Bewerben bei der Bundeswehr? Für den Freiwilligen Wehrdienst? Als Feldjägerin? Falls die Wehrpflicht ein Come-back macht, wollte ich wissen, was einen da erwartet. Also habe ich es ausprobiert.
Mehrere Hundert Pressemitteilungen der Deutschen Presseagentur (dpa) erreichen die Courage-Redaktion täglich. Ein immer größer werdender Teil davon sind Kriegsberichte aus der Ukraine und dem Nahen Osten. Dass der Krieg erneut Einzug in Redaktionen gehalten hat, ist nicht verwunderlich – spätestens seit dem 24. Februar 2022 ist er auch in unseren Köpfen angekommen und erweitert das Tischgespräch um ein fassungsloses Kopfschütteln. Wer hätte das gedacht – Krieg vor der Haustür?
Die Wehrpflicht, die immer noch nur für Männer gilt, ist seit 2011 ausgesetzt. Allerdings gibt es immer wieder Überlegungen, sie erneut einzuführen. Wenn es aber so weit kommen sollte, dass künftige Schulabgänger statt sich an der Uni zu immatrikulieren erst mal ihre Grundausbildung antreten, dass Laptops und Gesetzestexte ersetzt werden durch Marschstiefel und Helme (wovon wir ja immerhin noch welche haben) – was erwartet einen jungen Menschen dann tatsächlich? Für Courage wollte ich es herausfinden und habe mich für den Freiwilligen Wehrdienst beworben.
Nach einem ersten Gespräch mit einem freundlichen Hotline-Mitarbeiter landete ich keine drei Tage später in einem Beratungsbüro der Bundeswehr in München. Von einem gewöhnlichen deutschen Verwaltungsgebäude hob es sich im Grunde genommen nur durch camouflagefarbene Tapeten und Sitzgelegenheiten in den Fluren ab. Der mir gegenübersitzende Berufssoldat klärte mich in gut eineinhalb Stunden über die verschiedenen Berufsfelder bei der Bundeswehr auf – wovon es mehr gibt, als ich mir vorgestellt hatte.
Wehrdienst, Soldat auf Zeit oder Studium?
Bewerben kann man sich unter anderem als Soldat auf Zeit, wofür man sich mindestens zwei Jahre verpflichtet. Mich interessierte aber der klassische Wehrdienst – hier sind es mindestens sieben Monate, inklusive der drei Monate Grundausbildung. Wer über die Bundeswehr studieren möchte, kann zwischen mehr als 50 Studiengängen an zwei Universitäten in Deutschland wählen. Eine Alternative für Leute, die für eine staatliche Universität nicht den nötigen Schnitt mitbringen, wie etwa für Medizin oder Psychologie.
Nachdem sich bei mir, einer vermeintlichen Studienabbrecherin, herausstellte, dass ich mich gern als Feldjägerin im Freiwilligen Wehrdienst bewerben will, leitete mein Gesprächspartner den Bewerbungsprozess ein. Das sogenannte „Karrierecenter“ verließ ich mit einem dicken Packen Unterlagen, durch welche ich mich durcharbeiten musste. Angeben sollte ich zum Beispiel alle meine bisherigen Wohnorte, meine Accounts bei sozialen Netzwerken sowie Beziehungen zu Personen aus der sogenannten „Staatenliste“ (gemeint sind Problemstaaten wie der Iran, Russland, die Ukraine oder Nordkorea). Auch verwandtschaftliche Beziehungen zu ehemaligen DDR-Bürgern werden abgefragt.
Ein Gutachten, das lügend zu absolvieren war
Schon rund zwei Wochen später erhielt ich die Einladung zum Assessment. Für eineinhalb Tage rückte ich in eine Kaserne in München ein, um diverse Tests für meine Eignung zu absolvieren. Darunter unter anderem die medizinische Musterung (für die neugierigen jungen Männer: Nein, das mit dem Finger machen sie heutzutage nicht mehr), eine Sicherheitsüberprüfung und schließlich ein psychologisches Gutachten, das ich lügend absolvieren musste. Ich hatte mich bis jetzt immer für eine schlechte Lügnerin gehalten, das hier war also meine Feuerprobe.
Nachmittags fand ich mich in der Kaserne ein, nur ein paar Gebäude entfernt vom Karrierecenter, wo mein Bewerbungsexperiment knapp sechs Wochen zuvor begonnen hatte. Wenig überraschend gab es erneut einige Papiere zum Ausfüllen; langsam kam es mir vor, als hätte ich dieselben Fragen schon mindestens dreimal im Laufe der Bewerbung beantwortet. Das könne im Übrigen durchaus sein, klärte man mich später auf: Die interne Kommunikation passiere hier noch überwiegend in Papierform.
Ich drückte die Blätter einem älteren Mann mit pergamentfarbenem Teint in die Hand, im Gegenzug erhielt ich die Schlüssel für mein Zimmer. Die einzigartige, typisch-träge Gemächlichkeit deutscher Verwaltungsräume verschwand in dem Augenblick, als ich den Wohnbereich der Kaserne für die Nacht betrat. Man roch den Angstschweiß auf den Fluren förmlich, alle vibrierten vor Nervosität. So auch meine schweigsame Zimmergenossin, die ich erst nach einigen Versuchen in ein Gespräch verwickeln konnte.
In starkem bayerischem Dialekt erklärte sie, dass sie sich als Sanitäterin bewerben will. Sie komme aus einem Dorf in der Nähe zur tschechischen Grenze. Der Abiturschnitt reiche leider nicht für ein normales Hochschulstudium, daher der Weg über die Bundeswehr. Wie sich herausstellte, war das bei den nur drei anderen weiblichen Bewerbern ebenfalls so. Dass ich hingegen eine Karriere in der Militärpolizei, als Rangniedrigste, anstrebte, wurde mit einem gewissen Unglauben quittiert.
Jetzt wurde ich fast ein wenig trotzig. Musste man denn speziell aussehen, um „mit schwarzer Farbe im Gesicht bei Eiseskälte im Dreck herumzurobben“, wie es ein Offizier – nach einem prüfenden Blick auf mich – erläuterte? Mehr denn je wollte ich nun in diesem männerdominierten Feld herausfinden, ob ich das Zeug zur Fußsoldatin habe.
Junge Zivilisten, die uns anpfiffen
Abends wurde die Bettwäsche in Zweierreihen aus einem Nebengebäude geholt, ein spannender Moment, beobachtet von einigen Schaulustigen. Schließlich befindet sich das Karrierecenter mitten in der Münchner Innenstadt, nicht weit entfernt vom Hauptbahnhof. Als einige zivile Jugendliche uns anpfiffen und den Gehorsam der männlichen Bewerber grinsend kommentierten, erreichte die ohnehin schon testosterongeladene Stimmung einen kurzzeitigen Höhepunkt. Der junge Mann hinter mir raunte seinem Nachbarn etwas zu, was verdächtig nach dem Wunsch klang, eine Waffe zu zücken.
Es war kaum 05:30 Uhr am nächsten Tag, und der Nachtdienst platzte mit einem „Guten Morgen! Aufstehen bitte!“ in unsere Stube. Ein kurzes Frühstück folgte, anschließend ging es los. Mit einer olivgrünen Laufmappe machte ich mich auf den Weg zu meiner ersten Station des Tages: medizinisches Assessment. Zunächst bedeutete das Wiegen, Messen in Höhe und Breite, einen Seh- und Hörtest sowie die Abgabe einer Urinprobe. Daraufhin wurde ich einer ausführlichen ärztlichen Untersuchung mit Gespräch unterzogen, in der ich buchstäblich einmal völlig ausgezogen wurde. Basierend darauf wurde schließlich meine Tauglichkeit bestimmt – sie ist nach dem Schulnotensystem skaliert.
Abstufung auf den Tauglichkeitsgrad zwei
Zwei Ärztinnen führten Atem- und Blutdruckmessungen an mir durch, tasteten meine Lymphdrüsen ab, testeten Reflexe, Gleichgewicht und insbesondere die Beweglichkeit und Muskulatur meiner Beine. Vorher hatte ich angegeben, zweimal am rechten Fuß Knochenbrüche beziehungsweise Sehnenrisse erlitten zu haben, dadurch erfolgte meine Abstufung auf den Tauglichkeitsgrad zwei.
Nachdem ich wieder angezogen war, schloss sich die wesentlich schnellere Sicherheitsüberprüfung an. Erneut musste ich einen Fragebogen ausfüllen und Auskunft über Nationalität, Herkunft und Nähe zu extremistischen Organisationen geben. Die Mittagspause ließ ich ausfallen und verbrachte sie mit meinen Mitbewerbern. Denn ich wollte herausfinden, was das eigentlich für Leute sind, die sich freiwillig bei der Bundeswehr bewerben und Soldaten werden wollen.
Feststellen konnte ich zunächst einmal einen großen, wenn auch anekdotischen Unterschied zwischen den jungen Frauen und Männern. Während die Frauen, deutlich in der Unterzahl, das Ganze pragmatisch betrachteten, um ihren Traum vom Medizinstudium verwirklichen zu können, mischte bei den Männern noch ein anderer Faktor mit: die Lust am Kämpfen. Im direkten Gespräch waren sie durchaus hilfsbereit, gerade für jemanden wie mich, der sehr unvorbereitet schien (und war!), in der Masse hingegen laut und auf eine ungewohnte Art auch bedrohlich. Kameradschaft macht schließlich stark, darauf wird in Kasernen viel Wert gelegt.
Gleichwohl soll eine gewisse Heterogenität an dieser Stelle durchaus erwähnt werden. Es gab auch den scheuen, gerade 18-jährigen jungen Mann, der mit dem hohen Ausbildungsgehalt eigentlich nur sein erstes eigenes Auto finanzieren wollte. Oder den rothaarigen, etwas flapsigen Brillenträger, der mit Mobbing in der Schule zu kämpfen hatte und eigentlich nur gern mal irgendwo dazugehören wollte – zu etwas, was größer ist als man selbst. Das konnte ich gut nachvollziehen. Und natürlich gab es da auch die Kandidaten, bei denen das Intermezzo beim Freiwilligen Wehrdienst eher wie eine elterliche Disziplinarmaßnahme wirkte. Mit teilweise mäßigem Erfolg, für einen von ihnen war die Reise vormittags schon wieder zu Ende: Bei der Sicherheitsüberprüfung hatte sich herausgestellt, dass gegen ihn ein Strafverfahren wegen bewaffnetem Raubüberfall auf eine Dönerbude anhängig war; zumindest meldete das der Flurfunk.
Traue ich mir den Umgang mit einer Waffe zu?
Im Büro einer hochschwangeren Psychologin fand mein Abenteuer Bundeswehr dann seine Endstation. Das Gutachten, das über mich erstellt wurde, basierte zum einen Teil auf einer Schriftprobe, welche ich vorher hatte abgeben müssen. Darin hatte ich ausführliche Antworten auf persönliche Fragen geben müssen: Was für eine Schülerin war ich? Wo sehe ich meine Stärken, meine Schwächen? Welche Hobbys hatte ich als Kind und warum gab ich sie gegebenenfalls auf? Wie reagiere ich auf Stress, und traue ich mir den Umgang mit einer Waffe zu?
Anschließend folgte noch ein persönliches Gespräch mit der Gutachterin. Grünes Licht für eine Stelle bei der Bundeswehr hätte ich tatsächlich erhalten. Nicht allerdings ohne die Bedenken der Psychologin, ich sei vermutlich jemand, der sich schwertue, Befehle zu befolgen. Ein „Freigeist“ wie ich, der in seiner Jugend gern Filme mit seinen Freunden gedreht hatte, sei keine übliche Kandidatin für eine Feldjägerin.
Alles in allem scheinen die Uhren auf den Fluren der deutschen Bundeswehr doch deutlich anders zu gehen als in anderen Staatsdiensten. Das verleiht ihr als Institution sicherlich eine gewisse Stabilität und Verlässlichkeit. Und die Bewerber? Die schien trotz aller Unterschiedlichkeiten doch eins zu verbinden: Ihrem Land dienen zu können war für alle auch eine Frage der Ehre. Beim Verlassen der Kaserne machte ich jedoch innerlich drei Kreuze, weil ich bei einer Wiedereinführung der Wehrpflicht vermutlich schon zu alt dafür sein werde.