Morgens kein Stau, mittags mit den Kindern essen: Viele Angestellte sind froh, seit Corona öfter von zu Hause arbeiten zu können. Doch Homeoffice ist nicht automatisch ein Erfolgsmodell.
von Sabine Hildebrandt-Woeckel
Als Susanne Pietrak ins Homeoffice wechselte, war sie ihrer Zeit weit voraus. 2019 war das. Corona kannte man, wenn überhaupt, nur als mexikanische Biermarke. Und Arbeiten von zu Hause aus war für die meisten Arbeitnehmerinnen allenfalls ein Traum – für das Gros der Arbeitgeber dagegen eher ein Albtraum. Vor allem in der Form, in der es die Social-Media-Expertin bis heute praktiziert: Sie sitzt in der Nähe von Karlsruhe – ihr Arbeitgeber, die Kommunikationsberatung Feldhoff & Cie., in Frankfurt.
Ein Jahr später sah die Welt anders aus. Corona war plötzlich ein Virus – und stellte Wirtschaft und Arbeitswelt völlig auf den Kopf. Von jetzt auf gleich mussten zig Arbeitnehmer nach Hause geschickt werden, denen genau das vorher verwehrt worden war. Auch Hana Wagner, die in München für die Auxilia Rechtsschutzversicherung arbeitet, ging es so. Mit eigenem Laptop und Telefon sollte sie vom heimischen Küchentisch aus weiterarbeiten.
Zuerst ein Schock, sagt sie heute. Aber inzwischen profitiert sie stark davon. Bis zu zwei Stunden Fahrzeit täglich, berichtet die Bilanzbuchhalterin, spart sie an zwei von vier Arbeitstagen dadurch, dass mobiles Arbeiten auch in ihrem Unternehmen zur Normalität geworden ist. Zeit, die die Mutter einer zweijährigen Tochter jetzt besser nutzen kann. Für das Kind, für den Haushalt, aber auch für sich selbst. „Das Leben“, freut sie sich, „ist entspannter“ geworden. Eine Aussage, die auch Susanne Pietrak, Mutter von zwei Kindern, so unterschreiben würde. „So kann ich Arbeit und Familie gerecht werden.“
Corona brachte den Durchbruch, das sehen unisono alle so, die sich mit dem Arbeitsmarkt beschäftigen. Innerhalb von nicht einmal drei Jahren wurde möglich, was vorher undenkbar erschien. In manchen Bereichen sind flexible Arbeitsmodelle fast schon Normalität geworden – vor allem im Marketing, in der Softwareentwicklung und in der Finanzbranche. Andere Wirtschaftszweige ziehen nach. Der Dienstleistungsbereich sowieso, und sogar das verarbeitende Gewerbe, wo Ende 2022 laut Onlineplattform Statista immerhin 15 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice waren.
Schwätzchen vermisst
Auch Susanne Pietrak erlebte den Wechsel ins heimische Arbeitszimmer nicht von Beginn an nur positiv. Auslöser war damals, dass ihr Mann ein attraktives Jobangebot in Karlsruhe erhalten hatte. Für sie stand fest: „Ich gehe mit.“ Aber sie liebte ihren Job – und sagte das auch ihrem Arbeitgeber. Der wiederum schätzte ihre Expertise so, dass sie als Erste in der Firma die Chance bekam, komplett von extern zu arbeiten. Anfangs, räumt sie unumwunden ein, vermisste sie das Schwätzchen zwischendurch sehr. Denn mitunter, so empfindet sie es bis heute, kann genau das helfen, „Gedanken zu sortieren oder den Kopf für neue Ideen zu öffnen“. Auch das soziale Miteinander fehlte ihr. Und immer noch hat sie den engeren Draht zu den Kollegen, mit denen sie vor ihrem Wechsel zusammengearbeitet hat. „Online oder am Telefon erzählt man sich einfach nicht so schnell Privates.“
Auf sich selbst gestellt sein, fehlende Nähe, das sind nur zwei einer ganzen Reihe von Nachteilen, von denen Homeworkerinnen berichten. Schwierigkeiten, den Tag zu strukturieren, ungeeignetes Equipment, zu wenig Platz oder zu viel Ablenkung zum Beispiel durch Kinderbetreuung oder Pflege können ebenfalls eine Rolle spielen. Auch die Technik spielt nicht immer mit. Wenn etwa die Internetverbindung abbricht oder ein Programm nicht funktioniert, berichtet Hana Wagner, „dann ist eben kein Techniker vor Ort“. Alles Faktoren, die Stress auslösen, im schlimmsten Fall sogar krank machen können – und damit auch die Leistung mindern.
Das weiß auch Silke Masurat, Geschäftsführerin von Zeag (Zentrum für Arbeitgeberattraktivität) in Konstanz. Sie hat im vergangenen Jahr gemeinsam mit der Universität St. Gallen eine Studie zum Thema Homeoffice durchgeführt – mit einem Ergebnis, das aufhorchen lässt: 41 Prozent der Teilnehmer befanden sich demnach in einer ungesunden oder sogar gesundheitsbedrohenden Situation. Und nur 26 Prozent der Teilnehmer konnten im Homeoffice ihr volles Potenzial ausschöpfen, ohne ihre Gesundheit dabei zu gefährden.
Lebenszeit gewinnen
Trotzdem – und auf diese Aussage legt Masurat Wert – sei sie nicht gegen Homeoffice. Im Gegenteil: Denn wenn die Rahmenbedingungen stimmen, gewinnen Homeworkerinnen nicht nur Lebenszeit, wie es Buchhalterin Wagner beschreibt, sie erreichen zudem ein besseres Ergebnis. Die Zeag–Studie zeigt das ebenfalls. So erlebt es auch Laura Enarson. „Wenn ich morgens höre, dass es auf meiner Bahnlinie eine Störung gibt, dann arbeite ich eben zu Hause.“ Und wenn es darum geht, neue Ideen zu entwickeln, dann auch. „Denn dort bin ich kreativer, und der Output ist größer.“
Enarson ist Marketingleiterin der Grundig Akademie Nürnberg. Schon vor Corona durfte sie einen Tag pro Woche im Homeoffice arbeiten. Heute ist es umgekehrt: Im Schnitt geht sie wöchentlich einmal ins Büro. Eine Lösung, die sie als „wahnsinnig angenehm“ empfindet. Die Mittagessen mit Kollegen will sie ebenfalls nicht missen.
Produktiver arbeiten
Die Vorteile überwiegen – das sieht man bei der Deutschen Bank heute genauso. Auch dort begann das Umdenken erst mit Corona. Zwar gab es auch vorher Telearbeitsplätze, erläutert Thorsten Koch, inzwischen jedoch arbeiten mehr als die Hälfte der deutschen Mitarbeiter zumindest teilweise mobil. Und interne Studien zeigen: Sie fühlen sich nicht nur wohler, knapp 90 Prozent geben auch an, produktiver zu sein.
Koch ist Leiter von „Future of Work“, einer neuen Abteilung, die als Schnittstelle zwischen dem globalen Flächenmanagement und dem Personalbereich gegründet wurde. Denn das mobile Arbeiten wirkt sich einerseits auf den Bedarf an Office-Flächen aus und stößt andererseits tiefe kulturelle Veränderungen an.
In welchem Umfang außerhalb des Büros gearbeitet werden kann, hängt bei dem Geldhaus vor allem von zwei Faktoren ab: von der spezifischen Aufgabe und von den persönlichen Präferenzen. Auch Letzteres ist für Koch „ein ganz wichtiger Punkt“.
Kommunikation, Meetingkultur, Karrierechancen im Homeoffice – diese Punkte müssen im Unternehmen bedacht und geregelt werden, damit alle profitieren. Mit solchen Fragen beschäftigt sich auch Patrick Pieles vom Personaldienstleister Robert Half (s. Interview unten). Er ist ebenfalls sicher, dass es
ein Zurück zur Fulltime-Präsenz nicht gibt. Schließlich, so Pieles, werde die Möglichkeit, den Arbeitsort frei zu wählen, angesichts zunehmenden Fachkräftemangels auch bei der Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern zum entscheidenden Faktor. Oder wie Personalerin Wright es erlebt: „Wir konkurrieren bei der Suche nach Spezialisten mit DAX-Konzernen. Da kann das schon das Tüpfelchen auf dem i sein.“
Mit anderen Worten: Wer junge, hoch qualifizierte Frauen im Unternehmen halten will, hat kaum noch eine Wahl. Das bestätigen auch Marketingleiterin Enarson, Buchhalterin Wagner und Social-Media-Expertin Pietrak. Komplett zurück in Büro? Darauf kommt von allen dreien spontan dieselbe Antwort: „Nein!“
Welche Homeoffice-Regeln sollten mit dem Arbeitgeber unbedingt vereinbart werden? Patrick Pieles vom Personalvermittler Robert Half gibt Antworten.
Was sind die wichtigsten Regelungen, die in Sachen Heimarbeit zu treffen sind?
Ganz entscheidend für den Erfolg dieses Arbeitsmodells ist, dass die Kommunikation funktioniert. Es sollte daher bereits vorab geklärt werden, wie, wann und wie oft sie stattfindet. Und ebenso wichtig ist die Kontrolle der Arbeitsleistung. Sprich: Die Arbeitnehmerin sollte gleich zu Anfang abfragen, was die Vorgesetzten erwarten – und auch aussprechen, wie sie sich selbst das Feedback wünscht.
Das heißt, es sollten regelmäßige Onlinemeetings stattfinden?
Der Austausch kann online stattfinden, aber nicht nur. Regelmäßige Face-to-Face-Gespräche sind ebenso wichtig wie Teammeetings oder informellere Teamevents außerhalb der Arbeitszeit.
Gibt es sonst noch etwas zu beachten?
Ja. Natürlich ist es auch wichtig, die Arbeitszeiten und vor allem die Erreichbarkeit abzusprechen. Generell gelten im Homeoffice normale Arbeitszeiten, dennoch ermöglicht diese neue Flexibilität, einen privaten Termin, etwa einen Arztbesuch, in den Tagesablauf zu integrieren. Priorität hat allerdings die Arbeitsverpflichtung, die Termine werden drumherum gebaut.
Wie kann man zögernde Arbeitgeber vom Homeoffice überzeugen?
Eine Möglichkeit wäre, dem Chef eine Homeoffice-Probezeit vorzuschlagen. Wer in dieser Zeit Leistung zeigt, hat starke Argumente auf seiner Seite.
(ml)