Buchtipp der Woche: Königin Esther

Foto: Diogenes Verlag Königin Esther
Foto: Diogenes Verlag

Ein junger Mann, eine verschwundene Mutter und das Chaos des Erwachsenwerdens.

John Irving, einer der begnadetsten Autoren Nordamerikas, erzählt in seinem neuen Roman die tief berührende Geschichte von Jimmy Winslow. Der junge Mann ist angehender Schriftsteller, Suchender, Sohn. Die Suche gilt seiner leiblichen Mutter Esther Nacht – einer Frau, die sich konsequent jeder Festlegung entzieht. Von New Hampshire führt Jimmys Spur nach Wien, doch dort findet er vor allem eines: das Leben in all seiner wunderbaren Unordnung. Esther hingegen ist längst weitergezogen, ins politische Pulverfass des britischen Mandatsgebietes Palästina. Für Jimmy bleibt in Wien nur das Echo ihrer Entscheidungen. Und ein Auftrag, der ihn völlig überfordert: Er soll Vater werden, um im Ernstfall dem Militärdienst zu entgehen. Ein Plan, so aberwitzig wie typisch Irving.

Während Jimmy mit dieser Zumutung ringt, stolpert er in eine Wohngemeinschaft, die man selbst in den 1960ern nur als „ermutigend verrückt“ bezeichnen kann. Da ist seine Deutschlehrerin Annelies, die schnell zu seiner großen, hoffnungslos unerwiderten Liebe wird. Claude und Jolanda, seine Mitbewohner bei der resoluten Witwe Holzinger, treiben ihn gemeinsam in Abenteuer, die irgendwo zwischen jugendlichem Idealismus und purem Chaos pendeln. Und dann wären da noch: ein vaterloser Junge, der plötzlich in Jimmys Leben steht, ein Schäferhund mit Gewitterphobie und eine politische Weltlage, die sich hartnäckig weigert, irgendein Drama zu verschieben.

Was Irving hier erzählt, ist die Geschichte eines jungen Mannes, der gleichzeitig zu wenig und zu viel weiß. Der versucht, die Abwesenheit seiner Mutter zu verstehen, während er sich selbst erst erfindet. Der lernt, dass Erwachsenwerden nicht geradlinig verläuft, sondern sich eher wie eine Serie improvisierter Entscheidungen anfühlt. Natürlich immer mit der Gefahr, aus dem Takt zu geraten.

„Königin Esther“ ist ein Roman voller Wärme und Witz, getragen von Irvings unverwechselbarem Blick für die schrägen Randfiguren des Lebens. Doch dahinter steckt ein ernstes Thema: die Frage, wie wir unseren Platz in einer Welt finden, die unübersichtlich bleibt, selbst wenn wir erwachsen sind. Jimmy Winslows Weg ist chaotisch, komisch und zärtlich – und gerade deshalb so glaubwürdig.

Wahrscheinlich ist die mutigste Reise nicht die, die zu einem anderen Ort führt, sondern die, die uns zu uns selbst zurückbringt.

Das Buch ist seit dem 19. November im Handel, z.B. bei amazon (als Amazon Associate verdienen wir eine Provision für qualifizierte Einkäufe).

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