Kinderkriegen und Care-Arbeit als Karriereknick?

Gelesen wird im Bett gemeinsam, wo das Kind dann letztendlich schläft, ist gar nicht mal so entscheidend.
Foto: Andrea Warnecke/dpa-tmn/dpa

Was Männer im Job leisten, können Frauen auch – und sollten dafür genauso viel verdienen. Das ist Gleichberechtigung in der Theorie. Doch die deutsche Arbeitsrealität sieht im Jahr 2024 immer noch anders aus. Denn praktisch klaffen da gleich zwei Lücken: Gender Pay- und Gender Care Gap. Frauen verdienen im Schnitt 18 Prozent weniger als Männer. Doch die zweite Lücke lässt noch mehr staunen: Frauen in ihren Dreißigern verbringen täglich rund neun Stunden mit unbezahlter Sorgearbeit – Männer hingegen nur drei. Die Gender Care Gap beläuft sich somit auf beachtliche 170 Prozent.*

Der aktuelle „Work needs Women Report 2024” von Indeed fügt diesen Zahlen wichtige Erkenntnisse hinzu: Weniger als die Hälfte der Frauen (44 %), die Care-Arbeit leisten, fühlt sich vom Arbeitgeber ausreichend unterstützt. Rund 14.500 Arbeitnehmerinnen aus elf Ländern wurden für die internationale Studie zu ihrer aktuellen Situation befragt. Schwerpunkte waren Karrierechancen, Bezahlung sowie die praktische Unterstützung am Arbeitsplatz. Die Hälfte der Frauen (49 %) hierzulande ist überzeugt, dass Männer leichter beruflich vorankommen als Frauen. Eine Erklärung: Knapp die Hälfte (47 %) identifiziert Betreuungsaufgaben als Hauptgrund für berufliche Stagnation im Vergleich zu Männern. Dies unterstreicht die Herausforderungen, mit denen sich berufstätige Frauen bezüglich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie heute nach wie vor konfrontiert sehen.

Sorglos in der Schwangerschaft? Die meisten Frauen erleben mangelnden Rückhalt

Kostenlose Kitas, Ganztagsschulen und Nachmittagsbetreuung – in Deutschland hat sich einiges getan, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern. Dennoch fühlt sich, laut Indeed-Report, gerade einmal die Hälfte der Frauen in Deutschland im Falle einer Schwangerschaft vom Arbeitgeber unterstützt. Das sind weniger als der weltweite Durchschnitt (58 %). Die Zahlen machen deutlich, dass Job-Unsicherheiten und Angst vor einem Karriereknick bereits in der Phase der Familienplanung beginnen.

„Kann ich nach der Elternzeit wieder voll durchstarten? Oder umgekehrt: Bleiben mir künftig spannende Projekte und Verantwortung verwehrt, wenn ich in Teilzeit zurückkehre? Frauen stellen sich viele Fragen, auf die sie nicht immer die gewünschte Antwort erhalten“, sagt Ute Neher, Principal Talent Intelligence bei Indeed. „Hilfreich für beide Seiten können beispielsweise ‘Stay in Touch’-Programme sein, die während der Elternzeit den Kontakt mit dem Team und dem Arbeitgeber aufrechterhalten. Dies kann regelmäßige Updates, die gelegentliche Teilnahme an Team-Meetings oder sogar Arbeiten an kleineren Projekten umfassen. Der Wiedereinstieg kann dadurch erheblich erleichtert werden und sicherstellen, dass Mütter nach ihrer Rückkehr weiterhin spannende Projekte und Verantwortung übernehmen können.”

Weibliche Belange: Frauen erleben andere Lebensphasen als Männer

Ab 40 nimmt die Care Gap zwar wieder etwas ab, doch sind die Kinder „aus dem Gröbsten raus“, beginnt langsam die Großelterngeneration Hilfe und teils Pflege zu benötigen. Wieder springen die Frauen ein – und damit ins gefühlte Abseits. Weniger als die Hälfte (44 %) trifft in diesem Fall auf Verständnis und Unterstützung am Arbeitsplatz. Deutschland zählt damit im internationalen Vergleich zu den Schlusslichtern. Nur Frankreich und Italien (je 35 %) und Japan (23 %) stehen schlechter da.

Was können Unternehmen, was kann die Gesellschaft tun, um Frauen zu unterstützen? „Wir können zum Beispiel mehr Tabuthemen auf den Tisch bringen, die zur Lebensrealität jeder Frau gehören“, sagt Neher. „Denn neben Kindern und Care erleben Frauen Phasen im Leben, die aus Männersicht nicht so einfach einsehbar sind. Monatliche Beschwerden wie PMS werden heute zumindest unter jungen Frauen bereits offener angesprochen. Und Frauen der Generation X beginnen, sich offensiver mit der Perimenopause auseinanderzusetzen. Hier brauchen wir Verständnis statt schlechtem Gewissen – auch das zählt zum Gefühl der Unterstützung am Arbeitsplatz.“ Weltweit sind mehr als ein Drittel (36 %) und in Deutschland mehr als ein Viertel (27 %) davon überzeugt, dass Schulungen ein hilfreiches Mittel sind, um gelernte Stereotype und unbewusste Vorurteile abzubauen und ein gleichberechtigtes Arbeitsumfeld für Frauen zu schaffen.

Diversität – ein pures Lippenbekenntnis?

Auch das Thema Diversität hat Indeed in der internationalen Umfrage genauer beleuchtet. Und es scheint, als würde es – jenseits des alljährlichen Pride Month – eher vernachlässigt. Wie geht es Frauen, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben? Erfahren queere Frauen oder Frauen, die sich in einer Geschlechtsumwandlung befinden, am Arbeitsplatz ausreichend Support? Stand heute: Deutschland muss auch hier nachbessern! Nur 25 Prozent der Frauen fühlen sich ausreichend unterstützt. Das sind mehr als in Japan (9 %) und Italien (19 %), aber weniger als der internationale Durchschnitt von 33 Prozent. Dazu Ute Neher: „Es ist Zeit, eine weiblichere Perspektive zuzulassen – für mehr Vielfalt, Akzeptanz und Chancengleichheit.”

Über die Studie:
Für den Work needs Women Report hat Indeed zusammen mit den Meinungsforschungsinstitut YouGov im Rahmen einer repräsentativen Umfrage vom 14.11.2023 bis 23.11.2023 insgesamt 14.677 Frauen zwischen 18 und 65 Jahren in elf Ländern (USA, Kanada, UK, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Indien, Singapur, Japan, Australien) befragt. Die Gruppe bestand aus weiblichen Befragten, die entweder Vollzeit oder Teilzeit arbeiten. Davon wurden 1.377 Befragte in Deutschland befragt.

(Quelle: Indeed/YouGov/ml)

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