Nicht immer zahlt sich Treue im Beruf aus. Wer ein höheres Gehalt erzielen will, sollte auch darüber nachdenken, das Unternehmen zu wechseln. Doch viele Frauen verharren in niedrig bezahlten Jobs.
Von Pauline Schinkels
Fünf Monate lang wurde Jana Jurković (Name von der Red. geändert) vertröstet. Alle vier Wochen hatte sie den Austausch mit ihrem Vorgesetzten gesucht, um ihr Gehalt neu zu verhandeln. Im ersten Gespräch meinte ihr Chef, es fehle ein Konzept für eine Vertrags anpassung. Beim zweiten hieß es dann, er müsse es sich überlegen, aber sie fänden bestimmt zu sammen. Das werde intern gerade abgestimmt, lautete seine Antwort beim dritten Termin. Dann räumte er beim vierten Treffen ein, er müsse sich noch mit seinem Co-Leiter besprechen. Und erst beim fünften Austausch offenbarten ihre Chefs, dass sie ihr die gewünschte Gehaltserhöhung nur über einen Zeitraum von zwei Jahren anbieten könnten. So lange wollte Jurković nicht warten. Sie legte ihre Kündigung auf den Tisch.
Der Schritt hat sich ausgezahlt. Dabei hatte die 28-Jährige gar nicht vor, nach vier Jahren Betriebszugehörigkeit den Arbeitgeber zu wechseln. Sie kannte die Arbeitsabläufe, hatte sich ein Netzwerk aufgebaut, berufsbegleitend gerade einen Master sowie mehrere Unternehmensprojekte erfolgreich abgeschlossen. Der Zeitpunkt, ihr Gehalt neu zu verhandeln, erschien ihr also günstig. Aber als die Verhandlungen ins Stocken gerieten und sich Termin an Termin reihte, begann sie sich nach Alternativen umzuschauen.
Mit der Jobsuche probierte sie auch verschiedene Onlinerechner wie bei „Gehalt.de“ aus. Sie gab ihre Daten zu ihrem Bildungsweg, ihren Vertragskonditionen und Aufgaben ein und ermittelte so ein mögliches neues Einkommen. Seit Anfang dieses Jahres verdient Jurković, die hier nicht mit ihrem echten Namen genannt werden will, jetzt als Marketingleiterin brutto 1000 Euro mehr als in ihrem alten Job.
- Etwa gleich 43%, 36 Stimmen36 Stimmen 43%36 Stimmen - 43% aller Stimmen
- Besser als heute 40%, 33 Stimmen33 Stimmen 40%33 Stimmen - 40% aller Stimmen
- Schlechter als heute 17%, 14 Stimmen14 Stimmen 17%14 Stimmen - 17% aller Stimmen
Should I stay or should I go?
Jana Jurković hat verhandelt – und gehandelt, als sie sich in der Sackgasse sah. So konsequent sind die wenigsten Frauen. „Women don’t ask“ titelte eine Studie aus dem Jahr 2003 zu dem Thema – Frauen fragen nicht. Geändert hat sich seitdem wenig. Laut einer LinkedIn-Umfrage aus dem vergangenen Jahr haben 41 Prozent der befragten Frauen ihr Gehalt noch nie verhandelt – weder bei Antritt eines neuen Jobs noch im Verlauf ihrer Tätigkeit. Selbst hoch qualifizierte Frauen treten bescheiden auf: Schon bei Berufsbeginn bleiben sie in ihren Gehaltserwartungen hinter den Männern zurück. Auch später, wenn es um eine Beförderung geht, ändert sich das nicht.
Ein Phänomen, das mit der „Entitlement Gap“ (dt. Anspruchslücke) beschrieben wird. Die Kluft durchzieht das ganze Arbeitsleben. So erreichen Männer ihr Gehaltsmaximum im Alter von 52 Jahren, Frauen bereits mit 41. Sie steigen mit geringeren Löhnen ein, arbeiten häufiger in Teilzeit, gehen länger in Elternzeit, gelangen seltener in Führungspositionen – und verhandeln nicht.
Der Sticky-Floor-Effekt
Stattdessen verharren viele Frauen in niedrig bezahlten Jobs – und das, obwohl sie sich als ehrgeizig und motiviert beschreiben. Wissenschaftler sprechen von einem Sticky-Floor, also einem „Klebriger Boden“-Effekt. „Frauen werden für ihre Loyalität bestraft“, sagt Verhandlungs- und Karrierecoach Claudia Kimich.
Das hat auch Melanie Nowak (Name v.d.Red. geändert) erfahren. Nach zähen und für sie enttäuschenden Gehaltsverhandlungen wechselte die 35-Jährige von einem IT-Unternehmen zu einer Unternehmensberatung. Im Vorstellungsgespräch verlangte sie 4500 Euro, 700 Euro mehr als bei ihrem vorherigen Job. Dort hatte sie zunächst versucht, ihr Gehalt neu zu verhandeln, als ihr Aufgabengebiet und damit die Verantwortung wuchs. Ihr Chef signalisierte Unterstützung und schloss sich mit der Personalabteilung kurz. „Da hieß es, ich sei eine Jungakademikerin und solle mich erst einmal beweisen.“ Und später: Mehr als ein Plus von zehn Prozent ermögliche die Unternehmenspolitik nicht. Rückblickend sagt sie: „Durch den Wechsel des Arbeitgebers konnte ich einen größeren Gehaltssprung realisieren.“
Nur nicht unter Wert verkaufen!
Ein Jobwechsel kann ein Gehaltsbooster sein. Nowak hatte sich im Vorfeld schlaugemacht, was sie bei ihrem neuen Arbeitgeber verlangen konnte. Doch trotz des Vorwissens musste sie erst ein mal lernen, sich nicht unter Wert zu verkaufen.
Für Kunden Kaffee kochen oder Geschenke besorgen, das haben bei ihrem alten Arbeitgeber in der Regel Frauen übernommen. „Subtile Diskriminierung“ nennt sie das heute. Weil das Rollenmuster das Selbstbewusstsein schwächt und sich das am Ende auch in der Lohnabrechnung zeigt. Als Assistenz der Geschäftsführung des IT-Unternehmens hatte sie Einblick in den Kalender ihres Vorgesetzten. „Die Frauen, die mit meinem Chef einen Termin für eine Gehaltsverhandlung ausmachten, kann ich an einer Hand abzählen“, erinnert sie sich.
Fragen Sie einen Mann!
So einfach von Job zu Job zu springen wie Jurković oder Nowak, das kann und will längst nicht jede. Der Trost: Auch in einem bestehenden Jobverhältnis lässt sich das Gehalt nachverhandeln.
Der richtige Zeitpunkt, eine gute Vorbereitung, ein klares Ziel – das seien die entscheidenden Punkte, sagt die Wiener Karriereberaterin Christine Mark. Wurde auf der Arbeit etwa ein Projekt erfolgreich beendet, ist der Moment günstig, das Gehalt anzusprechen. Alternativ kann frau ihre Bezahlung auch im Mitarbeitergespräch thematisieren. „Aber gehen Sie nicht in den Termin mit einem: ‚Was wäre denn überhaupt möglich?‘ oder einem: ‚Könnte ich vielleicht …‘“, warnt Mark.
Nicht bitten, sondern fordern – das fällt vielen Frauen schwer. „Sie fragen oft nur zögerlich nach mehr Gehalt“, sagt Mark. Der zweite „Fehler“: Sie fragten bevorzugt andere Frauen, welche Lohnziele realistisch sind. „Damit kommen sie aber nicht weiter, sondern bleiben bei Altbekanntem.“ Ihr Rat: männliche Freunde fragen, was sie fordern würden. Und dann keine Schmerz-, sondern eine Wohlfühlgrenze definieren, ein Gehalt also, bei dem das Arbeiten Freude macht. Um herauszubekommen, ab welchem Gehalt das Glücksgefühl steigt, fragt die Karriereberaterin ihre Klientinnen, was sie denn haben wollen würden, wenn alles möglich wäre. „Aber selbst dann habe ich noch nicht erlebt, dass eine Frau ein sechsstelliges Gehalt nannte.“ Stattdessen hieß es schon bei kleinen Summen schnell: Das kann ich doch nicht verlangen. Dafür bin ich zu alt, zu unerfahren, zu wenig ausgebildet.
Verhandeln können Frauen, das ist nicht ihr Problem. Sie drücken Zulieferer, um den besten Preis für ihr Unternehmen herauszuschlagen – und haben dabei regelrecht Haare auf den Zähnen, weiß Verhandlungsexpertin Kimich. „Aber sie schaffen es nicht, für sich selbst einzustehen.“ Ihre Erfahrung: „Frauen wollen geliebt werden, doch wenn sie eine faire Bezahlung verlangen, werden sie oft als ‚schwierig‘ abgestempelt.“ Deshalb alles beim Alten lassen? „Auf keinen Fall“, sagt Kimich. Sie empfiehlt, das Thema Gehalt regelmäßig anzusprechen – mindestens einmal im Jahr.
Es braucht Mumm – und Argumente
Ist der Gesprächstermin fix, ist gute Vorbereitung Pflicht. Welche Aufgaben werden übernommen, welche Projekte erfolgreich abgeschlossen? Was bringe ich dem Unternehmen? Was braucht meine Vorgesetzte, mein Vorgesetzter, und was kann ich dazu beitragen? Wer im Vertrieb arbeitet, hat es leicht – da sprechen die Verkaufszahlen eine klare Sprache. Bei anderen Projekten wird es schwieriger, den eigenen Anteil zu beziffern – der lässt sich aber auch oft anhand anderer Kriterien wie einer gestiegenen Kundenzufriedenheit festmachen. „Wer belegbare Argumente benennt, hat gute Chancen, für sich 20 Prozent mehr herauszuhandeln“, sagt Mark.
Gehaltstransparenz macht es einfacher, weil sie Orientierung gibt. 2017 hat die Bundesregierung deshalb das sogenannte Entgelttransparenzgesetz verabschiedet. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können alle zwei Jahre Auskunft darüber verlangen, was Kollegen in vergleichbarer Position verdienen. Der Haken: Das Gesetz gilt nur für Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten. Und auch nur dann, wenn es im Unternehmen mindestens sechs Kollegen des anderen Geschlechts in vergleichbarer Position gibt.
Bewerberinnen als Bittsteller
Statt Transparenz zu ermöglichen, lassen Unternehmen Bewerber gern im Unklaren – schon bei der Stellenausschreibung. Laut dem Stepstone-„Gehaltsreport 2021“ offenbart nur jeder fünfte Arbeitgeber das Gehalt schon im Gesuch. Stattdessen bleibt es bei vagen Aussagen wie „marktüblich“ oder „überdurchschnittlich“. Auf der anderen Seite verlangen viele Personaler, dass Kandidaten ihre Gehaltswünsche bereits mit der Bewerbung preisgeben. Bewerber fühlen sich als Bittsteller und schöpfen die Möglichkeiten nicht aus – was vor allem Frauen benachteiligt.
Wechsel anzudrohen reicht nicht
Auch klappt der Trick, einen Wechselwunsch anzudeuten, um ein besseres Angebot zu bekommen, bei Frauen selten. Bei Männern schon. „Wenn ein Mann droht, das Unternehmen zu verlassen, bekommt er die Gehaltserhöhung. Kündigt eine Frau das an, wird sie nicht ernst genommen“, weiß Expertin Kimich. Sie müsse stattdessen oft erst schwarz auf weiß ein Angebot vorlegen.
Dafür empfiehlt Kimich Frauen, sich einfach mal woanders zu bewerben. So eine Probebewerbung bietet gleich mehrere Chancen: Erstens lässt sich eine Verhandlung üben. Zweitens erfährt frau, wie ihr Marktwert eingeschätzt wird. Das gibt Sicherheit, hilft bei weiteren Bewerbungen oder je nachdem später auch bei internen Verhandlungen. Ihr Rat: mit angemessen hohen Gehaltsvorstellungen einsteigen und im Zweifel nach oben korrigieren. „Bonus oder Weihnachtsgeld kommt noch dazu!“ – mit so einem Satz ließe sich ein verpatzter Einstieg wieder ausbügeln.
Qualifizierte Mitarbeitende gesucht
Der Zeitpunkt für einen Wechsel ist günstig, Fachkräfte werden händeringend gesucht. Laut der Bundesagentur für Arbeit (BA) fehlten 2021 bereits 1,2 Millionen Arbeitskräfte. Zwei Drittel davon sind ausgebildete Fachkräfte, die unter anderem im MINT-, Handwerks- oder Gesundheitsbereich gesucht werden. Und die versucht man auch mit Geld zu locken. Im Stepstone-„Gehaltsreport 2021“ heißt es etwa: „Der Faktor Gehalt wird zum strategischen Hebel im Kampf um die besten Mitarbeiter*innen.“
Melanie Nowak legt ihr Gehalt heute selbst fest. Zu Beginn des Jahres hat sich die 35-Jährige als Unternehmensberaterin selbstständig gemacht. Sie koordiniert ein größeres Regulierungsprojekt – und berechnet Tagessätze von bis zu 900 Euro.
Eine Antwort
…mit einem Jobwechsel sind Gehaltssprünge möglich. Aber auch beim alten Arbeitgeber oder der alten Arbeitgeberin ist ein deutliches Plus möglich – wenn Du mit der richtigen Haltung verhandelst. Viele Frauen haben ihr Gehalt jedoch noch nie verhandelt. Woran liegt’s? Welche Erfahrungen habt Ihr gemacht?