Judith Rakers: Die Selbermacherin

Foto: Sebastian Fuchs für „Homefarming“ judith rakers
Foto: Sebastian Fuchs für „Homefarming“

Gemüseanbau statt Nachrichtenkonferenz: Nach fast 20 Jahren als „Tagesschau“-Queen hat sich Judith Rakers neu erfunden. Sie lebt auf ihrer kleinen Farm zwischen Beeten und mit Hühnern. Wie es dazu kam, welche Tipps sie für uns hat.

von Julia Marten

Viel Mut und noch mehr Entschlossenheit braucht es, um eine berufliche Karriere, die erfolgreich aufgebaut worden ist, für etwas Neues aufzugeben. Erst recht wenn das Projekt nicht im Geringsten mit der bisherigen Tätigkeit zu tun hat, nur wenig Sachkenntnisse vorhanden sind und eigentlich „nur“ eine unbändige Leidenschaft dafür brennt.

Der Bruch in der beruflichen Biografie der 49-jährigen Judith Rakers war eklatant. Nach dem Studium (Publizistik, Deutsche Philologie) an der Uni Münster arbeitet sie fürs Radio, schreibt für Tageszeitungen, landet beim Regionalfernsehen und debütiert 2005 als „Tagesschau“-Sprecherin. Immer wieder belegt sie in Umfragen Platz 1 als „beliebteste Nachrichtensprecherin“. Aber dann, am 31. Januar 2024, verabschiedet sich Rakers „ganz dezent“ von ihren Zuschauern: „Danke, dass Sie mich in den letzten 19 Jahren immer wieder in Ihr Wohnzimmer gelassen haben.“ Was sie nicht sagt: „… und bald heiße ich euch alle in meinem kleinen ‚Farmhouse‘ willkommen.“ Stattdessen erklärt sie etwas gestelzt: „Es ist an der Zeit, den Fokus in meinem Leben auf andere Projekte zu lenken.“ Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn kurz darauf bekennt sie in einem Radiointerview: „Am nächsten Morgen bin ich aufgewacht und habe gedacht: Okay, ich hab’s echt durchgezogen und habe keinen Rückzieher gemacht.“ Ein Abschied, ein Umbruch ohne die Gewissheit, „ob das alles so aufgeht, was ich mir für meine Zukunft überlegt habe“. 

Die entscheidende Erkenntnis von Judith Rakers, von der auch alle Tipps rund um diesen Artikel stammen: „Ich habe keine Angst vor Veränderung.“ Statt pulsierender Großstadt ein beschauliches Landleben, statt Nachtkonferenz zum Ukraine-Krieg einen Gartenworkshop für Kids vorbereiten, und statt in der TV-Maske für ein Millionenpublikum hübsch gemacht zu werden, im Regen Saatstände und Hühnergehege­ ­checken. Klar, Judith Rakers ist prominent und kann auf andere Netzwerke zurückgreifen als Frauen außerhalb des Rampenlichts. Doch man kann einwenden, dass dafür der Druck für das Gelingen ihres neuen Weges um so größer ist. Und als Role Model wirkt sie wie ein glaubwürdiges und gelungenes Beispiel dafür, dass eine so große Zäsur im Leben funktionieren kann: 2011 der Deutsche Fernsehpreis für ihre „ESC“-Moderation vor weltweit 114,5 Millionen Zuschauern – und 2024 der Social-Media-Preis „Die ­Goldenen Blogger“ in der Kategorie „Celebrity“ für ihr „Homefarming“. 

Was sich für Judith Rakers inzwischen zu einer überraschenden zweiten Karriere entwickelt, hat eher zufällig begonnen. Eindrucksvoll schildert sie ihren Weg ins Grüne auf den 240 Buchseiten von „Home­farming. Selbstversorgung ohne grünen Daumen“, das es auf Platz 1 der „Spiegel“-Bestsellerliste schafft:

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich hatte keine Ahnung! Null! Niente! In meinem Leben hatten die Themen Garten und Gemüseanbau nie eine Rolle gespielt. Nicht mal eine Nebenrolle. Ich besaß in meiner Studentenzeit genau zwei Zimmerpflanzen, von denen nur eine mein letztes Semester erlebte. Wenn ich ein Töpfchen Basilikum kaufte, um eine leckere Caprese zuzubereiten, dann war dieses Basilikum schon im Einkaufswagen seinem endgültigen Ende nah. Und zwar nicht, weil ich es für meinen Tomatensalat abgeerntet hätte, sondern weil es in meiner Küche regelmäßig nur noch ­wenige Tage überlebte. Genauso wie die Orchideen, mit denen ich es immer wieder versucht hatte. Bei mir überlebte einfach keine Pflanze. Kein grüner Daumen, sagte ich mir dann immer. So ist es eben. Ist halt nicht meins.

Wie ich mich geirrt hatte! Ich kann nicht genau sagen, wann der Wunsch in mir entstand, Gemüse selbst anzubauen. Aber es gab in den vergangenen Jahren zwei Ereignisse rund um dieses Thema, die ich noch sehr gut erinnere, und ich nehme an, sie brachten den Stein ins Rollen. 

Das erste Ereignis fand im Rahmen meiner Talkshow „3nach9“ statt, die ich ge­meinsam mit dem Chefredakteur der „Zeit“, Giovanni di Lorenzo, moderiere. Ich sollte den Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl in­terviewen und bekam deshalb sein Buch zugeschickt: „Der Selbstversorger“ stand ganz groß darauf. Und daneben war das Foto meines Gastes abgedruckt: ein älterer Herr in verwaschenem orangefarbenem T-Shirt, langen grauen Haaren und einem ebensolchen Bart. Auf der Rückseite des Buches ­wurde er als „Kultautor“ vorgestellt und als Experte, der auf seinem Bauernhof im Allgäu kompletter Selbstversorger sei. In der Einleitung erfuhr ich dann, dass er auch reichlich esoterisch angehaucht war, denn er empfahl, sich beim Gemüsegärtnern nach den Mondphasen zu richten. „Da bin ich ja schon raus“, dachte ich damals als prag­matischer Steinbock. Dennoch beeindruckten mich die Fotos und Texte im Buch. Ich dachte: „Ist schon cool, wenn man so komplett autark ist und sich um das absolute Grundbedürfnis, das Essen, selbst küm-
mern kann.“

Wenige Tage später wurde ich von einem „Tagesthemen“-Kollegen auf das Interview angesprochen: „Toller Gast, Judith, der Storl. Ich habe einige Bücher von ihm. Wenn du willst, bringe ich dir mal ein paar selbst gezogene Zucchini mit.“ Ich war überrascht: „Du baust Zucchini an?“ – „Ja“, antwortete er, „und ich habe so viele, dass ich die gar nicht allein essen kann.“ – „Machst du das mit den Mondphasen?“, fragte ich. Und er: „Nö. Geht auch ohne.“ Ich war baff. Plötzlich gab es doch eine Überschneidung zwischen Storls Welt und meiner. „Das sollte ich vielleicht auch mal probieren.“ Ich kann euch nicht sagen, wie es dann genau weiterging. Die Nachrichten über den Klimawandel werden eine Rolle gespielt haben, der Wunsch nach einem nachhaltigeren Leben, nach Entschleunigung. Aber irgendwann war sie da, die Vision. Ich hatte plötzlich einen Traum. Den Traum vom Leben auf dem Land mit Garten und Gemüsebeeten. Das volle Programm.

Bei ihrem Umzug von der seriösen Medienbühne ins ungedüngte ­Gemüsebeet beeindruckt Judith ­Rakers mit entwaffnender Ehrlichkeit. „Hätte mir jemand vor zehn Jahren gesagt, dass ich mal Bücher zum Thema Gemüse­anbau, Hühnerhaltung und Kochen schreiben würde: Ich hätte erst die Stirn gerunzelt und mich dann kaputtgelacht.“ Wer so im Vorwort des eigenen Buches schreibt, kann eigentlich nur gewinnen. Clever „als Anfängerin für Anfängerinnen“, aber auch sympathisch, weil sie sich, wenn es ohne fachlichen Background nicht mehr weitergeht, Rat holt – und so mit der Zeit selbst zur Expertin wird. Und weil Judith Rakers mit ihrer journalistischen Erfahrung natürlich weiß, dass es keine dummen Fragen gibt, solange nur die Antworten klug genug sind. 

Inzwischen folgen 360.000 Menschen den Hühnern Schatzimausi, Trouble und Kiwi auf Rakers’ Instagram-Account, der neben Lust aufs Landleben immer wieder kurze Gartentipp-Clips bietet. Die Website firmiert als Onlinemagazin. Hier können die alle 14 Tage neu mit saisonalen Themen veröffentlichten Podcasts, Video-Tutorials und die Rezeptsammlung abgerufen werden – gratis! Aber natürlich gibt es da auch den prall gefüllten Webshop inklusive selbst verfasstem Kinderbuch „Judiths kleine Farm“. Tja, vielleicht sollte ich ja auch aufs Land ziehen … aber zuerst:

Euer DIY-Projekt:

Pflücken, waschen, zubereiten – Holunderblütensirup

Zutaten:

Aus eigener Ernte: 15–20 Holunderblütendolden
Plus: 1 kg Zucker, Saft von 1 großen Biozitrone
Ergibt: 2 Flaschen à 750 ml
Zeit: 20 Min. + 1 Tag zum Ziehen

Judith Rakers’ Tipp:

Ihr könnt aus allen Früchten eures Gartens Sirup herstellen. Es ist immer das gleiche Prinzip: 1 kg Früchte entkernen, klein schneiden und pürieren. Mit 500 g Zucker in 1 Liter Wasser aufkochen (das Ganze kann ruhig bis zu 30 Minuten vor sich hin köcheln, da Sie hier keinen Gelierpunkt abpassen müssen). Gegen Ende den Saft einer Zitrone oder Orange dazugeben, alles durch ein feines Sieb beziehungsweise durch ein Passiertuch schütten und den fruchtstückchenfreien Sirup dann heiß in die ausgekochten Flaschen füllen und diese gut verschließen.

Zubereitung:

  1. Ihr erntet die Holunderblütendolden, wenn die Blüten schon geöffnet sind und die ersten beginnen, braun zu werden. Danach klopft ihr sie am Rand einer Schüssel wieder vorsichtig aus (nicht waschen!).
  2. Legt die Blütendolden in 1,5 l Wasser und lasst das Ganze einen Tag lang im Kühlschrank oder Keller ziehen.
  3. Am nächsten Tag gießt ihr das Blütenwasser durch ein Passiertuch oder ein feines Sieb in einen Topf, sodass Stängel und Blüten im Sieb hängen bleiben. Drückt mit einem Löffel alles Wasser aus ihnen heraus und entsorgt sie auf dem Kompost.
  4. Schüttet Zucker und Zitronensaft zum Blütenwasser und bringt alles zum Kochen. Sobald sich der Zucker aufgelöst hat, füllt den Sirup in 2 sterile Flaschen mit Gummiring – schon habt ihr eine Flasche Sirup und noch eine zum Verschenken. 
  5. Den Sirup mit Sprudelwasser mischen und als Holunderblütenschorle genießen. 
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