Brüssel (dpa) – Die Bundesregierung wirbt im Zuge der laufenden EU-Planungen für ein neues Paket mit Russland-Sanktionen auch für eine restriktivere Vergabe von Einreiseerlaubnissen in den Schengenraum. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wird in einem Positionspapier die vollständige Umsetzung von 2022 veröffentlichten Leitlinien der EU-Kommission gefordert. Mit diesen sollte die Vergabe von Visa an russische Staatsbürger für touristische Reisen oder Shoppingtouren in EU-Staaten eigentlich schon längst stark eingeschränkt werden.
Jüngste Zahlen zeigen, dass dies offensichtlich nicht passiert. So wurden nach EU-Daten im vergangenen Jahr durch Konsulate in Russland rund 542.000 Visa für Kurzzeitaufenthalte in EU-Ländern oder in anderen Schengenstaaten wie der Schweiz erteilt. Das waren zwar deutlich weniger als im Vor-Corona-Jahr 2019, aber rund ein Fünftel mehr als noch 2023.
Die Entwicklung sorgt vor allem in östlichen EU-Staaten für Frust. Dort wird seit langem kritisiert, dass es nicht sein könne, dass reiche, von der Regierung unter Kremlchef Wladimir Putin profitierende Russen an Mittelmeerstränden von EU-Staaten in der Sonne liegen, während in der Ukraine zahllose Menschen durch den russischen Angriffskrieg sterben.
Südliche EU-Staaten in der Kritik
Der Blick richtet sich dabei insbesondere auf südliche EU-Staaten, in denen Russen besonders gerne Urlaub machen. Die italienischen Konsulate in Russland vergaben 2024 beispielsweise mehr als 152.000 Schengen-Visa, was einem Plus von etwa 12 Prozent gegenüber 2023 entspricht. Französische Konsularbeamte stellten in Russland zuletzt rund 124.000 Visa aus, spanische etwa 111.000 und griechische knapp 60.000.
Zum Vergleich: Die deutschen Konsulate in Russland bewilligten 2024 lediglich rund 17.000 Anträge auf Schengen-Visa für Kurzaufenthalte. Dies waren rund 2.000 weniger als noch im Vorjahr und viel weniger als im Vor-Corona-Jahr 2019, als es noch fast 326.000 waren.
In den oben genannten EU-Zahlen sind zwar Langzeitvisa und in Drittstaaten vergebene Visa an russische Staatsbürger nicht enthalten. Nach Angaben von Diplomaten sind sie allerdings gute Vergleichsdaten. Die Gesamtzahl der 2024 von Deutschland an russische Staatsbürger vergebenen Schengen-Visa wurde zuletzt mit rund 27.300 angegeben. Hinzu kamen noch etwa 11.300 nationale Visa für Langzeitaufenthalte, die etwa für Studien- oder Arbeitsaufenthalte notwendig sind.
«Sehr strikter Ansatz» wird bereits seit 2022 gefordert
Begründen lässt sich eine restriktivere Visavergabe vor allem mit dem Ziel, die touristische Einreise von Russen zu unterbinden, die sich für die Interessen der russischen Regierung einsetzen oder sogar Kriegspropaganda verbreiten. Formal könnte sie über eine Neuregelung oder eine konsequentere Anwendung der bestehenden Leitlinien der EU-Kommission aus dem Jahr 2022 zustande kommen.
In ihnen heißt es etwa, «in Bezug auf russische Staatsangehörige, die als Touristen reisen, ist ein sehr strikter Ansatz gerechtfertigt, da es bei touristischen Reisen im Vergleich zu anderen Reisezwecken (Geschäftsreise, Familienbesuch oder Arzttermin) schwieriger ist, die Begründung der Reise zu beurteilen».
Die Bundesregierung wollte sich zu dem EU-internen Positionspapier zunächst nicht äußern. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, Deutschland habe die Kriterien für die Visavergabe an russische Staatsangehörige bereits zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verschärft. Dies gelte sowohl für nationale Visa als auch im Einklang mit den EU-Leitlinien für Schengen-Visa. Bei letzteren habe die 2024er-Zahl um mehr als 90 Prozent unter der des Jahres 2019 gelegen.
Behörde von Ursula von der Leyen hat Vorschlagsrecht
Einen konkreten Vorschlag für das weitere Vorgehen bei der Visavergabe durch EU-Staaten könnte die Europäische Kommission vorlegen. Sie arbeitet derzeit schon in enger Koordination mit den EU-Mitgliedstaaten an einem Plan für ein neues Paket mit EU-Russland-Sanktionen. Deutschland und Frankreich setzen sich in Brüssel unter anderem dafür ein, mit ihm auch den russischen Energieriesen Lukoil und Serviceunternehmen aus der Ölbranche mit Strafmaßnahmen zu belegen.
Zudem sollen nach dem Willen von Berlin und Paris finanzielle und logistische Schlupflöcher geschlossen werden, über die Russland bereits bestehende Sanktionen umgeht. Demnach könnten weitere russische Banken, ausländische Finanzinstitute mit Verbindungen zu dem von der russischen Zentralbank entwickelten Transaktionssystem SPFS sowie Kryptowährungsdienstleister in Zentralasien auf Sanktionslisten landen.