Deutschlands Wirtschaft steckt in einer Stagnation und dürfte sich auch bis zu den Bundestagswahlen nur zögerlich zu erholen beginnen.
Die fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben am Donnerstag ihre Konjunkturprognose nach unten korrigiert. Neu erwarten sie, dass die Wirtschaftsleistung, gemessen am realen Bruttoinlandprodukt (BIP), im laufenden Jahr um 0,1 Prozent sinken wird. Das wäre das zweite Jahr in Folge mit einer schrumpfenden Wirtschaft, da das BIP schon 2023 um 0,3 Prozent zurückgegangen ist. Erst für die kommenden beiden Jahre erwarten die Ökonomen eine schwache Erholung mit einem BIP-Zuwachs von 0,8 Prozent im nächsten und 1,3 Prozent im übernächsten Jahr. Damit haben sie die Wachstumserwartungen gegenüber ihrer Prognose aus dem Frühjahr für 2024 um 0,2 und für 2025 um 0,6 Prozentpunkte nach unten revidiert.
„Dekarbonisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel und wohl auch der stärkere Wettbewerb mit Unternehmen aus China haben strukturelle Anpassungsprozesse ausgelöst, die die Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft dämpfen», erklärten die Forscher. Die Überlagerung zeige sich besonders im verarbeitenden Gewerbe. Betroffen seien vor allem die Investitionsgüterhersteller und energieintensive Wirtschaftszweige. Ihre Wettbewerbsfähigkeit leide unter den gestiegenen Energiekosten. Konjunkturell mache dem verarbeitenden Gewerbe aber auch die schwächelnde globale Industrie zu schaffen.
Die strukturellen Anpassungsprozesse dürften laut dem Gutachten andauern. Das hinterlasse auch Spuren im Arbeitsmarkt: Während viele Unternehmen weiterhin über Arbeitskräftemangel klagen, ist zugleich die Zahl der Arbeitslosen in letzter Zeit wieder leicht gestiegen. Die Forschungsinstitute gehen davon aus, dass die Arbeitslosenquote auf sechs Prozent steigen wird.
Stefan Kooths (Kiel Institut für Weltwirtschaft, IfW Kiel) warnte davor, einzelnen Unternehmen oder Branchen immer wieder durch neue Hilfsmaßnahmen oder Subventionen unter die Arme zu greifen. Auch eine Abwrackprämie für den Umstieg auf E-Autos sei „wirtschaftspolitisch nicht zu verantworten“. Sie würde bedeuten, dass man existierende Güter vernichte, nur um sie wieder ersetzen zu können. Stattdessen müssten die Rahmenbedingungen insgesamt verbessert werden.
Die sogenannte Gemeinschaftsdiagnose der fünf Institute war nicht die erste schlechte Botschaft in dieser Woche: Am Dienstag hatte das Ifo-Institut den vierten Rückgang des monatlich erhobenen Geschäftsklimaindexes, des wichtigsten deutschen Stimmungsindikators, in Folge gemeldet. Am Mittwoch zählte die jüngste Konjunkturprognose der Industrieländer-Organisation OECD Deutschland zu den am schwächsten wachsenden Ländern unter den wichtigen Industrieländern.
Deutsche Börse trotzt den schlechten Wirtschaftsdaten
Da die meisten im Dax notierten Unternehmen einen Großteil ihres Geschäftes im Ausland machen, wo die Konjunktur einigermaßen in Schwung ist, zeigte sich die Börse auch in der abgelaufenen Woche von ihrer besten Seite. Der Dax setzte jedenfalls seine Rekordrally am Freitag schwungvoll fort und notierte zum Handelsschluss gut 1,2 Prozent höher bei 19.474 Punkten. Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater sieht ihn bereits auf dem Weg zur 20.000-Punkte-Marke – aktuell fehlen nur noch weniger als drei Prozent. Der MDax der mittelgroßen Unternehmen stieg am Freitag um 1,5 Prozent auf 27.210 Punkte.
Die Wochenbilanz des Dax kann sich mit plus vier Prozent durchaus sehen lassen. Für den häufig schwachen Börsenmonat September und das am Montag ebenfalls auslaufende dritte Quartal zeichnen sich Kursgewinne von drei beziehungsweise 6,8 Prozent ab. Die Chartexperten der britischen Bank HSBC verwiesen darauf, dass dies „die erste positive September-Performance seit 2019“ wäre. Im bisherigen Jahresverlauf hat der Dax dank der Erholung von den Rückschlägen Anfang August und Anfang September schon um rund 16 Prozent zugelegt. Damit steigen die Chancen auf ein weiteres starkes Jahr – 2023 waren es am Ende gut 20 Prozent Plus.
An Europas Börsen gingen die Kurse ebenfalls nach oben – wenn auch nicht so stark wie in Frankfurt. Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 schloss 0,7 Prozent fester. Auch der Schweizer SMI und der britische FTSE 100 legten zu. In New York erklomm der Dow Jones Industrial ebenfalls ein Rekordhoch und stand zum europäischen Handelsende ein Prozent im Plus.
„An den Aktienmärkten wurde in der zurückliegenden Handelswoche ein weiteres Kursfeuerwerk gezündet”, betonte Dekabank-Experte Kater mit Blick auf die Maßnahmen zur Unterstützung der schwächelnden Konjunktur in China. Davon hätten in Europa vor allem Unternehmen mit einem starken Chinageschäft profitiert, deren Kurse in den vergangenen Tagen anzogen.
Die jüngsten Konjunkturdaten aus den USA untermauerten zudem die Erwartung einer weiteren US-Leitzinssenkung im November. Dass der Anstieg des PCE-Deflators der persönlichen Konsumausgaben – das bevorzugte Inflationsmaß der US-Notenbank Fed – im August hinter den Prognosen zurückblieb, ermögliche es den Währungshütern, sich mehr auf das Wirtschaftswachstum und den Arbeitsmarkt zu konzentrieren, schrieb Chefökonom James Knightley von der niederländischen Bank ING. Zudem hellte sich das von der Universität Michigan erhobene Konsumklima im September überraschend deutlich auf, was die Konjunktursorgen etwas mildern könnte.
Zu den China-Gewinnern gehörten die Autowerte, die am Freitag ihre Erholung fortsetzten. Im Dax führte Porsche AG die Liste der Autowerte mit plus 4,5 Prozent an. Es tat der Sektorrally auch keinen Abbruch, dass der Zulieferer Hella eine Serie von Gewinnwarnungen in der Branche fortsetzte. Nach einem anfänglichen Kursrutsch von gut acht Prozent schlossen die Aktien letztlich auf Vortagesniveau. Laut Marktbeobachter Jürgen Molnar vom Broker Robomarkets stört Hella das große Bild nicht wirklich. Wenn die schlechten Nachrichten raus seien und sich der Wind in China drehe, sei eine Verlängerung der Sektorrally möglich.
Zu einem der besten Dax-Werte avancierten BASF, die mit plus 6,6 Prozent enttäuschende Dividendenaussagen vom Vortag abschüttelten. Anleger und Experten konzentrieren sich nun auf die Chancen des Konzernumbaus. UBS-Experte Geoff Haire geht davon aus, dass durch Portfolioveränderungen und Kulturwandel Werte freigesetzt werden.
Die jüngst gut gelaufenen Titel von Siemens retteten nach deutlicheren Kursgewinnen ein Plus von 0,6 Prozent ins Ziel. Der Technologiekonzern kämpft weiter mit einem schwächeren Automatisierungsgeschäft. Daher äußerte sich Finanzvorstand Ralf Thomas zur Umsatzentwicklung im am Montag endenden Geschäftsjahr im Interview der „Börsen-Zeitung“ zurückhaltender als bisher.
US-Märkte schließen leicht schwächer
Die US-Aktienmärkte kamen nach einer starken Eröffnung am Freitagabend dann noch leicht zurück und schlossen uneinheitlich. So erklomm der Dow Jones Industrial im frühen Handel ein weiteres Rekordhoch, bröckelte dann aber wieder ab. Letztlich ging der Leitindex mit einem Plus von 0,3 Prozent bei 42.313 Punkten ins Wochenende. Daraus resultierte für das weltweit populärste Börsenbarometer ein Wochengewinn von rund 0,6 Prozent.
Für den marktbreiten S&P 500, der tags zuvor eine neue Bestmarke aufgestellt hatte, ging es am Freitag um gut 0,1 Prozent auf 5.738,17 Zähler abwärts. Der technologielastige Nasdaq 100 sank um 0,5 Prozent auf 20.009 Punkte. Unter den Einzelwerten gehörten die Aktien von Nvidia mit einem Kursrückgang von 2,1 Prozent zu den schwächeren Papieren im Nasdaq-100-Index. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf Insider berichtet, dass Peking chinesische Unternehmen angewiesen habe, lokal produzierte Chips für künstliche Intelligenz anstelle von Nvidia-Produkten zu kaufen. Dies sei Teil der Bemühungen des Landes, seine Halbleiterindustrie zu stärken und den US-Sanktionen zu begegnen.
Die Aktien der Warenhauskette Costco verloren nach der Bekanntgabe detaillierter Geschäftszahlen 1,8 Prozent und setzten ihre jüngste Konsolidierung auf hohem Niveau fort. Vor zwei Wochen hatten sie mit fast 924 Dollar einen Rekordwert erreicht. Die überraschend gute Gewinnentwicklung im vergangenen Quartal half dem Aktienkurs nicht. Zur Umsatzentwicklung hatte sich Costco bereits früher geäußert.
Die Papiere von Intel reagierten kaum bewegt auf die Meldung, dass der Halbleiterkonzern eine Kaufofferte des britischen Chipdesign-Unternehmens ARM Holdings für seine Produktsparte abgelehnt habe. Dies hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf Insider gemeldet. Die an der Nasdaq gehandelten ARM-Anteilsscheine büßten 2,4 Prozent ein.
Der Kurs des Euro bewegte sich auch im US-Handel nur wenig. Die Gemeinschaftswährung wurde zuletzt bei 1,1164 US-Dollar gehandelt. US-Staatsanleihen legten moderat zu. Die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen betrug 3,76 Prozent. (wr/baha/dpa-AFX)