Karriereplanung? Fehlanzeige! Warum der Weg ins Top-Management auch ohne Plan gelingen kann

Foto: Anne Michels
Foto: Anne Michels

„Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?“ Früher war das eine Standardfrage in Vorstellungsgesprächen. Wer hoch hinaus wollte, brauchte darauf eine klare Antwort.

Ein Gastbeitrag von Anne Michels

Die Wege ins Top-Management schien damals festgelegt und verliefen nach einem klaren Schema: ein Abschluss an einer renommierten Universität, am besten in BWL. Auslandserfahrung. Ein paar Jahre Beratung. Stationen in Finanzen und Vertrieb. Natürlich alles mit einem Zeitplan und klaren Meilensteinen. Vor allem aber: viele Jahre im selben Unternehmen, ein geradliniger Aufstieg Stück für Stück die Hierarchie hinauf.

Aber ist das heute noch so? Kann man Karrieren in Zeiten von Globalisierung, Digitalisierung, Klimakrise und geopolitischen Umbrüchen überhaupt noch planen – oder sollte man es vielleicht gar nicht mehr versuchen?

Ich selbst hatte nie eine gute Antwort auf die Frage „Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?“. Und doch führte mich mein Weg bis in die Rolle als COO und Vice President. Dabei war meine Laufbahn alles andere als geradlinig – und schon gar nicht geplant. Mein Umzug nach Seattle etwa: Ich war vorher noch nie dort gewesen, kannte niemanden und ließ mein vertrautes Umfeld zurück. Plötzlich stand ich mit nur zwei Koffern am Flughafen. Zwei Tage später begann ich bei Microsoft. Es war ein Sprung ins Ungewisse, aber genau dieser Schritt hat meine Laufbahn entscheidend geprägt.

Meine erste COO-Rolle übernahm ich, obwohl ich nie zuvor in Operations gearbeitet hatte. Und mein erstes Speaking Engagement entstand beiläufig bei einem Kaffee mit einer Freundin. Das war das nicht durch einen detaillierten Plan möglich, sondern durch Engagement, Einsatz, mein Netzwerk – und vor allem Mut. Mut, nach Chancen zu fragen. Mut, das Unbekannte auszuprobieren. Mut, Dinge einfach mal zu machen.

Natürlich kann ein Plan hilfreich sein. Er gibt Orientierung, weil man weiß, was als Nächstes kommt. Er vermittelt Sicherheit, weil man ihm folgen kann, ohne ständig neu nachzudenken. Man kann gezielt Kompetenzen und Skills aufbauen. Und es gibt Menschen, die einen Plan brauchen, um handlungsfähig zu bleiben.

Doch Pläne können auch einschränken. In einer sich rasant verändernden Welt können Pläne wie Scheuklappen wirken: Chancen bleiben unbemerkt, weil sie nicht in die Planung passen. Und manchmal führen Pläne dazu, dass man an etwas festhält, das einen gar nicht erfüllt. Das BWL-Studium macht keinen Spaß? Der Job motiviert nicht? Wer dann trotzdem stur weitermacht, schadet am Ende nicht nur seiner Karriere, sondern auch seiner Zufriedenheit. Denn Studien zeigen: wer zufrieden ist in seinem Job, liefert bessere Leistungen und ist erfolgreicher.

Kein Wunder also, dass Expert:innen immer häufiger nicht mehr von der klassischen „Karriereleiter“, sondern vom „Squiggly Career Path“ sprechen – einem kurvenreichen, unvorhersehbaren Weg statt einer starren Linie. Karriereschritte entstehen hier oft durch seitliche Bewegungen („zigzagging“), kleine Experimente oder indem man den eigenen Job aktiv gestaltet („job crafting“). Laut einer LinkedIn-Studie haben 64 % der Berufstätigen in den letzten fünf Jahren mindestens einen deutlichen Richtungswechsel in ihrer Laufbahn erlebt – meist ungeplant, aber oft mit positiven Folgen.

Damit ändern sich auch die Anforderungen an Führungskräfte. Wer nach dem alten Muster „bereit“ fürs Top-Management ist, bringt womöglich nicht die Fähigkeit mit, die morgen gefragt sind. In Zeiten von KI, geopolitischer Unsicherheit und permanentem Perfektion, sondern Anpassungsfähigkeit. Forschungen zur „Career Adaptability“ zeigen: Menschen, die Neugier, Selbstvertrauen und Flexibilität mitbringen, sind erfolgreicher, engagierter – und können besser mit Unsicherheit umgehen.

Das deckt sich auch mit meiner Erfahrung: Heute brauchen wir Führungskräfte, die sich von Ungewissheit nicht abschrecken lassen, die das große Ganze im Blick behalten, neugierig bleiben und Neues ausprobieren. Menschen, die Herausforderungen proaktiv annehmen und andere mitnehmen. Eine solche „Lass-mal-machen“-Mentalität entsteht nicht, wenn man blind einem Plan folgt. Sie wächst aus der Fähigkeit, sich auf Dinge einzulassen – auch auf Umwege.

Dass Erfolg selten geradlinig verläuft, zeigen viele prominente Beispiele.

So begann Sheryl Sandberg ihre Laufbahn nicht in der Tech-Branche, sondern bei der Weltbank, wo sie als Ökonomin Entwicklungsprojekte betreute. Danach wechselte sie ins US-Finanzministerium, bevor sie später als COO von Facebook zu einer der prägendsten Stimmen des Silicon Valley wurde. Ihr Weg war kein vorgezeichneter Plan, sondern geprägt von klugen Entscheidungen im richtigen Moment.

Auch Steve Jobs brach sein Studium der Physik und Literaturwissenschaften nach nur einem Semester ab, jobbte zunächst bei Atari und gründete wenig später – ohne klassischen IT-Hintergrund – die Apple Computer Company. Howard Schultz, der spätere CEO von Starbucks, wuchs in bescheidenen Verhältnissen in Brooklyn auf. Er war der Erste in seiner Familie mit einem College-Abschluss und fand nur über Umwege in die Kaffeebranche. Ein klarer Karriereplan war bei ihm nie erkennbar, dafür aber Beharrlichkeit und der Wille, neue Wege zu gehen.

Susan Wojcicki, die spätere CEO von YouTube, hatte ursprünglich ganz andere Pläne: Sie studierte Geschichte und Literatur und begann im Marketing. 1998 vermietete sie zufällig ihre Garage an die Google-Gründer. Aus diesem Zufall wurde der Beginn einer jahrzehntelangen Karriere in der Tech-Branche, die sie bis an die Spitze von YouTube führte. Und auch Magdalena Rogl, heute Diversity & Inclusion Lead bei Microsoft Deutschland, startete in einem ganz anderen Umfeld: Sie arbeitete zunächst als Erzieherin, bevor sie ihren Weg in die Technologiebranche fand.

Geradlinig war keiner dieser Wege. Und genau das machte sie erfolgreich. Moderne Manager:innen zeichnen sich nicht durch festgelegte Pläne aus, sondern durch Anpassungsfähigkeit, kreative Problemlösungen, Weitblick und die Fähigkeit, Menschen zu motivieren.

Das versuche ich auch meinen beiden Töchtern mitzugeben. Meine große Tochter ist gerade eingeschult worden. Als sie mit ihrer lilafarbenen Schultüte, die mit blau-pinken Pompons und einer großen silbernen Katze verziert und fast größer als sie selbst war, stolz über den Schulhof stiefelte, erinnerte ich mich an den Satz, den mein Vater mir vor großen Entscheidungen mitgab: „Mach etwas, das dir Spaß macht. Alles andere kommt von alleine.“

Die Frage „Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?“ hört man heute kaum noch in Interviews. Und das ist auch gut so. Denn wichtiger als ein Plan sind Mut und Offenheit. Wer wirklich etwas erreichen will, muss nicht alles durchdenken und auf Jahre vorausplanen. Entscheidend ist, Chancen zu erkennen – und sie zu ergreifen, auch wenn sie nicht auf dem Karriereplan stehen.

Über Anne Michels:

Anne Michels ist eine erfahrene Führungskraft im IT-Bereich mit umfassender Expertise in operativer Unternehmenssteuerung, digitaler Transformation und internationalem Marketing. Als Chief Operating Officer (COO) von Kyndryl Deutschland verantwortete sie die Bereiche Business Operations, Procurement, Facilities und Business Processes und prägte maßgeblich die strategische Ausrichtung des Unternehmens. Zuvor war Michels in verschiedenen leitenden Positionen bei Microsoft tätig – unter anderem als COO von Microsoft Österreich sowie als Director Product Marketing für Microsoft Teams am Hauptsitz in Redmond, USA. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit ist Michels eine gefragte Sprecherin, die ihr Wissen insbesondere zu den Themen Künstliche Intelligenz, digitale Transformation und Frauen in der IT regelmäßig auf Konferenzen und in verschiedenen Formaten teilt. Die 42-jährige ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern. In ihrer Freizeit ist sie gerne mit ihrer Familie in der Natur unterwegs – ob beim Klettern, Snowboarden oder anderen sportlichen Aktivitäten.

Anne Michels gehört zu den 262 Top-Managerinnen des Netzwerks Generation CEO e. V.

Generation CEO e. V. ist ein etabliertes Frauennetzwerk für Top-Führungskräfte im deutschsprachigen Raum. Es wurde 2007 von dem Personalberater Heiner Thorborg, Ehrenvorsitzender von Generation CEO e. V., gegründet und ist seit 2019 als Verein organisiert, der mittlerweile 262 Mitglieder zählt.

Generation CEO e. V. setzt sich gezielt für die Verbesserung der Situation von weiblichen Führungskräften im oder auf dem Weg ins Top-Management ein. Ziel des Vereins ist die Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Konkret stärkt und fördert der Verein das berufliche Interesse, die Aufstiegschancen, die Entwicklung und das Engagement von Frauen in Wirtschaftsunternehmen und wirtschaftsnahen Institutionen sowie in Gesellschaft und Öffentlichkeit (z. B. Stiftungen). Dadurch soll der Anteil von Frauen in Führungspositionen in Unternehmen erhöht und das Bewusstsein für bisher ungenutzte Führungspotenziale geschärft werden.

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