Lago Maggiore: Inselhopping zwischen Schweiz und Italien

Inselperspektive: Blick von der Stufenpyramide der Isola Bella über See und Ufer.
Inselperspektive: Blick von der Stufenpyramide der Isola Bella über See und Ufer. Foto: Florian Sanktjohanser/dpa-tmn
Queen Victoria kam, Napoleon auch, es sprießen Bananenstauden und Baumfarne: Die Eilande des Alpensees versprühen vielschichtige Exotik. Zu Besuch in Palästen und Gärten mit altehrwürdigem Flair.

Locarno (dpa/tmn) – Vielleicht doch noch mal umschulen? Auf Inselgärtner? Dann könnte man jeden Morgen auf den Brissago-Inseln von der Fähre spazieren, im Schatten von Aleppokiefern und Johannisbrotbäumen an Zistrosen herum schnippeln und zwischendurch über den langgezogenen See zwischen Urwaldbergen schauen.

Solche Flausen steigen einem in den Kopf, wenn man sich von Marleen de Vlieger durch den Garten der Insel San Pancrazio führen lässt. Die 53-jährige Flämin lebt schon lange am Lago Maggiore und hat Erstaunliches zu erzählen: dass die Insel noch vor 150 Jahren aus kargen Felsen bestand und eine russische Baronin, angeblich eine uneheliche Tochter von Zar Alexander II., sie in dieses blühende Paradies verwandelte.

Die Geschichte begann 1885, als jene Antoinette de Saint-Léger die beiden Inselchen kaufte. Auf Booten ließ sie Erde vom Festland herüber schippern, bei botanischen Gesellschaften bestellte sie Pflanzen aus aller Welt.

Und so blühen heute südafrikanische Königs-Protea in blassem Rosa, wurzeln amerikanische Sumpfzypressen am Ufer, stehen uralte Palmfarne aus Australien am Wegesrand. Im Teich dümpeln Schildkröten zwischen Papyrus und Seerosen, und auf Felsen krallen sich fleischfressende Pflanzen. Eine 140 Jahre alte Honigpalme habe die Baronin noch selbst gepflanzt, erzählt de Vlieger.

Exoten im Mikroklima der Brissago-Inseln

Dass all die Exoten hier gedeihen, ist dem feuchtwarmen Mikroklima zu verdanken. Die Berge ringsum schützen vor kalten Winden, der See spiegelt die Sonne. Die Temperaturen sind bis zu vier Grad höher als am Ufer.

Als der Baronin 1927 das Geld ausging, kaufte der Hamburger Kaufmann Max Emden die Insel San Pancrazio. Emden ließ das Haus der Baronin abreißen und sich eine noch prächtigere Villa bauen, die heute als Hotel seinen Namen trägt.

Den botanischen Garten aber erhielt er, obwohl er sich mehr für schöne Frauen als für Pflanzen begeisterte. Für seine opulenten Feste ließ sich der Feingeist ein römisches Bad anlegen und Damen aus Ascona per Motorboot übersetzen.

Seit 1950 ist die größere der beiden Brissago-Inseln fürs breite Publikum geöffnet. Das Jubiläum wird dieses Jahr mit Konzerten und Ausstellungen gefeiert. 

Auf der Inselburg der Terrorbrüder Castelli di Cannero

Wer entlang der Westküste weiter nach Süden fährt, passiert bald nach der italienischen Grenze die Castelli di Cannero. Die Inselburg war Jahrzehnte zur Restaurierung geschlossen, noch in diesem Jahr soll sie als multimediales Museum wieder eröffnet werden.

Audioguides werden beim Rundgang erzählen, wie im Mittelalter die Mazzarditi-Brüder von der Burg aus die Dorfbewohner auspressten, wie Ludovico Borromeo um 1520 eine neue Festung als Bollwerk gegen die vordringenden Schweizer baute und wie Königin Victoria 1879 von der pittoresken Ruine schwärmte, die zwischenzeitlich Zitrusplantage und Kaninchenstall war.

Exotisches aus aller Welt auf Isola Madre

Wie die britische Queen damals zieht es die meisten Reisenden weiter nach Süden, zur Borromäischen Bucht. Von den Urlaubsorten Stresa und Baveno mit ihren altehrwürdigen Grandhotels setzen sie auf Fähren und Taxibooten zu den Inselchen über, die ebenfalls den Namen der Adelsfamilie Borromeo tragen.

Die Isola Madre mitten in der weiten Bucht ist die größte der fünf Inseln. Und die wärmste, sagt Guide Stefania Martinoli, 51, während sie über die Afrika-Allee entlang des Südufers führt. Bitterorangen zeugen von den Anfängen, als hier Zitruspflanzen akklimatisiert wurden.

Schon 1501 erwarben die Borromeos die Insel, über die Jahrhunderte pflanzten sie auf Terrassen Exotisches aus aller Welt an. Man flaniert vorbei an Bananenstauden und australischen Zylinderputzern, Immergrüne Magnolien und Rhododendren bauschen sich baumhoch, unter einer tropfnassen Felswand neigen sich Baumfarne aus Tasmanien. Im Frühling blühten auf den Inseln 150 Arten von Kamelien, sagt Martinoli.

Als wäre all das nicht hübsch genug, stolzieren auf dem Rasen zwischen Lorbeerhecken und Zypressen auch noch Silber- und Goldfasane, weiße und blaue Pfaue schlagen ihr Rad. Und in Volieren zwitschern bunte Papageien.

Im Palast auf der obersten Terrasse verlebten die adeligen Sommerfrischler die heißen Monate. Davor steht wie ein Türsteher der berühmteste Baum der Insel: eine gut 160 Jahre alte Kaschmir-Zypresse. Am 28. Juni 2006 riss sie ein Wirbelsturm um, doch Ingenieuren gelang es, den seltenen Riesen zu retten. Per Helikopter eingeflogene Kräne richteten den Koloss wieder auf, Stahlseile verankern ihn nun im Boden.

Im Wohnhaus werden Gemälde aus der Sammlung der Familie ausgestellt, livrierte Dienerpuppen stehen neben Esstisch und Himmelbett. Und Bühnenbilder des Marionettentheaters zeigen, wie die Borromeos illustre Gäste (und sich selbst) unterhielten.

Baulicher Pomp auf der Isola Bella

Im Vergleich zum Palast auf der Isola Bella wirkt all das geradezu bescheiden. Im ab 1632 gebauten und mehrmals erweiterten Palazzo Borromeo protzte die Familie mit ihrem Reichtum, beim Rundgang durch 30 Säle und Zimmer wird man überwältigt von Marmorböden und Goldranken, Stuckdecken und Kronleuchtern aus Muranoglas. In der Gemäldegalerie sind die Wände bedeckt von einem symmetrischen Mosaik aus 130 goldgerahmten Bildern.

Stefania Martinoli führt durch Thron-, Bankett- und Musiksaal und zeigt das prächtige Himmelbett, in dem Napoleon bei seinem Besuch am 17. August 1797 schlief. Um im Sommer der Hitze entfliehen zu können, ließen sich die Borromeos sechs Grotten bauen, verkrustet mit steinernen Pseudo-Muscheln. In Nischen stehen Korallen, auf zerwühltem Marmorlaken liegt die schlafende Venus.

Der finale Tusch aber wartet draußen im Garten: die barocke Stufenpyramide mit Obelisken und Statuen, gekrönt von einem Einhorn, dem Wappentier der Familie Borromeo. Auf den umgebenden Terrassen wachsen Azaleen und Kamelien, Kampfer- und Tulpenbäume.

Abschalten auf der Isola dei Pescatori

Natürlich muss man die Pracht mit den Massen teilen. Doch wer am frühen Abend an der Isola dei Pescatori von Bord geht, begegnet auf der Promenade nur ein paar Erpeln. Die meisten Restaurants und Imbissläden, in denen mittags viele Ausflügler einkehren, sind nun geschlossen.

Auf der Platanen-Allee zur Nordspitze, wo die Fischer früher ihre Netze auslegten und flickten, laufen zwei kleine Mädchen mit ihren Tretrollern, die Mutter schlurft entspannt hinterher. Stiller ist es wohl nur auf der Isola di San Giovanni. Aber diese Borromäische Insel in Privatbesitz, nur ein paar Schwimmzüge vom Festland entfernt, ist für Touristen tabu.

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Die Nordspitze des Lago Maggiore gehört zur Schweiz, der weitaus größere Südteil zu Italien.

Beste Reisezeit: Die Inseln sind von Mitte März bis Anfang November geöffnet. Im April und Mai blühen die meisten Pflanzen.

Anreise: per Zug über Zürich und Bellinzona nach Locarno. Vom Hafen in Bahnhofsnähe legen regelmäßig Fähren zu den Brissago-Inseln ab. Eine italienische Fähre startet um 8:30 Uhr in Locarno und legt an allen Borromäischen Inseln an.

Unterkunft: Auf den Inseln gibt es vor allem gehobene Hotels wie die «Villa Emden» oder das «Hotel Belvedere». In Locarno und den Orten an der Borromäischen Bucht gibt es alles vom Campingplatz bis zum Grandhotel.

Touren: Auf den Brissago-Inseln wird zweimal täglich eine botanische Führung angeboten, die im Ticket inklusive ist.

Veranstaltung: Auf der Insel San Pancrazio, der größeren der Brissago-Inseln, ist bis 2026 die Ausstellung «Mutanti» des Fotografen Daniel Pittet zu sehen: gespiegelte Makroaufnahmen von Pflanzen des Gartens, die wie farbenprächtige Tiere an Mauern und in der Villa hängen.

Weiterführende Informationen: isoledibrissago.ti.ch; terreborromeo.it/de/castelli-di-cannero; derlagomaggiore.de; ascona-locarno.com/de/aktualitat/lago-maggiore

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