Gelato italiano

Foto: vwalakte/iStock Italien
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Sie ist ziemlich sauer auf ihn. Alles an ihrer Körpersprache verrät das, als das Mädchen mit wilder Gestik und in schnellem, hartem Italienisch auf ihren Freund einredet. Dass sie dabei mitten in Roms Innenstadt den Eingang zur stark frequentierten Metrostation Cavour blockiert, vor dem auch ich warte, scheint weder sie noch ihn in diesem Moment zu stören. Im Gegenteil: Mitten in ihrer Tirade nimmt er ihr sogar die Eiswaffel aus der Hand und hält sie abwartend, um ihr die ausschweifenden Handbewegungen zu erleichtern.

So etwas sieht man in Deutschland selten. Und ich dachte bei mir, vielleicht ist es nicht nur ein Streit, sondern ein Blick in eine andere Art, miteinander zu leben. Wie sehr Kultur Menschen prägt, ist etwas, das zwar häufig versucht wird, im Hörsaal zu lehren. Aber nicht etwas, das man dort lernen kann.

Wer das als Student wirklich lernen will, sollte ein Erasmus-Semester im europäischen Ausland wagen. Klar, viele kritisieren zurecht, dass man sich durch die unterschiedliche Schwerpunktsetzung in der Lehre anderer Länder nicht die notwendigen Credits (früher waren das Scheine) anrechnen lassen kann und in den meisten Fällen ein Semester dranhängen muss. Abgesehen von einem Ferienmonat hier in Rom habe auch ich mich deshalb dagegen entschieden.

Einen Vorgeschmack darauf, wie unterschiedlich Menschen tatsächlich sind, bekommen die meisten jungen Erwachsenen spätestens zu Beginn ihrer Ausbildung. Möglicherweise liegt das daran, dass einem die persönliche Entfaltung nicht mehr wie etwas vorkommt, was nur denjenigen in der Schule vorbehalten ist, die sich sowieso nie für die Bedeutung sozialer Hierarchien interessiert haben. Auf den Campus deutscher Universitäten wird sie angepriesen. Vielleicht auch nur, um eine neue Art der Rangordnung herstellen zu können.

Aber es gibt nun einmal Dinge, die sich nicht durch das Studieren im stillen Kämmerlein erfahren lassen. Ausgerechnet im dichten Gedränge eines Metroschachts fiel mir auf, wie wenig wir im Studium eigentlich über das Leben lernen. Über Menschen, Mentalitäten, Temperamente. Selbst an Unis, in denen wir uns alle so frei geben, finden wir uns am Ende genauso in Schubladen wieder wie in der Schule. Darum beneide ich diejenigen, die es gewagt haben, ein Semester im Ausland zu absolvieren. Ein halbes Jahr ganz woanders, eine neue Kultur, der Austausch mit anderen Menschen, wirklich anderen. Und eventuell ein neuer Zugang zu denselben Fragen.

Persönlich gesprochen stellt auch meine Zeit in Rom sicherlich nicht meinen akademischen Höhepunkt dar, dafür aber den – zumindest vorläufigen – meines Lebens. Und ich spreche jetzt die Sprache und das über die Bestellung eines „Gelato italiano“ hinaus.

Was für mich bisher nur der Name jeder zweiten Eisdiele in Deutschland war, ist inzwischen ein wunderbares Sinnbild unterschiedlicher Nationen und Kommunikation. Oder anders formuliert: Wenn ich sonst nichts aus meiner Zeit in Rom mitnehmen sollte, dann doch zumindest, wie man seinen Freund mal richtig rund macht – auf die italienische Art.

Das neue Semester steht vor der Tür und die Bewerbungsfristen für ein Erasmus-Stipendium laufen bald wieder. Versucht es! Schaut euch die Welt an. Ihr werdet vielleicht nicht super viele Credits mitbringen. Dafür aber Geschichten, die euch keiner nehmen kann.

Alexa Gräf
Redakteurin Courage

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