Frauen in Deutschland verlieren Hoffnung auf gleiche Bezahlung

Haben Sie jüngst mit einer starken Idee Ihrem Unternehmen weitergeholfen? Solche Erfolge sollten Sie in einer Gehaltsverhandlung vorbringen.
Frau bei einer Projketarbeit mit Kollegen Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-tmn

London, 9. September 2025: Eine neue Studie zeigt alarmierende Zahlen: Nur 28 Prozent der berufstätigen Frauen in Deutschland glauben daran, dass sie jemals das gleiche Gehalt wie ihre männlichen Kollegen bei gleicher Tätigkeit erhalten werden. Und nur ein Drittel (33 Prozent) erwarten, dass sie in ihrer Generation gleichberechtigt in Führungspositionen gelangen.

Die Ergebnisse stammen aus dem Bericht „Lifting the Second Glass Ceiling“ 2025, den die internationale Normierungsorganisation BSI (British Standards Institution) heute veröffentlicht. Für die Studie wurden 6.500 berufstätige Frauen aus sieben Ländern befragt. Das Fazit: Unternehmen müssen dringend eine Unternehmenskultur schaffen, die auf Fürsorglichkeit und Achtsamkeit beruht. Dazu gehören konkrete Unterstützungsangebote – etwa bei Wechseljahresbeschwerden, Krebserkrankungen oder nach Fehlgeburten. Auch flexible Arbeitsmodelle sind entscheidend, um Frauen im Berufsleben zu halten.

Unfreiwilliger Ausstieg aus dem Berufsleben

Die Produktivität sinkt, die Fehlzeiten steigen – ein weltweites Problem. In Deutschland rechnet jede fünfte Frau (18 Prozent) damit, ihre Karriere früher als geplant zu beenden. Die Gründe sind nicht immer freiwillig: 30 Prozent sehen gesundheitliche Probleme als ursächlich an, 15 Prozent die Wechseljahre. Auch ungleiche Bezahlung treibt viele Frauen vorzeitig aus dem Job.

Was würde helfen? 77 Prozent der Befragten sagen klar: gleiches Gehalt für gleiche Arbeit. Drei Viertel wünschen sich zudem steuerliche Anreize oder bessere Rentenregelungen. 73 Prozent benötigen mehr Unterstützung bei chronischen Krankheiten oder Krebserkrankungen.

Die Pflege von Angehörigen ist weiterhin ein großes Thema: 12 Prozent der Frauen kümmern sich um ihre Eltern oder ältere Verwandte, 9 Prozent betreuen Enkelkinder. Beides erschwert die Berufstätigkeit erheblich. Frauen in Deutschland sind sich darin einig, dass eine verbesserte Unterstützung bei Mutterschaft und Wiedereinstieg in den Beruf ihnen helfen würde, länger im Erwerbsleben zu bleiben. Doch die Daten zeigen auch, dass nur ein Drittel (35 Prozent) glaubt, für die nächste Generation von Arbeitskräften werde die Pflege von Eltern und Kindern gleichmäßig zwischen Männern und Frauen aufgeteilt sein.

Viele Unternehmen rufen ihre Mitarbeiter:innen zurück ins Büro. Dabei arbeiten zwar 68 Prozent der Frauen in Deutschland vor Ort, doch 73 Prozent wünschen sich mehr Freiheit bei der Wahl von Arbeitsort und -zeiten. Die Studie belegt: Frauen mit gesundheitlichen Herausforderungen – seien es Wechseljahresbeschwerden, Schwangerschaftsprobleme oder psychische Belastungen – bleiben durch flexible Arbeitsmodelle produktiv.

Was Frauen von ihren Arbeitgebern erwarten

Mehr als die Hälfte der deutschen Frauen (58 Prozent) möchte persönliche Themen wie Fehlgeburten, schwierige Schwangerschaften oder Wechseljahre lieber privat regeln. Gleichzeitig würden sich 63 Prozent über konkrete Hilfsangebote ihres Arbeitgebers freuen – von bezahltem Sonderurlaub über flexible Arbeitszeiten bis zur Gesundheitsvorsorge.

Zudem ist der Wunsch nach klaren Regeln groß. Zwei Drittel (57 Prozent) fordern verbindliche Richtlinien für den Umgang mit Schwangerschaftskomplikationen, Fehlgeburten oder dem Verlust eines Kindes. Die Hälfte (52 Prozent) wünscht sich entsprechende Regelungen für neurodivergente Mitarbeiter:innen. Die positiven Erfahrungen mit klaren bestehenden Richtlinien sind deutlich: 83 Prozent der Betroffenen weltweit bestätigen ihre Wirksamkeit.

Trotzdem herrscht in vielen Unternehmen Funkstille bei Themen, die Frauen betreffen. Die Mehrheit hat noch nie erlebt, dass in ihren Unternehmen über Themen wie Menstruation (68 Prozent), Fruchtbarkeitsprobleme (76 Prozent) oder Fehlgeburten (70 Prozent) gesprochen wird.

Hier zeigt sich eine beträchtliche Zurückhaltung, solche persönlichen Themen gegenüber Arbeitgebern anzusprechen. Nur 17 Prozent würden mit einem männlichen Vorgesetzten über Fruchtbarkeitsprobleme oder Fehlgeburten reden – bei einer Chefin wären es immerhin 42 Prozent.

Die Wechseljahre – ein Tabuthema, doch es gibt kleine Fortschritte

Es gibt aber auch positive Entwicklungen: Das Wissen um betriebliche Regelungen zu Gesundheitsthemen wie Wechseljahren oder Menstruationsbeschwerden ist sprunghaft gestiegen. Als die BSI 2023 den weltweit ersten Arbeitsplatzstandard für den Umgang mit Wechseljahren veröffentlichte, kannten nur 7 Prozent entsprechende Regelungen in ihrem Unternehmen. Heute sind es 44 Prozent.

Trotzdem haben 69 Prozent noch nie von ihrem Arbeitgeber proaktive Informationen zur Unterstützung in den Wechseljahren erhalten, und nur 10 Prozent bestätigen eine regelmäßige Kommunikation über entsprechende Angebote. Die Gesprächsbereitschaft mit männlichen Vorgesetzten bleibt gering – nur 20 Prozent würden das Thema ansprechen, bei weiblichen Führungskräften sind es 49 Prozent.

Anne Hayes, Director of Sectors and Standards Development bei der BSI, kommentiert wie folgt: „Unsere Studie zeigt deutlich: Trotz weltweiter Bemühungen, erfahrene Frauen im Berufsleben zu halten, ist der Erfolg begrenzt. Zu viele Frauen stoßen weiterhin an die zweite gläserne Decke und steigen unfreiwillig aus – nicht auf eigenen Wunsch, sondern wegen struktureller Hindernisse. Politik und Wirtschaft müssen jetzt handeln, finanzielle Ungleichheit beseitigen und Frauen unterstützen, die Gesundheit, Familie und Beruf unter einen Hut bringen wollen.“

Kate Field, Global Head Health, Safety and Well-being bei der BSI, ergänzt: „Das Vertrauen der Frauen in ihre berufliche Zukunft schwindet dramatisch. Dabei könnte Deutschland mit seiner alternden Gesellschaft und dem Fachkräftemangel gerade von diesem ungenutzten Potenzial profitieren. Wir brauchen dringend eine echte Kultur der Fürsorge. Arbeitgeber müssen die Lebensrealität von Frauen verstehen und darauf reagieren: mit klaren Richtlinien, konkreten Hilfsangeboten und Führungskräften, die einfühlsam und diskret handeln. In Zeiten sinkender Produktivität und steigender Fehlzeiten ist das nicht nur menschlich geboten – es rechnet sich auch betriebswirtschaftlich.”

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