programmatischen Rede ein und liess durchblicken, dass man vom Fed im September eine Leitzinssenkung erwarten könne.
Tatsächlich hatte Trump es zuletzt geschafft, die zwölf Mitglieder des Offenmarktkommitees zu spalten. Zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren hatten auf der monatlichen Sitzung im Juli zwei Mitglieder gegen den Mehrheitsbeschluss gestimmt. Die beiden hatten die Zinsen senken wollen, die anderen lieber abwarten. Das war ein Zwischensieg des US-Präsidenten gewesen.
Nun also die Ankündigung einer Zinssenkung. Die Märkte jubelten: Der amerikanische Aktienmarktindex S&P 500 legte um ein Prozent zu, als das Fed Powells Redetext publizierte. Gleichzeitig stiegen die Preise für amerikanische Staatsobligationen über alle Laufzeiten hinweg kräftig an. Deren Renditen, die sich reziprok zum Preis bewegen, gingen deutlich zurück.
Powells Einlenken könnte den schwelenden Konflikt mit dem Weißen Haus entschärfen. Allerdings kündigte der Fed-Chef am Freitag auch neue Richtlinien an, wie die wichtigste Zentralbank der Welt ihre Geldpolitik fortan betreiben wird. Diese Veränderungen dürften mittel- bis langfristig zu einer etwas strikteren Geldpolitik führen – und könnten den Konflikt mit Trump neu anfachen.
Das Fed hat aber nicht nur mit politischem Druck zu kämpfen, sondern auch mit der Wirtschaftslage. Die Inflation ist wieder gestiegen, während der Arbeitsmarkt zusehends Schwächen zeigt. Für das Fed ist das eine knifflige Ausgangslage: Die hohe und steigende Teuerung verlangt eigentlich eine restriktive Geldpolitik und hohe Leitzinsen; der Arbeitsmarkt müsste dagegen mit niedrigeren Zinsen gestützt werden. Gleichzeitig zeigt sich, dass Trumps Zollstrategie mit Verzögerung doch noch zu einem kräftigen Preisschub führen kann, was die Inflationsbekämpfung des Fed gefährden würde. Am Donnerstagmorgen hatte zum Beispiel der Walmart-Chef Doug McMillon gesagt, dass der Preisdruck laufend zunehme. Viele Händler hatten sich noch mit ausländischen Gütern eingedeckt, bevor Trumps Zölle in Kraft traten. Inzwischen haben sie ihre Lager mit günstigen Produkten aber abverkauft – und müssen sich nun zu höheren Preisen neu eindecken. Am Freitag betonte Powell nun, dass das Fed in seinem Basisszenario von einem einmaligen Preisschub ausgeht, und dass es die Risiken am Arbeitsmarkt derzeit für problematischer hält.
Mit seiner Rede löste der US-Notenbankchef eine Kursrally an den New Yorker Börsen aus. Der Dow Jones Industrial sprang im Handelsverlauf auf ein Rekordhoch von 45.758 Punkten. Aus dem Handel ging der bekannteste Wall-Street-Index schließlich mit einem Aufschlag von 1,9 Prozent auf 45.632 Zähler und hat damit im Wochenverlauf um 1,5 Prozent zugelegt. Der S&P 500 stieg am Freitag um 1,5 Prozent auf 6.467 Punkte und ist damit keine 15 Zähler mehr von seinem jüngst erreichten Rekordhoch entfernt. Für den zuletzt etwas gebeutelten Technologie-Index Nasdaq 100 ging es um 1,5 Prozent auf 23.498 Zähler nach oben. Seine Bestmarke vom 13. August ist auch nicht mehr allzu fern.
Die Märkte haben die Wahrscheinlichkeit für eine erste Leitzinssenkung auf der kommenden Sitzung der Fed sowie eine weitere vor dem Jahresende bereits mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eingepreist. Gerechnet wird mit zwei kleinen Schritten von jeweils 0,25 Prozentpunkten. Allerdings hatten sich diese Erwartungen zuletzt nach einigen Konjunkturdaten wieder etwas abgekühlt. Unter den Einzelwerten mischten sich im Dow die Aktien von Boeing mit plus 2,5 Prozent unter die größten Gewinner. Bereits am Vortag hatte es Gerüchte gegeben, dass der Flugzeugbauer in Gesprächen ist, um 500 Flugzeuge an China zu liefern. Nun hieß es, die Verhandlungen erfolgten im Rahmen handelspolitischer Entspannungsbemühungen zwischen den Regierungen in Peking und Washington.
Intel stiegen im Nasdaq 100 um 5,5 Prozent. Der kriselnde Chipkonzern stimmte laut Präsident Donald Trump dem Einstieg der US-Regierung mit einem Anteil von zehn Prozent zu. Nähere Details gab es zunächst nicht. Nach bisherigen Angaben geht es darum, dass der US-Staat die Beteiligung als Gegenleistung für die im vergangenen Jahr zugesagten Subventionen von über zehn Milliarden Dollar bekommt. Die Aktien von Zoom sprangen um 12,7 Prozent nach oben. Der Anbieter von Software für Videokonferenzen überraschte im Rahmen eines erfreulichen Quartalsberichts auch mit seinem Ausblick für das Jahresumsatzwachstum positiv. Abwärts ging es dagegen für die Anteilscheine von Intuit mit minus fünf Prozent und für Workday, die um 2,8 Prozent nachgaben. Intuit, ein Hersteller von Finanzsoftware für Privatpersonen und Unternehmen, blieb mit seinem Ausblick laut Jefferies hinter den gestiegenen Erwartungen zurück. Das Unternehmen habe in der Vergangenheit aber typischerweise konservative Ziele ausgegeben und diese dann übertroffen, betonte Analyst Brent Thill.
Die von US-Notenbankchef Powell geöffnete Tür für eine baldige Zinssenkung hatte zuvor schon dem Dax etwas Rückenwind gegeben. Nach seinem Auftritt auf der Notenbank-Konferenz in Jackson Hole wagte sich der deutsche Leitindex ins Plus vor. Er ging um 0,3 Prozent höher bei 24.363 Punkten über die Ziellinie und konnte die Woche so hauchdünn im Plus beenden. Der Leitindex, der in diesem Jahr bislang außergewöhnlich viel zugelegt hat, blieb damit aber auf Abstand zu seiner Bestmarke von 24.639 Punkten, die aus dem Juli stammt. Der MDax
zeigte am Freitag etwas mehr Bewegung, indem er um ein Prozent auf 30.999 Punkte zulegte.
Mit Blick auf deutsche Einzelwerte waren vor dem Hintergrund der Zinsfantasie letztlich die Aktien deutscher Nutzfahrzeughersteller gefragt, die in ihrem US-Geschäft von einer konjunkturfördernden Wirkung möglicherweise profitieren könnten. Im Dax setzten sich Daimler Truck mit 3,1 Prozent an die Spitze. Titel der VW-Tochter Traton gewannen als bester MDax-Wert 4,1 Prozent. Ansonsten standen einmal mehr Rüstungsaktien im Blickfeld – dieses Mal wegen der US-Bank Citigroup, die ihre Verkaufsempfehlungen für Hensoldt und Renk aufgab. Die beiden MDax-Werte knüpften an ihre jüngste Erholung an, indem sie um 3,7 beziehungsweise 1,5 Prozent stiegen. Fundamental erschienen die Aktien nicht mehr überbewertet, hieß es. Rheinmetall legten am Freitag um 0,9 Prozent zu. Bei den stark gelaufenen Aktien der Commerzbank nahmen Anleger Gewinne mit. Mit einem Abschlag von 3,8 Prozent waren die Titel im Dax das Schlusslicht. Schwäche zeigten im Leitindex außerdem die Titel des Logistikers DHL, indem sie um 0,9 Prozent fielen. Sie litten unter einer zurückhaltenderen Einstufung von Kepler Cheuvreux. Das operative Ergebnisziel für das Gesamtjahr sei schwer erreichbar, schrieben die Experten des Analysehauses. Im SDax machte Südzucker negative Schlagzeilen. Niedrige Preise für Zucker und Ethanol führten dazu, dass der Zuckerhersteller seinen Ausblick für das bis Ende Februar laufende Geschäftsjahr senkte. Trotz des freundlichen Marktumfeldes verloren die Papiere 1,1 Prozent. Im MDax gehörten die Papiere des Eventvermarkters CTS Eventim mit 1,6 Prozent Minus erneut zu den schwächsten Werten, nachdem sie am Vortag wegen eines überraschenden Gewinneinbruchs schon zeitweise um ein Fünftel eingebrochen waren. (baha/dpa-AFX)