Lasst uns reden

Foto: MattGush/iStock USA Charlie Kirk
Foto: MattGush/iStock

Vor knapp zwei Wochen sah ich, wie viele andere auch, ein Video der Ermordung des US-amerikanischen politischen Aktivisten und Podcaster Charlie Kirk während einer Veranstaltung der Utah Valley University. Schwer zu finden war das überhaupt nicht, indes wurde es einem im Kurzvideosegment sozialer Netzwerke geradezu aufgedrängt.

Der 31-jährige Kirk war bekannt für seinen evangelikalen Glauben, der viele seiner politischen Ansichten färbte, und seit 2016 war er bekennender Unterstützer von Donald Trump. Am Mittwoch vor zwei Wochen wurde er aus circa 180 Metern Entfernung von dem 22-jährigen James Robinson erschossen. Von einer einzigen Kugel tödlich in den Hals getroffen war er auf der Stelle tot. Ein entsetzliches Video.

Seitdem wird in den Kommentarfunktionen richtig auf die Pauke gehauen. Aus allerlei Lagern. Oder eher deren Rändern. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass die (politische) Motivation des Täters bislang nicht gesichert bestimmt werden konnte. Ist er ein hasserfüllter Linksextremist, der Kirk als seinen ideologischen Endgegner betrachtete und daher auf die primitivste Problemlösung der Welt zurückgriff und ihn erschoss? Oder (aufgrund der Parteimitgliedschaft beider seiner Eltern bei den Republikanern) ein rechtsextremer Faschist, dem Kirks Positionen nicht populistisch genug waren?

Für die „Legitimation“ von Charlie Kirks Ermordung werden nun von linker Seite allerlei Argumente seines politischen Aktivismus aus den Archiven gekramt, um ihm postum einen Strick daraus zu drehen.

Qua seiner Profession bot er einige Angriffsfläche. Gründer der studentisch-republikanischen Non-Profit-Organisation „Turning Point“ und des Diskussionsformats „Prove me wrong“, war er umstrittener Advokat für Trumps „Make America Great Again“-Bewegung, strikter Gegner der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen oder der Schließung gleichgeschlechtlicher Ehen und vor allem gegen die Verschärfung amerikanischer Waffengesetze. Und sicherlich in einigen Momenten seines Nationalstolzes übermütig. Ich erinnere mich, als er bei einer seiner Fragerunden einen deutschen Teilnehmer mit den Worten „Deutschland, Deutschland über alles“ begrüßte. Nur um eine Handvoll seiner Ansichten zu teilen und nur um diejenigen hervorzuheben, mit denen die meisten von uns ‒ allen voran ich ‒ nichts anfangen können.

Trotz alledem beschäftigt mich die Frage, wie man menschlich gesehen an den Punkt kommen kann, sich an der öffentlichen Ermordung eines Fremden zu freuen. Ich bin nicht überrascht darüber, dass es da draußen irre Attentäter gibt, die solche Taten begehen. Es ist der Beifall, der mich stutzig macht. Jemandem aufgrund konträrer politischer Ansichten den Tod zu wünschen, ist nicht nur abseitig, es ist auch keine Bekämpfung des Faschismus. Es ist Faschismus.

Die Art Faschismus, dessen Sprache den Menschen seit Jahrtausenden geläufig ist. Er legt sich über sie wie eine schwere Decke, erstickt jeden freien Atemzug im Keim (zum eigenständigen Denken bedarf es schließlich Sauerstoff) und heißt Unsicherheiten mit einer vermeintlich warmen Umarmung willkommen. Komm rein, setz dich zu uns. Hier bist du Teil von etwas, das größer ist als du selbst. Hier gibt es Antworten für dich, hier gibt es einen Feind, der für all dein Leid verantwortlich ist und es deshalb verdient zu sterben. Herzlich willkommen im Faschismus.

Im Ansatz war Kirks Arbeit zutiefst demokratisch. Er diskutierte mit den Menschen, gerade an Universitäten. Gerade dort, wo die Positionen oftmals nicht weiter von den seinen hätten entfernt sein können.

Lasst uns reden. Lasst uns nicht aufhören anderer Meinung zu sein, zu diskutieren und zu streiten, wenn es sein muss auch sich zu zerstreiten. Demokratie ist ein Feld der Spannung und das muss man aushalten. Demokratie ist anstrengend, aber diese Anstrengung ist keine Zumutung, sondern ein Privileg.

Alexa Gräf
Redakteurin Courage

Diesen Artikel teilen

Schreibe einen Kommentar

Anzeige
Verena Hubertz

Neue Ausgabe

Verena Hubertz ist eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Spitzenpolitik: mit 37 Jahren schon Bundesministerin im Bauressort, noch dazu mit einem Background als erfolgreiche Firmengründerin. Hier spricht eine Politikerin, die wirklich etwas bewegen will. Ab 14. Oktober im Handel oder im Shop schon heute digital lesen.