Gründerinnen: „Für kleines Geld viele Menschen unterstützen“

Foto: Jonas Ratermann
Foto: Jonas Ratermann

Viele Paare wünschen sich ein Baby, bekommen aber einfach keins und leiden schwer darunter. Um die Betroffenen emotional zu stabilisieren, haben Sally Schulze und Vera Claas ein Start-up gegründet.

von Sandra Berthaler

Courage: Sally, als Diplompsychologin und Expertin für Frauenheilkunde hast du jahrelang Paare mit unerfülltem Kinderwunsch beraten. Was war deren größte psychische Herausforderung?

Sally Schulze: Die Unsicherheit. Denn jeder weiß, dass eine Kinderwunschbehandlung keine Garantie ist, dass man am Ende ein Baby in den Armen hält. Trotzdem gehen die Paare in eine Behandlung, die mit enormen emotionalen, körperlichen und finanziellen Anstrengungen verbunden ist. Negative Schwangerschaftstests, schlechte Nachrichten von der Frauenärztin oder sogar Fehlgeburten können für viele Paare zur Zerreißprobe werden. Gut gemeinte Ratschläge von Schwiegereltern, Freunden oder Kollegen verschlimmern die Situation oft noch. 

Und wie bist du auf die Idee gekommen mit MentalStark eine Onlineplattform für Betroffene zu gründen?

Schulze: Die Idee kam erst später. Ich habe erst mal ehrenamtlich Telefongespräche für Betroffene angeboten und schnell gemerkt, dass ich allein gegen diesen Tsunami an Bedarf nichts ausrichten kann. Dann habe ich Vera über eine gemeinsame Freundin beim Yoga kennengelernt …

Vera Claas: … ja, und Sally hat etwas ganz Kluges gemacht: Sie hat ihre Idee nicht für sich behalten, sondern vielen Menschen davon erzählt. Mich hat sie damit sofort angesprochen. Ganz viele meiner Freundinnen waren gerade in dem Alter, wo Themen präsent waren wie „Ich kann nicht schwanger werden“, „Ich hatte eine Fehlgeburt“ oder „Wie soll ich meinem Arbeitgeber erklären, dass ich wegen meiner Kinderwunschbehandlung so viele Termine habe?“. Und als Sally meinte, man bräuchte ein Angebot, um diese Frauen besser zu begleiten, konnte ich sofort mitgehen. Ich hatte vorher im Bereich Banking und Finance schon Onlineplattformen für verschiedene Finanzprobleme designt und gebaut. Als Sally mir von ihrer Idee erzählt hat, konnte ich mir sofort vorstellen, wie so etwas aussehen könnte. Wir haben erst mal ein paar Ideen mit den Leitern von Kinderwunschkliniken diskutiert und bekamen schnell das Feedback: Das ist genau das, was wir brauchen. Und als wir die Plattform gebaut haben, gab es wirklich einen Markt dafür.

Wie genau sieht das Angebot von MentalStark aus?

Schulze: Der Kern ist, Frauen zu Managerinnen ihrer Situation auszubilden, ihnen das Wissen und die emotionale Stabilität zu vermitteln, dass sie selbstbestimmt durch die Kinderwunschzeit kommen oder mit Erkrankungen wie Endometrio­se leben können. Auf unserer Plattform gibt es wissenschaftlich basierte Informationen in Form von selbst produzierten Videos, Texten und Podcasts. Wir geben konkrete, empathische Empfehlungen, wie man typische Probleme meistern kann, etwa Ängste vor der Hormonspritze oder den Umgang mit Kollegen und Freunden während der Kinderwunschzeit. Zusätzlich bieten wir regelmäßige Online-Gruppenstunden an, in denen Betroffene konkrete Fragen an Psychologen und Mediziner stellen oder sich mit anderen Paaren austauschen können. Es gibt bei uns auch psychologische Einzel- und Paarberatung per Videokonferenz. Man darf nicht unterschätzen, welchen Stellenwert Feingefühl und wissenschaftliche ­Erkenntnisse: Das bieten Sally ­Schulze (l.) und Vera Claas
auf ihrer Onlineplattform MentalStark für Frauengesundheit eine Kinderwunschbehandlung bekommen kann. Ich höre oft von Frauen: „Sally, ich war nie so, dass ich dachte, ich muss unbedingt Kinder haben. Aber jetzt bin ich in diesem Strudel und kann an nichts anderes mehr denken und mich über nichts anderes mehr freuen.“ 

Claas: Wir sind übrigens fest davon überzeugt, dass Kinder zu haben nicht per se glücklich macht. Es geht bei uns nicht darum, um jeden Preis schwanger zu werden. Wir unterstützten Paare auch dabei, akzeptieren zu lernen, dass ihr Kinderwunsch nicht in Erfüllung geht. Eine unserer erfolgreichsten Gruppenstunden heißt „Lebensperspektiven“. Hier treffen sich Frauen und Paare, um sich mit Fragen auseinandersetzen wie: Wie lange will ich den Weg der Kinderwunsch­behandlung gehen, und was macht mein Leben auch ohne Kinder lebenswert?

Was war die größte Hürde beim Gründen?

Schulze: Wie hatten gleich zu Beginn eine Herausforderung, mit der ich gar nicht gerechnet hatte: Es gab Leute, die meinten, es sei nicht ethisch, mit unserer Geschäftsidee Geld zu verdienen. Wir müssen uns auch ständig mit der Frage auseinandersetzen, wie wir uns mit unserem Angebot gegenüber anderen, unseriösen Anbietern positionieren, die Frauen etwa erzählen: Du musst nur dieses oder jenes Nahrungsergänzungsmittel zu dir nehmen, dann wirst du bestimmt schwanger.

Wie seid ihr finanziell gestartet? Mit Eigenkapital?

Claas: Ja, aber der Betrag ging wirklich gegen null. Dennoch haben wir von Anfang an auf Bootstrapping gesetzt, also keine Investoren ins Boot geholt, und uns aus Umsätzen finanziert. Wir haben auf unseren privaten Laptops Powerpoint-Präsentationen erstellt und Angebote geschrieben, bis wir die ersten Miniprojekte platzieren konnten. So kamen die ersten paar Hundert Euro raus. Damit haben wir weitergemacht, und irgendwann hat es für die GmbH-Gründung gereicht.

Schulze: Wir haben auch Fördermittel bekommen, vom Land Hessen etwa, und den mit 12.500 Euro dotierten Hessischen Gründerpreis gewonnen. Trotzdem mussten wir Blut, Schweiß und Tränen einbringen und auf vieles verzichten. Ich habe weiter in einer Studenten-WG gewohnt und mir nicht wie andere in meinem Alter eine Zweizimmerwohnung eingerichtet. Aber so können wir unsere unternehmerische Selbstbestimmung genießen und müssen mit unseren Entscheidungen nicht erst durch ein Investorengremium.

Eure alten Jobs habt ihr mit der Gründung gekündigt?

Schulze: Wir haben uns im Januar 2020 kennengelernt. Ich habe tatsächlich im Juli darauf mit der ersten Förderung meine unbefristete Festanstellung an der Uniklinik Frankfurt gekündigt und bin bei MentalStark in Vollzeit eingestiegen. Das hat auch Sinn gemacht, weil ich als Vertriebsperson für die Netzwerkkoordination zuständig bin und telefonisch immer erreichbar sein musste. 

Claas: Ich bin erst einmal in meinem festen Job an der Deutschen Börse geblieben, während wir MentalStark Stück für Stück ausgetestet und ausgebaut haben. Im Dezember 2023 waren wir dann so zufrieden mit den Ergebnissen und zuversichtlich, dass MentalStark uns beide finan­ziell tragen kann, dass ich gekündigt habe und jetzt Vollzeitunternehmerin bin.

Ein Abo bei MentalStark kostet 15 bis 20 Euro im Monat. Davon allein könnt ihr euch aber nicht finanzieren, oder?

Schulze: Das stimmt. Unser Fokus liegt eigentlich auf einem Business-to-Business-­Geschäftsmodell. In unserem Fall sind das Partnerschaften mit aktuell 13 Kinderwunschkliniken, deren Patienten wir betreuen. Das Abo auf unserer Website, das aktuell etwa 2000 Frauen und Männer nutzen, ist dazu da, jedem Paar, das zum Beispiel gerade eine Fehlgeburt erlitten hat, Unterstützung zu bieten. Teuer ist das nicht – gerade wenn man bedenkt, was eine Sitzung beim Psychotherapeuten heute kostet und wie lange man auf einen Platz warten muss. 

Claas: Genau das ist eines der vielen Pro­bleme in unserem Gesundheitssystem. Die Nachfrage nach Therapien, Terminen und Behandlungen ist größer als das Angebot. Da brauchen wir mehr Digitalisierung.  Unsere Lösung ist, dass wir Fragen, die immer wieder auftauchen, auf clevere Art und Weise digitalisiert haben und mit persönlichen Elementen wie den Gruppenstunden ergänzen. So können wir für relativ kleines Geld viele Menschen unterstützen – viel mehr als mit Sallys ehrenamtlicher Telefon-Hotline von damals. 

Wie sieht eure Zukunftsvision aus?

Claas: Wir möchten MentalStark bei möglichst jedem Frauenarzt und jeder Frauenärztin in Deutschland bekannt machen und im besten Fall über die Krankenkassen abrechnen können – und zwar in verschiedenen Bereichen der Frauengesundheit. Wir arbeiten gerade mit Hochdruck an unserem Endometriose-Tool und an einem Onlinekurs „Erste Hilfe bei Fehlgeburt“. Wir glauben, dass es da einen ganz großen Bedarf gibt nach einer besseren Begleitung. Darum werden wir uns jetzt verstärkt kümmern.

Weitere Infos unter: https://mentalstark.app.

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