von Dr. Marie-Christine Frank
Für mich war 2025 ein Jahr mit vielen Highlights: Macherinnen-Award, Hochzeit, große Bühnen, viele laute Messen und Kundenevents. Gleichzeitig war 2025 politisch, sozial, im öffentlichen Diskurs ein Jahr, das Highspeed im Rückwärtsgang fuhr.
Viele Unternehmen haben ihre Diversity-Programme eingestellt. Geräuschlos. Vorständinnen verschwanden aus ihren Positionen, aus der Sichtbarkeit, wurden ersetzt durch den Typus „starker Mann“. Es war ein Jahr, in dem LinkedIn offenbar einen Algorithmus gebaut hat, der Frauen automatisch weniger Sichtbarkeit gibt. Es war ein Jahr, in dem wir über Shared Leadership und New Work kaum mehr geredet haben, in dem „Machtworte“, und „die harte Hand“ wieder salonfähig wurden und sich das Homeoffice in einen Ort für Lowperformer verwandelt hat. Ja, ich überspitze ein wenig. Dennoch: Das ist Trend, oder?
Und wenn es so ist: Ist das alles, weil es Trend ist, automatisch richtig? Und wenn man das alles nicht richtig findet – schreibt man dann darüber? Oder schweigt man lieber, um nicht auch noch von der Bildfläche gefegt zu werden?
Am 4. Dezember jährte sich der Todestag von Hannah Arendt zum 50. Mal. Ihr Plädoyer bleibt radikal aktuell: Habt Mut, Euch klar zu äußern – auch zu kontroversen Themen. Gerade dazu! Arendt wusste es, sie hatte es erlebt, wie gefährlich es ist, sich öffentlich zu zeigen. Als Philosophin, als Jüdin, als entschlossene Kämpferin gegen das Nazi-Regime hat sie trotzdem geworben für das „Wagnis der Öffentlichkeit“. Das Wort trifft es gut. Sichtbarkeit ist ein Wagnis.
Es braucht Kraft, sich sichtbar zu machen. Es braucht Kraft, Trollen in den Kommentarspalten Grenzen zu setzen. Es braucht Kraft, Shitstorms zu antizipieren und im Vorfeld schon Koalitionen als Bollwerke zu bauen. Aber was wir nicht vergessen dürfen: Die eigenen Themen sichtbar zu machen, ist viel mehr als nur Personal Branding. Es ist politisch wirksam. Arendt hat das klar formuliert: „Das öffentliche Sprechen ist eine Form des Handelns.“ Worte wirken. Aber nur dann, wenn diese Worte durchdacht sind. Authentisch. Wenn da eine Reflexionstiefe ist.
Das ist für mich das zweite große Thema dieses Jahres: das Verschwinden der menschlichen Stimmen. Viele schnell mit KI-Hilfe formulierte Postings erinnern mich an billige Möbel, die zwar so aussehen, als seien sie aus dicken Brettern gemacht. Tatsächlich aber ist es zusammengeklebtes Recycling-Zeug mit Holzeffektaufdruck. Nicht dran rütteln, fällt sofort auseinander… Es ist eine Pest.
Viele Creatorinnen haben 2025 mit Blick auf Impressions produziert. Reflexionstiefe? Eine eigene, unverwechselbare Stimme? Nicht so wichtig. Ich scrolle durch Insta, durch LinkedIn, und mit schlägt überall der gleiche, pathetische, pseudo-reflektierende Sound entgegen. Ganz ehrlich: Ich finde das nicht einmal mehr langweilig. Ich finde es ärgerlich, sogar gefährlich.
Für mich die schlimmste KI-Textpest: Negationsrhetorik. Ich habe darüber auch einen LinkedIn-Newsletter geschrieben – weil es so wichtig ist, hier noch einmal mein Beispiel: „Ich will kein Business, das meine Gesundheit ruiniert. Kein Erfolg, der mich ausbrennt. Kein Leben, das sich nur nach dem Kalender richtet. Was ich will… blabla“
Negationsrhetorik ist billigste Textmechanik: Erst das Gegenteil behaupten, um dann mit dem eigenen Punkt herauszuplatzen, als hätte man die Erleuchtung des Jahrhunderts. „Leute, hört: Nicht B, sondern A!“
Negationsrhetorik macht schlechte Texte. Und mehr noch: Sie macht uns dumm. Ein solches Denken reduziert komplexe Zusammenhänge simple Polaritäten. Hier A, da B. Nur zwei Pole. Und wir wundern uns über Polarisierung? Wenn wir nur noch über A versus B nachdenken und dann gleich in die „5 besten Hacks“ springen, dann fegen wir die Aspekte C bis Y gleich vom Tisch. Wir blenden die Zusammenhänge zwischen all diesen Faktoren aus, die Kontexte, die Ambivalenzen, die Paradoxien, die Spannungsfelder, die Bruchlinien: das alles können wir dann nicht mehr sehen, nicht mehr verstehen. Wir haben nur noch A und B. Rot versus Blau. Gut versus Böse.
Das ist dramatisch. Denn wenn wir das Denken an die KI abgeben, verlieren wir unsere Fähigkeit, schwierige Situationen so dicht zu beschreiben, dass wir sie immerhin ansatzweise verstehen. Wir verlieren unsere menschliche Fähigkeit, Ambivalenzen, Unklarheiten und Komplexität stehenzulassen und trotzdem weiterzumachen. Es ist exakt diese Fähigkeit, die wir brauchen, um Demokratie zu leben. Und es ist exakt diese Fähigkeit, die wir brauchen, um uns zu kontroversen Themen differenziert zu äußern.
Von Karl Kraus stammt der Satz: „Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“
Ich sage Nein zu diesen Trends. Der Rückwärtsgang ist nicht die einzige Antwort auf die Herausforderungen dieser Zeit. Mainstream-KI-Blabla ist nicht die einzige Reaktion auf den Druck der Algorithmen.
Es geht auch anders.
Jede und jeder von uns kann anders handeln.
Ich sage Ja zu Diversity. Ja zu einem „Denken ohne Geländer“, so wie Hannah Arendt es vorgemacht hat.
Als Schlussatz für diesen Text hat die KI vorgeschlagen: „Haltung ist das, was bleibt, wenn der Hype vorbei ist.“ Das ist Unsinn. Ist Haltung nicht vielmehr dein mutiges Handeln, während der Hype über dich hinwegfegt? Denn: Wozu ist Haltung gut, wenn der Rückwärtsgang-Hype eben nicht wieder aufhört?
Das ist meine letzte Kolumne dieses Jahr. Ich wünsche Euch eine schöne Advents- und Weihnachtszeit und freue mich über Feedback, wenn Euch die Kolumne Spaß macht. Schreibt mir gerne – zum Beispiel via LinkedIn. Frohe Weihnachten und wir lesen uns in 2026.
Zur Person: Dr. Marie-Christine Frank ist Expertin für strategische Kommunikation, Community-Building und Sichtbarkeit. Als Gründerin der Agentur für strategische Kommunikation und Beratung Drei Brueder hat sie sich darauf spezialisiert, Persönlichkeiten, Initiativen und Unternehmen sichtbar zu machen – mit einem klaren Fokus auf Diversität und gesellschaftlichen Wandel. Mit den Macherinnen, dem größten Kölner Business-Netzwerk für Frauen, hat sie eine Plattform geschaffen, die Frauen branchenübergreifend vernetzt und stärkt. Für ihr Engagement wurde sie 2023 mit der Urkunde für Bürgerschaftliches Engagement der Stadt Köln geehrt. Als Initiatorin des SPKR CLUB, einer Plattform für außergewöhnliche Speaker:innen, arbeitet sie daran, neue Stimmen und Vielfalt auf Bühnen und in die Debatten zu bringen. In ihrer Kolumne für Courage teilt sie ihre besten Tipps für mehr Sichtbarkeit und Impact – because visibility matters.



