Es rückt näher: Terror vor der eigenen Haustür

Foto: Alexa Gräf für Courage Anschlag München
Foto: Alexa Gräf für Courage

Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn ein Auto in eine Menschenmenge rast, ist das ziemlich laut. Der Aufprall, die Schreie der Getroffenen – und auch noch ein Schuss, den die Polizei abgab. Gestern traf das Tatfahrzeug, ein cremefarbener Mini Cooper, etwa 30 Menschen. Aus den Fenstern unserer Redaktion, nur wenige Meter vom Tatort in der Seidlstraße in München entfernt, konnten meine Kollegen und ich das alles aus unmittelbarer Nähe mitansehen. Mussten es mitansehen. Wenn auch wir das Ganze bei geschlossenen Fenstern, aus einer einigermaßen sicheren Distanz miterlebten, der Schrecken sitzt uns einen Tag später noch immer tief in den Gliedern.

Gestern, gegen 10:30 Uhr steuerte ein Mann – wie man mittlerweile weiß ein 24-jähriger afghanischer Staatsangehöriger – seinen Kleinwagen in das Ende eines Demonstrationszuges von ver.di, auf dem die Dienstleistungsgewerkschaft höhere Vergütungen der städtischen Angestellten forderte. „Wieso fährt uns einer von hinten mit seinem Auto um? Wir sind doch überhaupt nicht aus politischen Motiven hier!“ Das sind die ersten Worte, die ein verletzter Mann an mich richtet, als ich wenige Minuten nach der Tat das Gebäude verlasse, um mir einen Überblick zu verschaffen. Er hält seinen schwer verwundeten Arm, ich stehe mit meinen Stiefeln in seinem Blut. Der Bürgersteig unmittelbar neben dem Tatort ist gesäumt von (verletzten) Demonstranten, die dem Auto im letzten Moment ausweichen konnten. Wer nicht zu den zu diesem Zeitpunkt etwa zehn regungslos am Boden liegenden Personen gestürmt ist, sitzt jetzt hier. Eine entsetzte Augenzeugin deutet auf einen stark deformierten Kinderwagen auf der vierspurigen Straße. Das Kind und seine Mutter kämpfen zum aktuellen Zeitpunkt noch immer im Krankenhaus um ihr Überleben. Für Geschehnisse wie diese gibt es keine passenden Worte.

Und doch ist es unsere Aufgabe als Journalisten, Worte zu finden. Courage ist eigentlich ein Finanzmagazin. Dennoch erscheint es uns an dieser Stelle falsch, nicht über das zu berichten, was wir mitansehen mussten. Was uns passiert ist.

Die richtigen Worte schienen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mit seinem Innenminister Joachim Herrmann heute Morgen auch zu fehlen. Nach einer kurzen Niederlegung der symbolischen weißen Rose verließen sie den Tatort schnell. Ohne Worte. Es sollte ein stilles Gedenken sein, so wünschte sich das Steinmeier wohl. Ein bisschen gebetet wurde von einzelnen Kirchenvertretern, dann zog man sich im ungemütlichen Schneetreiben wieder zurück in die Karawane dunkler Regierungsautos und fuhr ab.

Wir sind ein Finanzmagazin, eine politische Einordnung oder Agenda soll mit diesem Text nicht verfolgt werden. Darum geht es uns als Augenzeugen auch gar nicht. Trotz alledem, nüchtern betrachtet lässt sich feststellen: Es häuft sich. Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und jetzt München. Diese nur im vergangenen Jahr. Als es einen ersten klaren Gedanken zu fassen gab in unserer Redaktion, sprach ihn meine Kollegin aus. „Schon wieder!“

„Wieso fährt uns einer von hinten mit seinem Auto um? Wir sind doch überhaupt nicht aus politischen Motiven hier!“, darum geht es jetzt nicht. Die Demonstranten von ver.di waren schlicht und ergreifend zur falschen Zeit am falschen Ort. Ob es überhaupt noch einen richtigen Ort geben wird, dem werde ich mir mit jedem Anschlag, jeder Messerattacke, jedem Aufruf zu Gewalt unsicherer. Wir denken an alle Betroffenen und ihre Angehörigen, besonders an die Mutter und ihr schwerverletztes Kind. Wir hoffen, sie schaffen es.

Was machen Taten wie die in München mit dir? Beeinflussen sie dich oder bist du schwerer zu beeindrucken? Nimm gerne an unserer Umfrage teil und schreibe uns einen Kommentar.

Trotz allem oder gerade deswegen wünscht euch die gesamte Redaktion von Courage ein ruhiges und vor allem sicheres Wochenende.

Alexa Gräf

Redakteurin für Courage

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  • Ereignisse wie in München finde ich schrecklich, ich lasse mich davon aber nicht in meinem Alltag beeinflussen. 60%, 12 Stimmen
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  • Mir wird es schon zunehmend mulmig in großen Menschenmassen oder an öffentlichen Orten. So richtig wohl fühle ich mich dort nicht mehr. 30%, 6 Stimmen
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  • Mir macht die Lage in Deutschland große Angst. Nach Geschehnissen wie in München, meide ich bewusst Menschenansammlungen und öffentliche Plätze. 10%, 2 Stimmen
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14. Februar 2025
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