„Die Konstante in meiner Karriere ist die Wissenschaft“

Nicole Selenko-Gebauer (Foto Privat)
Nicole Selenko-Gebauer (Foto Privat)

Dr. Nicole Selenko-Gebauer startete ihr Karriere als Wissenschaftlerin. Nach dem Medizinstudium und der Facharztausbildung in Immunologie und Dermatologie wechselte sie in die Industrie. Heute ist die fünffache Mutter Group Vice-President und Chief Innovation Officer der Danaher Corporation. Courage wollte von der neuen Generation-CEO-Netzwerkerin wissen, wie sie es schafft, sich zwischen Familie und Beruf nicht aufzureiben und zugleich den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden.

Courage hat bereits hier über das Netzwerk Generation CEO e.V. und den Auswahlprozess berichtet. Seit September stellen wir alle 13 Top-Managerinnen in einer Serie vor – jeweils am Freitag.

Courage: Sie haben Ihre Karriere als Wissenschaftlerin in der Immunologie begonnen und sind nun Führungskraft eines großen globalen Konzerns. Wie sind Sie dort hingekommen?  

Nicole Selenko-Gebauer: Durch meine Neugier, zu lernen und vorwärtszugehen. Das Lernen und die eigene Weiterentwicklung haben mich seit jeher inspiriert. Die Konstante in meiner Karriere ist die Wissenschaft. Zuerst in der Grundlagenforschung, in der ich biologische Zusammenhänge von zellulären Interaktionen und deren Beeinflussung mit Hilfe von Proteinen und Antikörpern erforscht habe. Damals hat sich meine Passion für Sprache als Tool, um die Wissenschaft verständlich und begreifbar zu machen, etabliert. Auf Kongressen zu sprechen wurde meine Leidenschaft.  

Nach einigen Jahren in der Immunologie wollte ich dann lernen, klinisch mit Patienten zu arbeiten, und durfte an die Abteilung Immundermatologie am Universitätsspital in Wien wechseln. Professor Georg Stingl war dort mein Mentor und hat von Anfang an in mir etwas gesehen, was ich selbst nicht sehen konnte. Er hat mir Möglichkeiten gegeben zu wachsen, ließ mich ihn im Thema der Immuntherapien vertreten und erlaubte mir dadurch, meinen Horizont rasch zu erweitern.  

Doch die Wissenschaft in der Industrie weiterzutreiben war immer mein Antrieb… 

Warum wollten Sie nicht als Ärztin arbeiten?  

Ich habe den klinischen Beruf als Medizinerin sehr genossen. Die Kameradschaft mit den Kolleginnen und Kollegen wie auch die tiefen Beziehungen mit Patienten, das Anwenden des medizinischen Wissens waren ein wunderbares soziales wie auch intellektuelles Zuhause für mich. Am Ende meiner Facharztausbildung hat sich aber die Möglichkeit des Wechsels in die Industrie geboten. Ich wusste, dass mich diese Herausforderung weiter entwickeln würde, denn was ich nicht wollte, war, jeden Tag das Gleiche zu tun. Das Vorwärtsgehen ist wohl auch eine Konstante in meinem Leben. 

Wir wurden als Familie gebeten, in die Schweiz zu ziehen, was auch unglaublich reizvoll war. Medikamente zu entwickeln und mit der akademischen Elite eines Fachbereichs weltweit neue Forschungsziele zu setzen, um den Therapiestandard für Menschen zu erhöhen, ist eine unglaublich spannende Herausforderung. So haben wir „Ja“ zu diesem Schritt gesagt. 

Sie haben auch in den USA gearbeitet. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht, auch was die Karrierechancen von Frauen betrifft? 

Ich muss zugeben, dass die politische Kraft der Frau in Corporate America durchaus neu und inspirierend für mich war. Ich traf in den USA auf ein sehr diverses Führungsteam und war unglaublich beeindruckt von der Selbstsicherheit einiger meiner Kolleginnen. Ungleichheiten wurden eloquent angesprochen. Wir haben große Teams geführt, und ich erhielt viel Zuspruch, als fünffache Mutter und mit österreichischem Witz die Rolle des Corporate Officers auf meine Art zu interpretieren.  

Ich erinnere mich dabei auch an Zeiten von enormer Verantwortung. Das Führen in den USA war noch einmal anspruchsvoller. Ich habe so unglaublich viel gelernt: Ich kann Menschen dadurch noch schärfer antizipieren und besser „lesen“. Ich verstehe genauer, wo sie herkommen und was ihnen wichtig ist. Das alles mit vollstem Respekt und unsere Diversität umarmend. 

Am Schluss ist Corporate für mich ein Ort, an dem viele Menschen unglaublich viel für ihre Karriere geben. Das kostet Kraft und bringt Erfolge, aber auch Enttäuschungen, da nicht immer alles so funktioniert, wie man es sich wünscht. Für niemanden! Somit tragen wir alle kleine oder größere Rucksäcke von – nennen wir es – Schmerz, Enttäuschung, Selbstzweifel mit uns herum. Wir haben so viel gegeben und jeder einzelne möchte gesehen und wertgeschätzt werden. Wenn das Gewicht des Rucksacks zu schwer wird, merkt man es im Gespräch. 

Wie haben Sie es geschafft, sich zwischen Familie und Beruf nicht aufzureiben und den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden? Hatten Sie Unterstützung innerhalb der Familie? 

Wir hatten fantastische Unterstützung in der Familie, und wir beide haben uns gegenseitig unterstützt. Es ist ja unser beider Aufgabe, unsere Kinder großzuziehen und mein Mann ist ein fantastischer Partner in unserem gemeinsamen Lebensabenteuer. Wir ergänzen uns komplementär: Ich bin ein wenig das verrückte Huhn mit den großen Ideen und gehe frech in meinem beruflichen Umfeld vorwärts. Wenn mir dann manchmal alles zu viel wird oder ich Sorgen habe, wie wir das alles schaffen sollen, war immer er es, der mich vorwärts geschubst hat.   

Wir sind auch gemeinsam durch schwere Zeiten gegangen – bei der Diabetes-Diagnose unseres ältesten Sohnes, der in der Pandemie alleine in der Schweiz im Lockdown saß, da wir schon in den USA waren. Die überraschenden Reisebeschränkungen haben uns für einige Monate traumatisch als Familie auseinandergerissen.

Ein Kollege hat mich einmal gefragt: „Wie macht man das?“ Die einzige Antwort, die ich habe, ist das Annehmen des Nicht-perfekt-Seins. Ich kann keine perfekte Mutter sein. Je mehr ich beruflich unterwegs bin, desto weniger bin ich zuhause. So einfach ist das. 

Wenn die Kinder Teenager werden, hört man ihre Frustration ungefiltert. „Du warst nie da“ ist ein Vorwurf, den ich oft gehört habe und immer noch höre. Bin ich perfekt? Sicher nicht. 

Ohne Familie geht es nicht: vier Söhne, eine Tochter und ein Mann, der unterstützt und motiviert

Am Ende versuche ich, mir treu zu sein, mit mir selbst nicht allzu hart ins Gericht zu gehen und den Weg so zu gehen, wie es für meinen Mann und mich am besten scheint. Unsere Kinder wachsen in einer speziellen Familie auf. Wir schauen aufeinander und versuchen, Vorbilder zu sein. Es ist viel los und wir sind immer füreinander da. 

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