Berlin (dpa) – Nach der Berliner Gerichtsentscheidung gegen Zurückweisungen an Grenzen droht in der Regierungskoalition Streit über das weitere Vorgehen. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bekräftigte in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, am bisherigen Kurs und verstärkten Grenzkontrollen festhalten zu wollen. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch äußerte sich in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» gegenteilig: «Pauschale Rückweisungen wird es aus meiner Sicht nicht mehr geben können, weil die Gerichte das stoppen werden.»
Das Verwaltungsgericht Berlin hatte am Montag in einer Eilentscheidung festgestellt, die Zurückweisung dreier Somalier bei einer Grenzkontrolle am Bahnhof Frankfurt (Oder) sei rechtswidrig. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für einen Asylantrag der Betroffenen zuständig sei, dürften sie nicht abgewiesen werden. Die drei Somalier sind mittlerweile in Berlin.
Dobrindt will Klärung durch Europäischen Gerichtshof
«Das ist ein Einzelfallurteil», sagte Dobrindt. Das Gericht habe angemerkt, dass die Begründung für die Anwendung von Artikel 72 – einer Ausnahmeregel im Europäischen Recht – nicht ausreichend sei. «Wir werden eine ausreichende Begründung liefern, aber darüber sollte der Europäische Gerichtshof entscheiden.» Die Präsidentin des Berliner Verwaltungsgerichts Erna Viktoria Xalter sagte im Interview mit «Zeit Online»: «Wie soll das zum EuGH durchlaufen? Die Eilentscheidung ist unanfechtbar.» Sie gehe davon aus, dass es auch an anderen Grenzen, durch andere Bundespolizeidirektionen, zu Zurückweisungen komme, die dann von anderen Gerichten überprüft würden.
Miersch: erwarte Überprüfung der bisherigen Praxis
Nach Ansicht von SPD-Fraktionschef Miersch wirft die Entscheidung des Gerichts sehr grundsätzliche Fragen auf. Die schwarz-rote Regierung werde sich damit auseinandersetzen müssen. «Das hat der Kanzler (Friedrich Merz) im Übrigen auch sehr deutlich erklärt, als er sagte, dass vor dem Hintergrund dieser gerichtlichen Entscheidung die Praxis noch mal überprüft werden muss», sagte Miersch. «Und das erwarte ich jetzt auch, weil wir ansonsten erleben werden, dass wir in den nächsten Monaten weitere Verfahren verlieren.»
Dobrindt hatte kurz nach dem Antritt der neuen Regierung vor einem Monat intensivere Grenzkontrollen verfügt. Gleichzeitig ordnete er an, dass künftig auch Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden können. Kanzler Merz (CDU) hatte nach der Verwaltungsgerichtsentscheidung erklärt, an der Zurückweisung Asylsuchender an der Grenze festzuhalten. Die Entscheidung enge die Spielräume zwar möglicherweise noch einmal etwas ein. Aber man wisse, dass man nach wie vor Zurückweisungen vornehmen könne.
CSU attackiert Pro Asyl: «Züge einer Inszenierung»
Aus der CSU kommen derweil schwere Vorwürfe in Richtung der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl, die die drei somalischen Asylsuchenden bei ihrer Klage unterstützt hatte. Der Fall trage «fast absurde Züge» und deute auf eine «Inszenierung» hin, sagte der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Hoffmann, der «Augsburger Allgemeinen». «Pro Asyl ist schon seit Jahren entlang der Fluchtrouten unterwegs, auch an den Grenzübergängen. Dort wird Flüchtlingen empfohlen, ihre Ausweise wegzuwerfen, weil das eine Abschiebung aus Deutschland deutlich erschwert», sagte er.
Hoffmann sagte weiter: «Eine Person war bei den ersten beiden Einreiseversuchen volljährig und ist beim dritten Versuch auf einmal minderjährig, sie hat Ausweisdokumente dabei, die Merkmale von Fälschungen aufweisen.» Alle drei Personen hätten nagelneue Handys gehabt, mit denen man die Reiseroute nicht zurückverfolgen könne. «Für mich trägt das klare Züge einer Inszenierung durch Asyl-Aktivisten.»
Pro Asyl weist «falsche Unterstellungen» zurück
Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Karl Kopp, entgegnete in der Zeitung, diese Vorwürfe hätten nichts mit den Fakten zu tun. «Wir sind eine Menschenrechtsorganisation und unterstützen Geflüchtete vor Gericht», betonte er. «So war es auch im Fall der drei Menschen aus Somalia, von denen eine Frau noch minderjährig ist.» Dass man Menschen empfehle, ihre Ausweise zu entsorgen oder neue Handys anzuschaffen, seien falsche Unterstellungen. «Damit wird unsere Arbeit angegriffen.»