Eine neue Beziehung im Trauerjahr: Okay oder problematisch?

Bei der quälenden Frage, ob man sich nach dem Verlust neu verlieben darf, kann es helfen, sich vorzustellen, was der oder die Verstorbene dazu sagen würde.
Bei der quälenden Frage, ob man sich nach dem Verlust neu verlieben darf, kann es helfen, sich vorzustellen, was der oder die Verstorbene dazu sagen würde. Foto: Julian Stratenschulte/dpa/dpa-tmn
Monatelang schwarz tragen und sich zurückziehen, wenn der Partner gestorben ist? Diese Konventionen des Trauerjahres sind längst passé. Dennoch kann eine schnelle neue Beziehung Probleme bereiten.

Stuttgart/Karlsruhe (dpa/tmn) – «Ich habe da jemanden kennengelernt…» Wer diesen Satz sagt, möchte Freunden oder Angehörigen mitteilen, dass es jemand Neues an der Seite gibt. Oft kommt diese Aussage nicht unbedingt euphorisch, sondern etwas zögerlich – vor allem dann, wenn es eine Ehefrau oder einen Ehemann gab, der verstorben ist. 

Und nicht immer stößt diese Neuigkeit auf Begeisterung. Vor allem dann nicht, wenn der Todeszeitpunkt desjenigen erst einige Monate zurückliegt. So manche – vor allem Ältere – schütteln dann innerlich den Kopf und denken sich: «Das Trauerjahr ist doch noch gar nicht um!» Aber: Gibt es das eigentlich noch? Und ab wann ist eine neue Beziehung «angemessen»?

«Die Frauen machen das besser»

Für den Trauertherapeuten und Autor Roland Kachler ist eines ganz klar: «Das klassische Trauerjahr ist keine eigene Maßeinheit», sagt er. Die zentrale Frage, ob eine neue Partnerschaft gut für jemanden ist, lautet: Wofür wird sie eingesetzt? «Wenn sie zur Vermeidung der Trauer und des Verlustschmerzes führt, dann wird sie eher zu einem Abwehrmechanismus.» Vor allem Männer neigen in der Regel dazu: als Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit. 

Genau, um diesen Schmerz zu dämpfen und zu vermeiden, lassen sich Männer dann früh auf neue Partnerinnen ein. «Das ist ein ganz starkes geschlechtstypisches Thema», sagt Kachler. «Man könnte sagen, die Frauen machen das besser.» Indem sie Trauer und Schmerz zulassen und sich intensiv auf die Gefühle einlassen.

Oft jedoch werden Männer von ihren zurückgeschobenen Gefühlen wieder eingeholt. «Es passiert, dass sie nachts im Schlaf den Namen ihrer verstorbenen Frau rufen, während die dazugekommene Partnerin daneben im Bett liegt. Das zeigt, dass derjenige die Trauer nicht wirklich gut hat gehen lassen und der verstorbenen Frau keinen guten Platz gegeben hat.»

Loyalität gegenüber den Verstorbenen

Auch Marei Rascher-Held, Vorsitzende des Bundesverbandes Trauerbegleitung, hat die Erfahrung gemacht, dass manche Trauernden recht bald eine neue Beziehung eingehen. «Das bedeutet aber nicht, dass die frühere Beziehung keine große Bedeutung hatte. Das Eine hat mit dem Anderen nichts zu tun!» Bei vielen bleibe trotz neuer Partnerschaft dennoch das Gefühl: «Aber ich vermisse meine Frau oder meinen Mann unendlich.»

Für Freunde und Angehörige ist das Thema «neuer Partner» oder «neue Partnerin» ebenfalls mit vielen Emotionen verbunden. «Bei vielen kommt da schnell das Gefühl herein, die verstorbene, wichtige Partnerin wird nicht gewürdigt, sondern einfach schnell ersetzt», sagt Kachler. «Und dann wehrt sich dieses Umfeld gegen dieses Ersetzen.» Auch, weil man sich loyal gegenüber den Verstorbenen fühlt und spürt, dass es vielleicht eher um ein Verdrängen statt um eine neue, unbeschwerte Liebe geht.

Innerer Dialog kann entlastend sein

Außerdem kann man – vielleicht trotz aller Verliebtheit – auch selbst innere Konflikte damit haben, sich auf einen neuen Partner einzulassen. «Manche haben dem Verstorbenen gegenüber ein schlechtes Gewissen», hat Trauerbegleiterin Marei Rascher-Held erlebt. Obwohl der Partner gestorben sei, hätten diese das Gefühl, fremdzugehen und den anderen durch sein Verhalten zu verletzen. Dann kann helfen, einen inneren Dialog mit dem Verstorbenen einzugehen. 

Rascher-Held kennt Trauernde, deren Ritual es ist, morgens bei einer Tasse Kaffee oder Tee erst einmal «Guten Morgen» zu sagen und einen Kontakt und eine Verbundenheit mit dem verstorbenen Mann oder der verstorbenen Frau zu suchen. Bei der quälenden Frage, ob man sich wirklich neu verlieben oder sein Leben genießen dürfe, kann es helfen, sich vorzustellen, was der oder die Verstorbene dazu meinen würde. «Das ist oft entlastend», sagt die Trauerbegleiterin. «Denn häufig wissen die Hinterbliebenen doch, was der Partner oder die Partnerin ihnen gesagt hätte.» 

Wo sind meine Glaubenssätze?

Das eigene Empfinden hänge dabei stark vom Umfeld ab, in dem ich lebe, und auch davon, wie ich erzogen wurde. «Die Frage: “Was würden meine Eltern dazu sagen?” Oder: “Was sagen meine Nachbarn dazu?” beschäftigt Trauernde immer wieder», sagt sie. Ihr Rat: «Man sollte in sich hineinhorchen und sich fragen: Wo sind meine Glaubenssätze, die mir sagen, was wir dürfen und was nicht?» Also tief verwurzelte Überzeugungen, die unser Denken, Fühlen und Handeln prägen und oft in der Kindheit entstanden sind.

Wann aber ist der richtige Zeitpunkt für eine neue Beziehung? Woran merke ich, dass ich dafür bereit bin? «Eineinhalb bis zwei Jahre wären ein gutes Zeitmaß, wenn man überhaupt eines nennen kann», rät Roland Kachler. Auf jeden Fall gilt, dass man sich innerlich wirklich frei fühlen sollte, im wahrsten Sinne des Wortes: «Die entscheidende Frage ist: Ist die Trauer soweit abgeflossen, dass auch mein Herz frei geworden ist. Und dass der oder die Verstorbene dort auch einen guten, aber begrenzten Platz gefunden hat.»

Jeder geht seinen eigenen Weg

Kritik oder gar Vorwürfe, dass sich jemand «zu früh» neu binde, sind jedoch fehl am Platz. «Ich würde nie sagen: Sie müssen sich noch Zeit geben! Da geht jeder komplett seinen eigenen Weg», sagt Rascher-Held. «Wenn jedoch jemand merkt, er hat sich überfordert, er hat sich auf eine Beziehung eingelassen und fühlt, dass es ihm nicht gut damit geht, dann sollte man daraus einfach eine Erfahrung ziehen», rät die Trauerbegleiterin.

Vor allem bei Kindern sensibel sein

Was aber, wenn mir der neu hinzugekommene Mann oder die Frau an meiner Seite guttut? Dass ich mit ihm oder ihr offen über den Verlust des Verstorbenen und meine Trauer reden kann, wenn ich neuen Lebensmut schöpfe und wieder Freude am Leben habe? Dann wird es irgendwann Zeit, das auch seinem Umfeld mitzuteilen. 

Wie das aufgenommen wird, hängt von vielen Kriterien ab: nicht nur vom Zeitpunkt nach dem Tod des früheren Partners, sondern auch vom Lebensabschnitt. Und vor allem, ob es Kinder gibt und wie alt diese sind. «Wichtig ist, Kindern klarzumachen, dass etwa eine dazukommende Partnerin nicht bedeutet, dass die Mutter dann gar nicht mehr existiert oder wir so tun, als hätte es sie nie gegeben», unterstreicht Kachler.

«Oft spielt auch eine Rolle, wie offen grundsätzlich in einer Familie kommuniziert wurde und wie offen man mit dem Tod umgegangen ist», sagt Marei Rascher-Held. Wichtig sei es jedoch, sich zu der neuen Beziehung zu bekennen und deutlich zu machen: «Ich weiß vielleicht noch nicht, ob es für immer hält. Aber er oder sie tut mir gut!»

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