Melissa Di Donato: „Machen Sie sich bemerkbar!“

Foto: Melissa Di Donato © Olly Hunter Ltd.
Foto: Melissa Di Donato © Olly Hunter Ltd.

Zu glamourös, um mit Ingenieuren zu sprechen? Mit diesem Vorurteil musste unsere Gastautorin einst kämpfen, obwohl sie selbst Softwareentwicklerin war. Heute leitet sie eine globale Fintech-Firma. Ihr Rat an Frauen in der Branche: mutig sein  

von Melissa Di Donato

Es heißt oft, im Leben seien nur zwei Dinge sicher: der Tod und die Steuern. Ich würde eine dritte Gewissheit hinzufügen, den Mut. Denn jede Person trägt Mut in sich – auch wenn mir das selbst lange nicht bewusst war. Entscheidend ist, diesem Mut die Chance zu geben, sich zu entfalten. Während meines Studiums der Literatur und russischen Sprache an der American University in Washington, D. C., hätte ich mir zum Beispiel nie vorstellen können, einmal CEO zu werden, noch dazu in der Techbranche. Mein Weg wäre womöglich auch ganz anders verlaufen, wenn ich nicht den Mut gehabt hätte, dem guten Rat eines Professors zu folgen, der damals zu mir sagte: „Dieses SAP-Thema wird sich durchsetzen.“ 

Ich bin in New York aufgewachsen, genauer gesagt in der Bronx. Die meisten Menschen dort arbeiten nicht in großen Unternehmen. Ohne den Rat meines Professors hätte ich den Schritt zu SAP vermutlich nie gewagt. Dieses Gespräch war der Auslöser dafür, mich für eine Karriere im Ingenieurwesen, in der Softwareentwicklung und im Techbereich zu entscheiden. So wurde ich einer der wenigen weiblichen Softwareentwickler, die an einem Ressourcenplanungssystem bei SAP mitarbeiteten.

Wertvolle Erfahrungen

In meiner Zeit als Softwareentwicklerin konnte ich viele Einblicke und Kenntnisse über die zentralen Technologien der Zukunft gewinnen und dabei meinen ganz eigenen Ansatz entwickeln, um die digitale Veränderung mitzugestalten. Diese Erfahrungen haben mich bestärkt, als ich Führungspositionen bei Unternehmen wie Salesforce und IBM übernahm und schließlich CEO des deutschen Softwareunternehmens Suse wurde.

Vor zwei Jahren übernahm ich dann den Vorstandsvorsitz bei Kyriba, das war für mich ein „Full-Circle-Moment“. Ich konnte all das, was ich zuvor gelernt hatte, zusammenbringen, um ein schnell wachsendes Techunternehmen in die Zukunft zu führen. Kyriba, eine Plattform zur Verwaltung von Unternehmensliquidität, unterstützt weltweit 3000 Kunden und befähigt Finanz- und Treasury-Führungskräfte, die Firmenliquidität zu schützen und zu optimieren. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit ist dies von großer Bedeutung. Kyriba verarbeitet jährlich mehr als 15 Billionen Dollar an Zahlungen. Ich bin wirklich stolz darauf, wie das Unternehmen Innovationen in unserer Branche vorantreibt. 

Aber mein Weg dorthin war nicht ohne Hindernisse. Wie so viele Frauen war ich immer mit strukturellen und geschlechterbedingten Hürden am Arbeitsplatz konfrontiert. Branchen wie Tech und Finance sind nach wie vor stark männlich geprägt. Das macht es für Frauen oft schwierig, gehört zu werden und sich in diesem Umfeld zu behaupten. Lange Zeit konzentrierte ich mich darauf, mich anzupassen. Denn ich dachte, das würde meine Karrierechancen verbessern. Dabei achtete ich immer genau darauf, wie ich mich präsentierte. Lächelte ich zu viel? Trug ich zu hohe Absätze oder zu bunte Farben? 

Als ich später meine erste CEO-Position bei Suse antrat, war ich voller Tatendrang. Die deutsche Techszene boomte. Ich sah großes Potenzial im Bereich Unternehmenssoftware. Mein Ziel war es, Suse zur ersten Wahl für flexible Open-Source-Software zu machen. 

Sichtbar durch Authentizität

Ich zweifelte nicht daran, dass ich es schaffen würde. Trotzdem habe ich mich gefragt, ob andere das genauso sehen. Zu meiner Überraschung wurde ich herzlich empfangen und erhielt große Unterstützung – innerhalb des Unternehmens und von der gesamten Branche in Deutschland. 

Trotzdem gab es immer wieder Menschen, die mein Auftreten und mein Aussehen in den Vordergrund stellten. Ich erinnere mich an einen Herrn, der mich ansah und sagte: „So wollen Sie mit Ingenieuren sprechen? Dafür wirken Sie ja viel zu glamourös.“ Meine Antwort darauf war schlicht: „Ich bin selbst Ingenieurin.“ Anstatt mich weiter anzupassen und meine Kompetenz zu rechtfertigen, habe ich mich auf die eigentliche Arbeit konzentriert. Ich habe Lösungen statt nur Produkte entwickelt und alles gegeben, um meine Kunden bestmöglich zu unterstützen. Rückblickend habe ich dabei gelernt, wie wichtig Authentizität in der beruflichen Laufbahn ist. Sie macht uns einzigartig und sichtbar. 

Ich glaube auch, dass Sichtbarkeit und Netzwerke entscheidend sind. Mein Rat, ganz egal, wo Sie in Ihrer Karriere stehen: Nehmen Sie sich Ihren Raum, machen Sie sich bemerkbar, seien Sie mutig! Besonders dann, wenn es Überwindung kostet. Je stärker man für sich und seine Interessen einsteht, desto mehr wächst man daran. Für eine erfolgreiche und nachhaltige Karriere reichen Talent und harte Arbeit nicht aus. Es braucht den Mut zur Sichtbarkeit.

Bei Kyriba setze ich auf einen Führungsstil, der auf Transparenz und Vertrauen basiert. Denn echtes Vertrauen ist die Grundlage für nachhaltigen Fortschritt. Seit zwei Jahren bin ich Teil des Unternehmens und wirklich stolz darauf, was wir in dieser Zeit gemeinsam erreicht haben. 

Eine unserer größten Stärken sind unsere Mitarbeiter. Ich bin überzeugt: Nur wenn sich Teams unterstützt fühlen und ein gemeinsames Ziel verfolgen, können sie ihr volles Potenzial entfalten. Deshalb haben wir gezielt eine inklusive und wertschätzende Unternehmenskultur aufgebaut, in der die Erfolge jeder Mitarbeiterin und jedes Mitarbeiters gefeiert und in der Fehler ausdrücklich als Teil des Lernprozesses akzeptiert werden. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig das für persönliches Wachstum und Erfolg ist. 

Selbstbewusstsein entwickeln

Diese Erfahrungen haben mich auch dazu inspiriert, eine gemeinnützige Organisation zu gründen, die schon Kindern dabei hilft, mutig zu sein. Mit „Inner Wings“ möchte ich vor allem Mädchen zwischen sechs und zwölf Jahren darin bestärken, über sich hinauszuwachsen und Selbstvertrauen zu entwickeln – bevor erste Zweifel überhaupt entstehen. Durch Mentoring-Programme und Workshops helfen wir den Kindern, ihr Potenzial zu erkennen und mit Zuversicht ihren eigenen Weg zu gehen – auch um die Genderlücke in den MINT-Fächern und -Berufen zu schließen.

Die Arbeit mit jungen Menschen zeigt mir immer wieder, wie wichtig es ist, früh Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln – gerade in einer Welt, die sich technologisch rasant entwickelt. Cloud Technologien und KI sind bedeutende Wachstumstreiber für die deutsche Wirtschaft. Um das Potenzial voll auszuschöpfen, muss die Techbranche – in Deutschland wie international – die Vielfalt der Welt widerspiegeln, die sie gestaltet. Der Grund ist einfach: Vielfalt führt zu besseren Ergebnissen, besseren Produkten und intelligenteren Lösungen.

Für diese Vielfalt setze ich mich ein. Nicht um selbst davon zu profitieren – ich tue es für alle, die nach mir kommen. Denn wenn wir die Zukunft gerechter gestalten wollen, brauchen wir starke Vorbilder und müssen unsere Nachwuchstalente mit Mut und Weitblick fördern.

Zur Person: Melissa Di Donato ist eine der wenigen weiblichen CEOs in der Tech-Branche. Die gebürtige US-Amerikanerin leitet seit September 2023 das britische Fintech-Unternehmen Kyriba, das seither stark auf Wachstumskurs ist. Zudem gehört sie dem Aufsichtsrat von Porsche an. Zuvor hatte sie Führungspositionen bei IBM und Salesforce inne. Vor vier Jahren brachte sie als CEO ein Multimilliarden- Euro-Unternehmen an die Frankfurter Börse – die Softwarefirma Suse. Di Donato hat Literatur und
russische Sprache studiert und als Softwareentwicklerin gearbeitet.

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