Keine Zeit für Klugscheißer

Er will zurück an die Börse: Ex-US-Präsident Donald Trump.
Foto: Jeff Dean/AP/dpa

Kaufen oder nicht kaufen, verkaufen oder nicht verkaufen? Viele – auch deutsche – Privatanleger stellten sich diese Frage fast täglich, und viele wurden dabei auf dem falschen Fuß erwischt. Seit US-Präsident Donald Trump am „Liberation day“ in der Handelspolitik Nägel mit Köpfen gemacht hat, fährt die Börse Achterbahn: Am 2. April hatte er fast die ganze Welt mit Strafzöllen belegt – zwischen 20 Prozent (EU) und 46 Prozent (Vietnam).

Japan wurde mit 24 Prozent, Südkorea mit 25 Prozent, die Schweiz mit 31 Prozent und China mit 34 Prozent belegt. Nachdem China Gegenzölle festgelegt hatte und auch die EU über solche Maßnahmen nachdachte, schien aus dem Zollstreit ein Handelskrieg zu werden – mit allen Folgen, die eine solche Behinderung des Handels mit sich bringt. Der Dreisatz der Börsianer: Höhere Zölle gleich niedrigeres Wirtschaftswachstum, niedrigeres Wachstum gleich niedrigere Unternehmensgewinne, niedrigere Gewinne in der Zukunft, gleich niedrigere Kurse heute. Entsprechend zerbröselten die Kurse, manche Beobachter sprachen schon von einem Massaker. Mutige stockten Bestände auf, Vorsichtige verkauften mit Verlust. 

Kaufen oder Abwarten, Verkaufen oder Halten, fragt man sich also rund um den Globus in Bezug auf das eigene Depot. Und: „Was will Trump wirklich?“ in Bezug auf das Verhältnis der USA zu ihren Partnern. Geht es ihm um Protektionismus oder um eine neue faire Welthandelsordnung mit – wie sein Berater Elon Musk das skizzierte – möglichst Null-Zöllen. Liefe es auf globalen Freihandel hinaus, wäre das ein in der oben beschriebenen Logik ein starkes Kaufsignal. 

Wie das so ist an der Börse, werden Entwicklungen allerdings häufig unter- oder überschätzt. So wie es nicht zu einem globalen Freihandel kommen wird, werden sich die USA dauerhaft nicht komplett abschotten können. Natürlich ist Protektionismus schädlich, aber er ist nicht der Weltuntergang. Agnieszka Gehringer und Professor Thomas Mayer vom Flossbach von Storch Research Institute haben sich die Mühe gemacht, einmal nachzurechnen:

„Im Jahr 2023 betrug das Volumen des Weltgüterhandels (ausgedrückt in der Summe von Exporten und Importen) rund 44 Billionen US Dollar. Der Anteil der USA belief sich auf zwölf Prozent. Die Europäische Union und China kamen auf 31 beziehungsweise 14 Prozent. Im Jahre 2023 betrug das Handelsbilanzdefizit rund eine Billion Dollar. Die USA hielten im gleichen Jahr einen Anteil von 15 Prozent an den gesamten Importen der Welt und von 9 Prozent an den Exporten. Seit Jahren ändert sich an diesen Verhältnissen nur wenig. Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte es nicht gelingen, die Handelsbilanz dadurch auszugleichen, dass die Importe auf das bestehende Niveau der Exporte verringert werden. Da ein Teil der Importe zur Herstellung von Exportgütern notwendig ist, sind von den Importbeschränkungen auch die Exporte betroffen. Für unsere folgende Beispielrechnung nehmen wir an, dass dies 20 Prozent der Exporte betrifft. Dadurch fallen die Exporte um 0,4 Billionen US Dollar auf 1,6 Billionen. Wenn auf diesem Niveau der Exporte die Handelsbilanz ausgeglichen sein soll, müssen die Importe um 1,6 Billionen US-Dollar fallen. Zusammengenommen ergibt sich ein Rückgang der US-Handelsströme um zwei Billionen US Dollar. Der gesamte Weltgüterhandel verringert sich dadurch um überschaubare fünf Prozent. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass ein Teil der nicht in den USA verkauften Waren in andere Weltregionen (zu günstigeren Preisen) umgeleitet wird. Für unsere Beispielrechnung nehmen wir an, dass durch die Handelsumlenkung die Hälfte des Handelsverlustes kompensiert werden kann. Unterm Strich würde folglich der gesamte Weltwarenhandel um gerade mal zwei Prozent oder weniger als eine Billion US Dollar zurückgehen. Angesichts der Größenordnung könnte der Welthandel dies gut verkraften.“

Mittlerweile signalisierten mit Ausnahme der Chinesen alle wichtigen Handelspartner der USA, dass sie an Verhandlungslösungen interessiert seien. Hat Trump damit sein Ziel schon erreicht, zumal er auch im Fall China von einem „Deal“ ausgeht? Jedenfalls setzte er am Mittwoch die meisten der gerade in Kraft getretene Zölle für 90 Tage aus. Trump schrieb auf der Plattform Truth Social, er habe eine 90-tägige Pause angeordnet und während dieses Zeitraumes greife ein gesenkter Zollsatz in Höhe von zehn Prozent. Für chinesische Einfuhren hob Trump den Zollsatz noch mal auf insgesamt 125 Prozent an. Während der 90-tägigen Pause soll es Verhandlungen mit den betroffenen Staaten geben, um Handelsbarrieren für Einfuhren aus den USA abzubauen. Trumps Finanzminister Scott Bessent bemühte sich, das Vorgehen des Präsidenten als Erfolg darzustellen: Es sei genau diese Strategie gewesen, die mehr als 75 Länder nun dazu gebracht habe, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Die Börsen bekämen jetzt mehr Sicherheit.

Wie zerronnen, so gewonnen, könnte man in Verkehrung des Sprichwortes zur Entwicklung von gestern Abend an der Wall Street und der heutigen Handelseröffnung in Europa sagen, die die starke Erholung aus Asien fortsetzten. Die Wall Street reagierte jedenfalls euphorisch: Der amerikanische Leitindex S&P 500 sprang bis Handelsschluss um fast zehn Prozent nach oben, der technologielastige Nasdaq Composite gar um zwölf Prozent. Der amerikanische Aktienmarkt holte damit einen Großteil der Verluste wieder auf, die er seit Anfang April erlitten hatte. Weitere Zuversicht zogen die Finanzmärkte am Mittwoch daraus, dass das US-Finanzministerium erfolgreich fast 40 Milliarden Dollar an 10-jährigen Staatsanleihen im Markt platzieren konnte. 

Schon kommen wieder die Klugscheißer um die Ecke, die daran erinnern, dass Panik ein schlechter Ratgeber an der Börse sei, und man einen langfristigen Horizont haben sollte. Ganz unrecht haben sie natürlich nicht, aber wer auf Nummer sicher gehen will, kauft derzeit eher Aktien von Unternehmen mit hohem Inlandsbezug (wie die Wohnungsbaugesellschaften Vonovia und Deutsche Wohnen) und/oder hoher Dividendenrendite (wie Allianz, Daimler Truck, Eon oder Munich Re (alle um fünf Prozent)). Das sichert das Depot wenigstens ein bisschen ab.

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