Berlin (dpa) – Auch mit über 80 Jahren veröffentlicht die Bestsellerautorin Isabel Allende noch alle ein bis zwei Jahre einen neuen Roman. 2023 überraschte sie mit einer hochaktuellen Geschichte zum Flüchtlingsdrama in den USA («Der Wind kennt meinen Namen»). Nun folgt mit «Mein Name ist Emilia del Valle» ein klassischer historischer Roman, eine Abenteuer- und Emanzipationsgeschichte voller Liebe, Schmerz, Courage und Freiheitssehnsucht.
Wie bei Allende üblich, ist die Hauptfigur eine unerschrockene Frau, die sich aus dem Korsett des Patriarchats befreit und gegen alle Widerstände ihren selbstbestimmten Weg geht. Allende stellt in ihrem aktuellen Werk allerdings nicht nur ihre Vorliebe für eigenwillige Frauen unter Beweis, sondern einmal mehr ihre große Anhänglichkeit an ihr Heimatland Chile, das sie vor Jahrzehnten aus politischen Gründen verlassen musste. Zwei Drittel des Romans spielen in dem Andenstaat.
Emilia del Valle wird 1866 als Tochter einer irischen Nonne und eines chilenischen Adligen in San Francisco geboren. Der Vater entpuppt sich schnell als verantwortungsloser Hallodri, der sich noch vor der Geburt des Mädchens aus dem Staub macht. Doch die kleine Emilia bekommt einen treu sorgenden Stiefvater, ihren geliebten Papo, der sie den missglückten Start ins Leben schnell vergessen lässt. Es folgt eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Karriere als Romanautorin und Journalistin, der sie zunächst noch unter einem männlichen Pseudonym nachgeht. Keine Frage, dass die junge Dame auch in Liebesdingen ihre ganz eigenen Vorstellungen hat.
Autorin will an den Sturz von Salvador Allende erinnern
Schließlich soll Emilia als Kriegsreporterin für eine angesehene amerikanische Tageszeitung über einen blutigen Konflikt in Chile berichten. Durch diesen Kniff gibt Allende ihrer Heldin die Möglichkeit, nach ihrem Vater zu suchen. Gleichzeitig macht sie sie zu einer Akteurin des chilenischen Bürgerkriegs, der sich 1891 entlud.
Dieser hierzulande unbekannte Bürgerkrieg wird in epischer Breite bis in seine grausamsten Details ausgemalt, Emilia selbst befindet sich im wilden Schlachtengetümmel. Bei der Vorstellung ihres Buchs in Spanien erklärte Isabel Allende, sie habe den chilenischen Bürgerkrieg des 19. Jahrhunderts zum Thema des Romans gemacht, weil er sie an den gewaltsamen Sturz des Präsidenten Salvador Allende 1973 erinnere, einem Verwandten der Autorin. Der Putsch gegen ihn hatte großen Einfluss auf ihr eigenes Leben. Für deutsche Leser dürften die Details dieses räumlich wie zeitlich doch sehr entfernten und komplexen Bürgerkriegs von 1891 nicht so interessant sein. Allende kann hier allerdings kraftvoll ihr erzählerisches Talent in allen Facetten und unterschiedlichen Szenarien entfalten.
Romanfigur erscheint unglaubwürdig
Mit 83 Jahren ist Isabel Allende eine routinierte Erzählerin. Auch ihr neuer Roman liest sich wieder flüssig, unterhaltsam und auch über weite Strecken spannend. Trotzdem kann der Roman nicht in allen Aspekten überzeugen. Sicher, Allende hat einen Roman geschrieben und kein Sachbuch, aber die Hauptfigur Emilia del Valle erscheint doch allzu unglaubwürdig, eher wie eine Frau des 21. als des 19. Jahrhunderts. In sie hat Allende alles hineininterpretiert, was ihr selbst wichtig ist: berufliche Unabhängigkeit, sexuelle Selbstbestimmung, Freiheitslust und Mut. Emilia ist eine Frau, die die Konventionen sprengt und gegen alle Erwartungen und die historische Wahrscheinlichkeit damit auch durchkommt.
Es ist sicher kein Zufall, dass Emilias Familienname der gleiche ist wie der der Familie del Valle in Allendes erstem Roman «Das Geisterhaus», mit dem sie 1982 berühmt wurde. Der magische Realismus, der dieses Werk auszeichnete, findet sich auch im aktuellen Buch, denn am Ende driftet Emilias Suche nach ihren chilenischen Wurzeln in eine märchenhafte Welt ab. Allerdings erscheint diese magische Wendung hier doch wie ein Stilbruch, der nicht zum Rest des Buches passen will.