Ist Klimaschutz ein Menschenrecht? Urteil in drei Fällen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich zwar schon mit Umweltemissionen wie Lärm oder Luftverschmutzung auseinandergesetzt, aber noch nie mit den CO2-Emissionen eines Landes.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich zwar schon mit Umweltemissionen wie Lärm oder Luftverschmutzung auseinandergesetzt, aber noch nie mit den CO2-Emissionen eines Landes. Foto: Violetta Kuhn/dpa
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Die Kläger könnten unterschiedlicher nicht sein, aber sie wollen das Gleiche: Mehr Klimaschutz. Jetzt urteilt der Gerichtshof für Menschenrechte. Geht es den angeklagten Regierungen nun an den Kragen?

Verletzt ein Staat Menschenrechte, wenn er nicht genügend gegen den Klimawandel tut? Zu dieser Frage will der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) heute in Straßburg gleich drei Urteile sprechen. Geklagt haben sowohl mehrere Jugendliche aus Portugal als auch Seniorinnen aus der Schweiz und ein französischer Bürgermeister. Die Urteile könnten auch Auswirkungen auf Deutschland haben.

Rentnerinnen und Teenager für mehr Klimaschutz

Die jungen Kläger aus Portugal werfen 32 europäischen Staaten – darunter auch Deutschland – vor, die Klimakrise verschärft und damit die Zukunft ihrer Generation gefährdet zu haben. Anlass für ihre Klagen waren die verheerenden Waldbrände von 2017 in ihrem Heimatland. Wenn sie Recht bekommen, könnte der EGMR die Regierungen der EU-Mitgliedsländer und der mitangeklagten Staaten Norwegen, Russland, Türkei, Schweiz und Großbritannien auffordern, strengere Klimaziele zu beschließen und einzuhalten.

Die von Greenpeace initiierte Gruppe älterer Frauen aus der Schweiz will erreichen, dass die Alpenrepublik ihre Treibhausgasemissionen stärker reduzieren muss. Die sogenannten Klimaseniorinnen geben an, dass sie durch mangelnde Klimaschutzmaßnahmen in ihrem Recht auf Leben sowie auf Privat- und Familienleben verletzt würden. Im dritten Verfahren geht es um die Klage eines französischen Ex-Bürgermeisters. Er meint, Frankreich habe keine ausreichenden Maßnahmen zur Verhinderung des Klimawandels ergriffen.

Warum die Urteile besonders sind

Die Klage der Schweizerinnen gilt als erste Klimaklage überhaupt, die vor dem EGMR verhandelt wurde. Außerdem hat Straßburg wohl selten einen so großen Prozess gesehen wie den der sechs portugiesischen Jugendlichen: Allein aufseiten der gerügten Staaten waren bei der Anhörung 80 Anwälte vertreten. Erwartet werden nun ein weltweites Medieninteresse und große Solidaritätsbekundungen für die Klimaaktivisten. Die schwedische Aktivistin Greta Thunberg soll ebenfalls vor Ort sein.

Auch inhaltlich sind die Fälle spannend: Der EGMR hat sich zwar zuvor schon mit Umweltemissionen wie Lärm oder Luftverschmutzung auseinandergesetzt, aber noch nie mit den CO2-Emissionen eines Landes. «Wir hoffen auf ein Leiturteil, dass Klimaschutz eine menschenrechtliche Frage ist und nicht nur auf eine bloße Absichtserklärung», sagte die Klimaseniorin Stefanie Brander vor der Anhörung der Deutschen Presse-Agentur.

Der EGMR gehört zum Europarat und ist für die Einhaltung der Menschenrechtskonvention zuständig. Im Europarat sitzen die EU-Staaten, aber auch andere große Länder wie die Türkei oder Großbritannien. Spräche sich dieses supranationale Gericht nun etwa für strengere Vorgaben beim Klimaschutz aus, hätte das in jedem Fall große Signalwirkung.

Was die Urteile für Deutschland bedeuten könnten

Ein Urteil des EGMR bindet grundsätzlich nur das Land, das verurteilt wird. «Stellt das Gericht fest, dass Portugal oder die Schweiz Menschenrechte verletzt haben, hätte das für Deutschland lediglich indirekte Folgen», erklärt die Völkerrechtlerin Birgit Peters. Zum Beispiel könnte die Bundesrepublik unter der Menschenrechtskonvention dann genauso wie das gerügte Land verpflichtet sein, Treibhausgase weiter zu reduzieren, um das Leben und die Gesundheit der Menschen zu schützen.

Die jungen Portugiesen haben nicht nur ihre Heimat, sondern einen Großteil der Länder des Europarats verklagt – also auch Deutschland. Sollten die Richter zu dem Schluss kommen, dass auch Deutschland wegen mangelhaften Klimaschutzes die portugiesischen Jugendlichen in ihren Menschenrechten verletzt hat, so könnte das Gericht Deutschland zum Beispiel dazu verpflichten, die Vorgaben des Pariser Klimaübereinkommens zu beachten, wie Peters sagt.

«Da die Bundesrepublik die Einhaltung dieser Verpflichtungen im aktuellen Klimaschutzgesetz umgesetzt hat, würde sich aber erst einmal nichts für Deutschland ändern.» Ändern würde sich demnach allein etwas, wenn die Reduktionsverpflichtungen der Staaten anders definiert würden, also die Richter Deutschland aufforderten, noch mehr CO2 zu reduzieren als bislang. Ob der Gerichtshof allerdings so weit geht, bleibt abzuwarten.

Wie die Chancen stehen

Einige Beobachter hatten damit gerechnet, dass zumindest die Klage der Jugendlichen gleich abgewiesen werden würde. Denn normalerweise müssen sich Betroffene erst in ihrem Heimatland durch die Instanzen klagen, bevor der EGMR angerufen werden kann. Das hatten die Portugiesen nicht getan.

Die Richter machten jedoch eine Ausnahme und verwiesen den Fall zusammen mit den anderen beiden Klagen an die Große Kammer. Dass die Klagen dort verhandelt wurden, spricht dafür, dass die Richter den Verfahren besondere Bedeutung beimessen und der Fall zumindest nicht ganz aussichtslos erscheint.

Einer der entscheidenden Punkte in allen drei Fällen wird die sogenannte Opfereigenschaft sein. Das bedeutet, dass man direkt oder indirekt von der potenziellen Menschenrechtsverletzung betroffen sein muss. Am Tag vor dem Urteil zeigten sich die Klägerinnen und Kläger nervös, aber kämpferisch: «Eines ist sicher: Wir werden nicht aufhören, egal, wie es ausgeht», sagte der 15-jährige André dos Santos Oliveira. (dpa/aig)

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