Einmal Start-up und zurück

Foto: Carina Goldschmmid; privat
Foto: Carina Goldschmmid; privat

Endlich kreativ durchstarten – das ist oft der Antrieb, eine eigene Firma zu gründen. So war es auch bei Carina Goldschmid. Doch dann verkaufte sie ihre PR-Agentur – und arbeitet seither als Angestellte dort. Warum nur? Über eine Freiheitssuche mit Umwegen

Von Moritz Kudermann und Jeanne Wellnitz

„Das kannst du doch nicht machen!“, riefen ihr Freunde und Arbeitskolleginnen zu. „Du hast so hart gearbeitet, um als Unternehmerin Fuß zu fassen.“ Und: „Willst du wirklich deine Freiheit aufgeben?“ Aber Carina Goldschmid ließ sich nicht beirren. Sie hatte acht Jahre lang hart für ihre kreative Freiheit gearbeitet, mühsam ihre eigene PR-Agentur aufgebaut – nur um am Ende unter das Dach einer anderen Agentur zu schlüpfen? Ja, genau das wollte die 32-jährige studierte Kommunikationsmanagerin. Im Oktober 2024 hieß es also: Die 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrer PR-Agentur Startup Communication gehen fortan ins Münchner Büro der Berliner Kommunikationsagentur Piabo.

Eigentlich ein starker Schritt, doch aus Goldschmids Umfeld kommt statt Gratulationen vor allem Gegenwind. Dabei hat sie lange abgewogen – und sich dann ganz bewusst für den Verkauf entschieden. Denn es gab ein unschlagbares Argument für sie: „Ich habe von Anfang an klargemacht, dass ich bei Piabo keine administrativen Dinge mehr tun muss“, sagt Goldschmid und lacht. Denn davon hatte sie genug. Statt kreativer Kampagnen bestand ihr Alltag als Unternehmerin in den vergangenen Jahren nämlich eher darin, Rechnungen zu schreiben, Stellenanzeigen zu schalten oder kleinere Hausmeistertätigkeiten zu erledigen. Für ihre eigentliche Arbeit, die Kommunikation für innovative Unternehmen, blieb kaum noch Zeit. „Dabei treibt mich genau das an“, sagt sie. Das war schon immer so. 

Rückblick. München, 2012. Auf dem Papier klang alles so gut: Die Einstiegsposition in der internen Kommunikation bei der deutschen Tochter einer internationalen Großbank. Ein Einstiegsgehalt von 3500 Euro – damals ein beachtlicher Betrag für die Berufsanfängerin. Doch dann sah Goldschmids Realität so aus: Unmotivierte Kolleginnen und Kollegen, die sich ständig über zu viel Arbeit beschwerten, obwohl es nichts zu tun gab. Und ein Chef, der diese Probleme zwar bemerkte, aber nichts daran änderte. 

Sterben vor Langeweile

Statt etwas bewegen zu können, starrte Goldschmid auf einen leeren Kalender. Die Aufgaben einer Woche hatte sie in drei Stunden bewältigt, erzählt sie: News suchen, mit den Abteilungen darüber sprechen, Artikel für die Mitarbeiterzeitschrift aufbereiten. Montagmittag war das alles erledigt. Vier weitere Arbeitstage breiteten sich schier endlos vor ihr aus. „Ich wusste: Wenn ich hierbleibe, sterbe ich vor Langeweile“, erinnert sich Goldschmid.

Damals war sie 21 Jahre alt und voll motiviert. Sie konzipierte also ohne Auftrag Rubriken für das Unternehmensmagazin, plante Interviews und überlegte sich Gewinnspiele. Doch statt die Vorschläge anzunehmen, blockte ihr Chef ab. Dafür gebe es eine Agentur, die übernehme das. „Ich habe überhaupt nicht verstanden, wieso wir das nicht selbst machen“, so Goldschmid. „Wir hatten ja genug Leute und Zeit dafür.“

Lange hielt es die Berufseinsteigerin deshalb nicht in diesem Job aus. Rund ein Jahr nach ihrem Start kündigte Goldschmid. Sie hatte einen neuen Plan: Wenn eine Agentur ihre Ideen umsetzt, dann muss das doch genau der richtige Ort für sie sein. Da ihre Erfahrung aus der internen Kommunikation ihr im PR-Bereich nicht viel brachte, bewarb sie sich auf ein Volontariat bei einer Münchener PR-Agentur – für 1.500 Euro im Monat. Verrückt, nannten es ihre Freunde. Einen Rückschritt. Sie profitiere doch vom Namen des Unternehmens und verdiene noch dazu gutes Geld. So erinnert sich Goldschmid an die Zeit. 

Aber sie hielt an ihrem Vorhaben fest, denn die PR-Agentur war auf Sport und Events spezialisiert. Ihr Spezialgebiet. Jedes Wochenende verbrachte die ausgebildete Skilehrerin damals in den Bergen. Bei der Agentur arbeitete sie dann passenderweise für Kunden wie den Tourismusstandort Innsbruck oder Ischgl.

Doch mit der Zeit fühlte sie sich auch dort ausgebremst. So wollte sie etwa im Januar 2015 einem Kunden ein Freeride-Event mit bekannten Sportlern vorschlagen, um Touristen anzuziehen. Sie sprach mit ihrer Abteilungsleiterin, die sah dafür keinen Anlass: Wieso etwas Neues vorschlagen? Der Kunde sei zufrieden und beschwere sich nicht. Goldschmid glaubte aber an ihre Idee und wandte sich an den Firmenchef. Der fand den Vorschlag gut und schlug ihn dem Kunden vor, die Idee wurde umgesetzt. Als die Abteilungsleiterin das erfuhr, gab es Streit. Carina Goldschmid machte das aber nichts aus: „Wenn es knallt, dann knallt es.“

Zehn Monate später, im November 2015, öffnete sich für Goldschmid eine Tür. Ein Freund hat an der TU München ein Tech-Start-up gegründet und beklagte, dass es kaum Agenturen für Start-up-Kommunikation gebe. Die damals 24-Jährige half aus und tüftelte an einer Strategie – unbezahlt und neben ihrer Arbeit, einfach aus Freude und Interesse am Projekt. Dabei merkte sie, wie gern sie selbstbestimmt arbeitet. Endlich kein Widerstand, endlich niemand, der sie blockiert. Und am Ende ein greifbares Resultat für das Start-up: Es gewann neue Kunden und legte so den Grundstein für eine erfolgreiche Finanzierungsrunde.

Durch das Projekt witterte Goldschmid die Chance, ihre eigene Agentur zu gründen. „Seit ich 16 Jahre alt war, habe ich von einem eigenen Unternehmen geträumt“, sagt sie. Nun, mit 24 Jahren, konnte sie diesen Traum wahr machen. „Bis auf einen Laptop und ein Telefon habe ich dafür ja nichts gebraucht.“ Also startete sie von ihrem Wohnzimmer aus in die Selbstständigkeit. Obwohl ihr Finanzpolster nur für rund sechs Monate ausreichen würde, kündigte sie im Februar 2016 sofort ihren Job. „Ich habe den Druck gebraucht“, sagt sie. 

Täglich zwölf Stunden im Büro

Die Gründerin spezialisierte sich auf Start-ups. Ihr bisheriger Eindruck: „Mit 24 Jahren, und dann auch noch blond und nur 1,60 Meter groß, hätte ich sowieso keine Chance bei großen Unternehmen gehabt“, sagt sie. Bei ihren neuen Kunden erlebte sie hingegen eine völlig andere Mentalität. „Ich hatte das Gefühl, dass mir Start-ups eine Chance gegeben haben, weil sie selbst immer darauf hoffen mussten, dass andere ihnen eine Chance geben“, erklärt Goldschmid. Der Name ihrer Agentur: Startup Communication.

Bis sie im Mai 2016 offiziell ihre Selbstständigkeit anmeldete, hatte sie sich bereits über Kontakte erste Aufträge sichern können. Mit dem Geld bezog sie einen Platz in einer Bürogemeinschaft. Täglich verbrachte sie zwölf Stunden in einem Hinterhof in München-Schwabing, arbeitete auch am Wochenende und im Urlaub. Nach einem halben Jahr stellte sie ihre erste Mitarbeiterin ein, nach einem Jahr war das Team zu dritt. 

2024 beschäftigte Goldschmid 18 Personen in Festanstellung, Volontariat und Praktikum. Gemeinsam erzielten sie Umsätze in Millionenhöhe – doch der Gründerin reichte das nicht. Sie tüftelte an einer Strategie, wie die Agentur weiterwachsen könne. Gleichzeitig merkte sie allerdings, dass mit dem Wachstum auch immer mehr Aufgaben anfielen, auf die sie ohnehin schon keine Lust mehr hatte. Starre Regeln und Prozesse – davon hält sie nur wenig: „Ich hatte immer das Gefühl, dass das meine Kreativität einschränkt.“

Wieder öffnet sich eine Tür

Im Januar 2024 schrieb Goldschmid eine Mail an Piabo. Die Berliner Kommunikationsagentur kannte sie bereits, seit sie gegründet hat. Sie wollte sich zunächst einfach mal austauschen, sagt sie. Eine Zusammenarbeit hatte sie noch nicht geplant. Genau dazu kam es aber: Piabo wollte in München Fuß fassen und bot Goldschmid an, ihr Unternehmen aufzukaufen. Wieder öffnete sich eine Tür für Goldschmid – wieder ging sie hindurch. Seither bildet ihr Start-up-Communication-Team den Münchner Standort von Piabo. 

Und obwohl es für manche wie ein Rückschritt aussieht, sieht Goldschmid das anders. Mit ihrem Team könne sie etwa eigene Kampagnen nach ihrem Geschmack austesten, die das Berliner Büro dann übernehmen kann. Sie könne hier ziemlich selbstbestimmt agieren, sagt sie. Ihre Kreativität ist also wieder frei. Es ist ein Gefühl wie beim Skifahren: Vor ihr liegt nur eine lange, weiße Piste, die darauf wartet, befahren zu werden.

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