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Psychologin Hanna Greis: „Emotionen machen das Arbeitsleben bunter“

Foto: Hanna Greis
Foto: Hanna Greis
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Wir alle kennen das Bild vom Superhirn, dem hochbegabten Computerexperten, der auf seinem Gebiet herausragende Leistungen erbringt. Sogenannte „normale Menschen“ bezeichnen ihn oft als Nerd, was im klassischen Englisch einen Sonderling bezeichnet. Solche hochbegabten Menschen interessieren sich meist nur für sehr wenige Dinge, vor allem aber für andere Dinge als es die meisten „normalen“ Menschen tun. Sie lieben Computer und können sich stundenlang mit wissenschaftlichen Fragestellungen beschäftigen. In zwischenmenschlichen Belangen wirken sie dagegen oft unbeholfen und verstecken sich gerne hinter ihren Monitoren. Gleichwohl können sie auch in Unternehmen Großes vollbringen, wie das Beispiel von Bill Gates zeigt: Auch er hat als Nerd begonnen.

Wie sieht es aber mit Menschen aus, die auf einem ganz anderen Gebiet hochbegabt sind – den hochsensiblen Menschen? Auch sie haben herausragende Fähigkeiten, die aber häufig nicht zum Zuge kommen. Hochsensible fallen weniger auf, sind vom Naturell her eher zurückhaltend und wirken im Hintergrund.

Hanna Greis ist Wirtschaftspsychologin. Sie treibt die Frage um, wie eine Wirtschaft aussähe, in der jeder Mensch sein Potenzial kennt. Sie ist der Überzeugung, dass die Welt eine kreative und emotionale Wirtschaft braucht, um zukunftsfähige Geschäftsmodelle voranzutreiben. Mit ihrem Unternehmen „Emotional Leadership“ hat sie ein Weiterbildungsangebot für Unternehmen entwickelt, die sich mit dem Potenzial von Emotionalität auseinandersetzen möchten.

Courage: Du verstehst Hochsensibilität als außergewöhnliche Begabung, als Stärke. Was zeichnet einen hochsensiblen Menschen aus? Und wo liegen die wahren Talente?

Hana Greis: Hochsensible Menschen (HSP) – dieses „Temperamentmerkmal“ ist übrigens bei Männern und Frauen mit ca. 20% der Bevölkerung gleich verteilt – nehmen feinste emotionale und körperliche Reize ungefiltert auf. Sie verarbeiten diese tiefgehend, was ihnen erlaubt, die Bedürfnisse anderer oft frühzeitig zu erkennen und authentische, kreative Lösungen hervorzubringen. Hochsensibilität ist nach heutigem Forschungsstand eine Kombination aus genetischer Disposition und individueller Sozialisation. Ihre sensorische Intelligenz macht HSP besonders wachsam gegenüber ihrer Umwelt. Bildlich gesprochen können sie dadurch zu hervorragenden Athlet:innen werden, die jede Bewegung ihrer Gegner im Auge behalten, Unaufmerksamkeiten sofort bemerken und so ihre Chancen schneller nutzen können. HSP nehmen nicht nur ihre eigenen Emotionen intensiver wahr, sondern sind auch besonders empathisch ihren Mitmenschen gegenüber. Ihre emotionale Feinfühligkeit liefert wertvolle Informationen für das soziale Miteinander. Als Führungskraft verstehen sie es, jedes Teammitglied individuell zu motivieren und wissen, welche Brücken sie für eine vertrauensvolle und loyale Zusammenarbeit bauen müssen. HSP erkennen komplexe Zusammenhänge und Trends, was sie zu innovativen und kreativen Denkern macht.

Studien behaupten, dass Hochsensible durch ihre feinfühlige Art Missstände früh erkennen können, wenn alle anderen sich noch in Sicherheit wiegen. Wie kann man einen hochsensiblen Mitarbeiter bestmöglich in einem Unternehmen einsetzen?

Nehmen wir eine KI – sie ist nur so gut wie die Qualität und Quantität der Daten, mit der sie „gefüttert“ wird. HSP können aufgenommene Informationen intuitiv einordnen und kombinieren. Besonders wertvoll sind dabei emotionale Informationen, welche sie intuitiv herausfiltern. Oft haben sie ein tiefes Gespür dafür, wie eine harmonische Welt oder Unternehmenskultur aussehen kann. Sie können Zusammenhänge herstellen, die andere Menschen übersehen würden. Oft sind es doch die unterschwelligen Stimmungen, die sich aufbauen, Missverständnisse entstehen lassen und gegebenenfalls zu Konflikten führen. HSP können frühzeitig einlenken, die Bedürfnisse ihres Gegenübers verstehen und empathisch darauf eingehen und so manchen Konflikt verhindern. Dies lässt sich auch auf die Wirtschaft übertragen: HSP können wirtschaftliche Dynamiken erkennen und möglicherweise das Ausmaß von Fehlentscheidungen prognostizieren – damit eignen sich HSP hervorragend als Trendscouts und können eine Art Frühwarnfunktion übernehmen. Auch die Rolle eines „Emotions-Innovators“ in einer Organisation könnte z.B. für viele Unternehmen eine Bereicherung sein.

Wer feinere Reize wahrnimmt, ist auch schneller überreizt. Hat Hochsensibilität auch eine Kehrseite? Insbesondere im Berufsalltag?

Laute, stressige, grelle, überfüllte oder emotional intensive Situationen können hochsensible Menschen überstimulieren und gewissermaßen „lähmen“. Man kann sich das so vorstellen, wie wenn ein Arbeitsspeicher durch zu viele Prozesse oder große Datenmengen überhitzt. Leider ist der Arbeitsalltag vieler Menschen von Stress und schnellen Entscheidungsanforderungen geprägt. So ist es oft das Umfeld, das hochsensible Menschen in die Knie zwingt und nicht die Arbeit selbst. Entscheidend ist hier das eigene Bewältigungspotential des hochsensiblen Menschen, ob die Reize eher als Disstress (negativ/belastend) oder als Eustress (positiv/anregend) empfunden werden. Ergo muss nicht jeder „reizintensive“ Arbeitsalltag für eine HSP überreizend sein, wenn sie sich die notwendigen Ruhephasen gönnt. Daher ist es für sie wichtig zu verstehen, wie sie Ruhephasen in ihren Arbeitsalltag einbauen können, um ihr Gehirn von der Überreizung zu entlasten.

Welche Arbeitsumstände eignen sich für Hochsensible? Welche Einflüsse wirken sich belastend, irritierend und überreizend auf den hochsensiblen Mitarbeiter aus?

Hochsensible Menschen suchen oft eine Arbeit, die einen tieferen Sinn hat und in der sie einen positiven Beitrag leisten können. Sie möchten ihre besonderen Stärken und Talente einbringen, um ihre Arbeit erfüllend zu gestalten. So können HSP auch hervorragende Unternehmer:innen sein. Den wichtigsten Tipp, welchen ich HSPs geben möchte: Wählt euren Beruf frei von familiären oder gesellschaftlichen Erwartungen und veralteten Glaubenssätzen über euch selbst. Denn eine unglückliche HSP spürt auch ihr Unglück und ihre Unzufriedenheit sehr intensiv. Kommt dann noch eine Arbeitsatmosphäre hinzu, die von Hektik, Lärm und chaotischen Strukturen geprägt ist, ist das meist eine problematische Kombination. Denn HSP können in einem Umfeld, das mit und nicht gegen ihre Natur geht, unglaublich viel leisten – die Tätigkeiten und Branchen können hier divers sein. Das zu betonen ist mir sehr wichtig, denn das Image vom „Sensibelchen“ sollten wir unbedingt hinter uns lassen – unabhängig von der Berufskategorie oder Branche. Idealerweise arbeiten hochsensible Menschen in einem Umfeld, das ihre Werte und Visionen teilt, in dem Respekt und Wertschätzung großgeschrieben werden und in dem ihre individuellen Talente zum Einsatz kommen.

Können emotionale Kompetenz und Empathie trainiert werden?

Eines kurz vorweg: Sensibilität kann nicht erlernt werden. HSP verfügen aufgrund ihrer Sensibilität meist über eine stark ausgeprägte Empathiefähigkeit. Emotionale Kompetenz und Empathie können jedoch trainiert werden. Der neueste Forschungsstand zeigt: Emotionen sind nicht fest im Gehirn verdrahtet, sondern werden erlernt. So wie ein Kind das Laufen lernt, lernt es auch von seinen Bezugspersonen, Emotionen wahrzunehmen, zu interpretieren und zu regulieren. Emotionale Kompetenz entsteht aus der eigenen Einsicht, dass wir Emotionen aufgrund unserer Erfahrungen konstruieren und somit eine eigene Wahrheit über die „Welt da draußen“ und über uns selbst haben. Befassen wir uns mit unserer Biografie und mit unseren Glaubensätzen über uns selbst, können wir unsere dahinterliegenden Bedürfnisse lesen lernen und diese selbstfürsorglich regulieren. Verfügen wir über ein gutes Maß an Einfühlungsvermögen gegenüber uns selbst und sind somit emotional kompetent, sind wir auch in der Lage, empathisch auf andere Menschen einzugehen, aktiv zuzuhören, deren Stimmungen zu verfolgen und zu lesen – ohne ständig einen Bezug zu uns selbst herstellen zu müssen.

Sind hochsensible „bessere Menschen“?

Nein, natürlich nicht. Wie in so vielen Bereichen bewegt sich die Sensibilität in einem Spektrum und das ist absolut wertfrei. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir uns der ganzen Breite dieses Kontinuums zuwenden und nicht alles mit einer engen Norm vergleichen. Gerade das Gehirn und damit die Sensibilität ist so vielfältig. Die Mechanismen, die das Gehirn eines jeden Menschen anwendet, sind einzigartig und extrem komplex. Ich denke, es ist sehr wichtig zu verstehen: Jeder Mensch profitiert davon, wenn er lernt, seine eigenen Gefühle zu lesen und einen liebevollen Umgang mit sich selbst zu pflegen. Ich bin davon überzeugt, dass hochsensible Menschen eine Schlüsselrolle in der Gesellschaft und Wirtschaft einnehmen können, um ein empathisches Miteinander zu kultivieren.

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