In der Tiermedizin dominieren Frauen. 95 Prozent der Studierenden sind weiblich. Aber eine Klinik leiten? Dazu fühlen sich eher Männer berufen. Barbara Hellwig ist eine Ausnahme. Sie hat schon die zweite Tierklinik gegründet. Hier verrät sie, wie es dazu kam
von Nadine Regel
Courage: Firmengründungen erfordern oft enormen persönlichen Einsatz. Auch Sie haben gesagt, für ein konzentriertes Gespräch hätten Sie nur am Wochenende Zeit. Nun sprechen wir uns sogar während Ihres Kurzurlaubs auf Kreta. Sind Ihre Termine wirklich so eng getaktet?
Barbara Hellwig: Ja. Im Alltag habe ich für so etwas wirklich keine Zeit. Unter der Woche arbeite ich täglich von acht bis 20 Uhr in der Sprechstunde, an zwei bis drei Tagen sitze ich abends noch bis 23 Uhr am Computer, bearbeite E-Mails und schreibe meine Krankenberichte. Samstags führe ich wichtige Telefonate, schreibe wieder Mails und Berichte, und sonntags versorge ich die stationären Tiere in der Klinik. Ich bin sehr präsent in meiner Klinik, ich liebe meinen Beruf.
Seit 25 Jahren arbeiten Sie als Tierärztin. Wie kamen Sie dazu?
Ganz klassisch: Ich war ein Pferdemädchen und wollte schon als Kind Tierärztin werden. Ich habe in Gießen studiert und in der Schweiz promoviert.
Und heute leiten Sie Ihre eigene Klinik.
Die Klinik in Neu-Isenburg ist bereits meine zweite Gründung: Von 2014 bis 2019 habe ich gemeinsam mit einem Geschäftspartner eine Tierklinik im Norden von Frankfurt gegründet und geleitet. Die lief zwar wirtschaftlich sehr gut, aber die Zusammenarbeit hat nicht funktioniert, sodass ich ausstieg und meine Anteile verkaufte. Zwei Jahre lang arbeitete ich dann wieder fest angestellt und bereitete meine erneute Gründung vor. Im Juli 2021 war es dann so weit, obwohl noch nicht mal alle Möbel im Warteraum und in den Behandlungszimmern standen. Ich wollte so schnell wie möglich loslegen.
Warum sollte es gleich eine Klinik sein? Hätte eine eigene Praxis nicht genügt?
Ich hatte schon immer den Wunsch, mich selbstständig zu machen. Ich wollte meiner Arbeit meinen eigenen Atem einhauchen. Und in einer Klinik, in der klassischerweise mehrere Ärzte arbeiten und interdisziplinär gearbeitet wird, ist der Austausch unter den Kollegen anregender als in einer kleineren Einheit. Das führt dazu, dass auch auf medizinisch höherem Niveau gearbeitet wird.
Wie genau lief die Gründung ab?
Das Hauptthema war für mich, eine geeignete Immobilie zu finden. Ich hatte klare Vorstellungen. Die Klinik sollte gut erreichbar und in der Nähe von Grünflächen sein. Ich wusste aus meiner Praxiserfahrung, dass Hundebesitzer lieber draußen als drinnen warten. Dann begann der extrem nervige und aufwendige Prozess mit den Banken. Obwohl ich sogar wegen der ersten Gründung etwas im Vorteil war. So konnte ich beim Businessplan teils auf das frühere Konzept zurückgreifen und bereits eine erfolgreiche Gründung vorweisen.
Und trotzdem war es dermaßen nervenaufreibend?
Ja. Alles andere musste ich neu aufsetzen, wie etwa die Standortanalyse, also wie viele Haustierbesitzer es in der Gegend gibt, was sie im Schnitt für ihre Tiere ausgeben, wie gut die Abdeckung mit Tierärzten ist und so weiter. Und dann muss man den Investitionsbedarf für die Ausstattung ermitteln und den Umsatz für die ersten drei Jahre prognostizieren. Das ist alles sehr anspruchsvoll, weil es in dem Moment noch reine Utopie ist. Man hofft einfach, dass es am Ende wirklich umsetzbar ist.
Wie viel haben Sie insgesamt in den Aufbau der Klinik investiert?
Das Gesamtinvestitionsvolumen sind fünf Millionen Euro gewesen. Mit dem Grundstück und dem Gebäude waren die ersten zwei Millionen weg. Für mich hat es Sinn gemacht, eine Immobilie zu kaufen, weil ich sehr viele zweckmäßige Umbaumaßnahmen vornehmen musste. Drei Räume sind zum Beispiel komplett verbleit, Stichwort Röntgenschutz, und im Erdgeschoss brauchte ich 35 Wasseranschlüsse. Ich selbst konnte eineinhalb Millionen Euro Eigenkapital aus dem Verkauf der ersten Klinik beisteuern.
Wie lang hat der Bewilligungsprozess für den Kredit gedauert?
Ein Dreivierteljahr. Ich war bei insgesamt drei Banken, bis ich eine Zusage mit guten Konditionen bekommen habe. Als Tierärztin ist man da wirklich ein Exot. Obwohl ich schlussendlich bei derselben Bank war, die vor zehn Jahren die erste Klinik finanziert hatte, haben die sich trotzdem schwergetan. Dabei sind Tierkliniken gerade ein Hot Topic für Großinvestoren wie Nestlé oder Mars, der Businesszweig floriert.
Haben Sie sich als Frau benachteiligt gefühlt?
Dass der Prozess so lange gedauert hat, hat meiner Einschätzung nach nichts damit zu tun. Aber dass ich von den anderen Banken sehr viel schlechtere Angebote bekommen habe, das schon. Viele denken immer noch, dass man Frauen eher für dumm verkaufen kann. Ich hatte mit einer anderen Bank schon Konditionen besprochen. Als wir den Kreditvertrag im oberen Stockwerk eines Frankfurter Bankentowers zu Ende bringen wollten, standen im Vertrag andere Zinsen als vereinbart. Das hätten sie so mit einem männlichen Kollegen vermutlich nicht gemacht. Ich habe nicht unterschrieben.
Würden Sie eine Kollegin dazu ermuntern, ebenfalls eine Klinik zu gründen?
Wenn sie sich wirklich in der Selbstständigkeit sieht und Lust hat, ein großes Projekt zu führen, dann auf jeden Fall. Man sollte jedenfalls nicht davor zurückschrecken, nur weil man eine Frau ist. Es geht vor allem darum, hartnäckig zu sein, und man muss so viel Freude am Beruf und auch an einer Führungsrolle haben, dass die Arbeit, die jeden Klinikgründer erwartet, nicht zur Belastung wird. Leider ist der Anteil von Frauen unter den Klinikgründern und -leitern sehr gering, ich schätze weniger als 20 Prozent. Und das, obwohl der Beruf fast ausschließlich weiblich besetzt ist. 95 Prozent der Immatrikulierten in der Tiermedizin sind Frauen. Frauen machen sich später eher mit einer Praxis selbstständig, da ist das unternehmerische Risiko geringer.
Zu viel Risiko – ist das der Grund, warum sich Frauen in Sachen Gründung zurückhalten?
Frauen schätzen sich selbst auch viel kritischer ein und verkaufen sich viel eher unter Wert. Ihnen fehlt dieser Hang zur Selbstüberschätzung, wie er beim Mann häufiger vorkommt. Sie sind lieber leise und performen gut. Zudem kommt es mir so vor, als sei das Karriereinteresse bei Frauen in den vergangenen Jahren rückläufig. In den 1980er- und 90er-Jahren haben Frauen mehr Wert auf Gleichberechtigung gelegt als heute. Momentan erlebe ich wieder mehr junge Frauen, die sich in der Rolle der Partnerin mit einem starken Mann wohlfühlen, die weniger bereit sind, Risiken einzugehen und für ihren Job ihr Privatleben einzuschränken.
Was ist Ihnen als Chefin wichtig?
Ich bin nicht eine, die von oben regiert. In der Klinik haben wir flache Hierarchien. Aber bei gewissen Punkten habe ich sehr klare Vorstellungen, und da bin ich pedantisch. Das wissen meine KollegInnen aber auch.
Zum Beispiel?
Mir ist wichtig, dass ein guter Umgang untereinander und mit den Kunden gepflegt wird. Alle sollten immer superfreundlich sein und jeden mit seinen Wünschen ernst nehmen. Ich toleriere nicht, wenn jemand mit schlechter Laune die gesamte Mannschaft verpestet.
Was fasziniert Sie an Ihrem Job?
Ich mag Tiere total, das ist ja logisch. Mir geht das Herz auf, wenn ich mit denen zusammen bin. Aber ich mag auch Menschen und kann gut mit meinen Kunden, was mindestens genauso wichtig ist. Man braucht eine gewisse Empathie, um sich in deren Situation hineinzuversetzen. Aber auch der medizinische Aspekt macht mir extrem viel Spaß. Die Tiermedizin hat sich in den letzten Jahren so stark weiterentwickelt, und es gibt jeden Monat neue Erkenntnisse, neue Tests, neue Medikamente.
Haben Sie selbst Tiere?
Ja, mein Mann und ich haben fünf Hunde: eine Dogge und vier Chihuahuas. Unseren ersten Chihuahua habe ich vor vielen Jahren von einem jungen Paar übernommen. Sie kamen mit ihm zu mir in die Praxis, als er noch ein Welpe war. Er hatte eine angeborene Missbildung, und es war klar, dass sie sich die Behandlung nicht leisten können. Ich habe den Hund von ihnen übernommen, wollte ihn operieren und dann vermitteln. Aber wie es so ist, wollte ich ihn dann nicht mehr hergeben. Dass Besitzer ihre Tiere abgeben, weil sie sich die Behandlung nicht leisten können, passiert immer wieder. Obwohl mittlerweile immer mehr Tierhalter eine Hundekrankenversicherung abschließen, was ich auch dringend empfehle. Die Behandlungskosten können schnell in die Tausende steigen.