Marktausblick: Ökonomische Fingerübungen für den Urlaub

Foto: baona/iStock Schach Geopolitik Welt
Foto: baona/iStock

Geht den Märkten die Puste aus? Die Geopolitik übernimmt.

Nach einer Fortsetzung der Rekordjagd der vergangenen Wochen und Tage ist den Anlegern am Mittwoch erst einmal die Puste ausgegangen. Sie warten ab, ob das Treffen von US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin am Freitag in Alaska nennenswerte Ergebnisse in Richtung des nunmehr seit dreieinhalb Jahren tobenden Ukraine-Kriegs bringen wird und warten ab, ob sich die Entspannung im Zollstreit fortsetzt und es demnächst zu einer Zinssenkung in den USA kommt. So ging es für den technologielastigen Nasdaq 100 sogar ein bißchen nach unten. Der marktbreite S&P 500 pendelte um seinen Vortagesschluss. Beide Indizes hatten am Dienstag noch Höchststände erreicht und diese am Mittwoch zunächst übertroffen. Der Leitindex Dow Jones Industrial, der noch etwas von seiner Bestmarke entfernt ist, gewann rund ein Prozent.

​Mittlerweile gilt eine Zinssenkung der Notenbank Fed im September als so gut wie sicher. Niedrigere Zinsen lassen Aktien im Vergleich zu festverzinslichen Wertpapieren attraktiver erscheinen und verbilligen Kredite. Davon können Unternehmen und Verbraucher profitieren. Die am Vortag veröffentlichen Verbraucherpreisdaten hatten gezeigt, dass sich der Einfluss der US-Zölle auf die Inflation noch in Grenzen hält. Dies erhöht den Spielraum für die Fed.

​Die Expansion von Amazon im Lebensmittelhandel setzte zur Wochenmitte Aktien von US-Einzelhändlern unter Druck. Der Internet-Handelsriese will Bestellungen von Lebensmitteln noch am selben Tag gratis ausliefern. Dies könnte die Geschäfte der Konkurrenz belasten. Walmart sanken um 2,3 Prozent und lagen im Dow auf dem letzten Platz. Kroger rutschten um 4,2 Prozent ab. Costco verloren 0,9 Prozent. Amazon hingegen gewannen 1,4 Prozent. Auf diese Titel wird man auch in den nächsten Tagen achten müssen; denn ob Amazon eine kostengünstige Logistik für kurze Distanzen aufbauen kann, ist noch nicht ausgemacht.

Ohne klare Richtung präsentierte sich zur Wochenmitte auch der deutsche Aktienmarkt. Während sich die Standardwerte im Dax von ihren Verlusten der beiden Vortage weitgehend erholten, ging es für die Papiere aus der zweiten und dritten Reihe abwärts. Der Energieversorger Eon meldete ein weitgehend wie erwartet ausgefallenes Halbjahr und bestätigte die Jahresziele. Der Fokus liegt laut JPMorgan jetzt vor allem auf der nächsten Regulierungsperiode für Stromnetze in Deutschland. Konstruktive Gespräche könnten nach Einschätzung der US-Bank im nächsten Jahr zur Vorlage der Jahreszahlen zu einer Anhebung der mittelfristigen Investitions- und Ergebniserwartungen führen. Die Aktie legte um 1,1 Prozent zu und sollte im Auge behalten werden.

Am MDax-Ende verloren Ströer 6,9 Prozent, was den tiefsten Stand seit November 2023 bedeutete. Der schwache deutsche Werbemarkt habe dem Werbedienstleister ein entsprechend enttäuschendes zweites Quartal eingebrockt, hieß es am Markt. Tui sprangen mit plus 8,4 Prozent auf den höchsten Stand seit Februar und nahmen die MDax-Spitze ein. Der Touristikkonzern hatte am Dienstagnachmittag die Gewinnprognose angehoben. Daraufhin war die Aktie am Vortag bereits um 3,5 Prozent gestiegen.

Wer nun in den Ferien am Strand liegt, wird sich das eine oder andere durch den Kopf gehen lassen. Dabei kommen am Rande sicher auch ökonomische Überlegungen vor, und es lohnt sich, sie hier und da ein bißchen zu vertiefen. Stellen Sie sich vor: Sie wollen am Strand den Sonnenaufgang  fotografieren. Ihr Foto soll im Familien-Chat für neidische Kommentare sorgen. Dafür müssen Sie aber in aller Herrgottsfrühe aufstehen. Sie machen sich also ganz automatisch Gedanken über die sogenannten Opportunitätskosten: Ihr Foto kostet Sie auf jeden Fall Schlaf, und Sie kommen nicht so gut erholt aus dem Urlaub zurück, wie es möglich wäre.

In Berührung kommen Sie im Urlaub sicher auch mit dem zweiten Gossenschen Gesetz  – das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen. Stellen Sie sich vor, Sie sind nach einem ermüdenden Stau am Brenner endlich am Gardasee angekommen. Ihr erster Weg führt sie in die nette Bar am Hafen von Salo, an die Sie so viele gute Erinnerungen haben. Der erste Spritz ist himmlisch, der zweite schmeckt großartig, der dritte ist etwas süß und klebrig, und der vierte fühlt sich schon wie der Vorbote des bösen Katers vom nächsten Morgen an. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben das Konzept des abnehmenden Grenznutzens verstanden. 

Auch mit einer anderen Idee aus der ökonomischen Theorie hat man es im Urlaub häufig zu tun. Es geht um die sogenannten sunk cost, also eine Ausgabe, die bereits gemacht wurde und nicht erstattungsfähig ist – zum Beispiel wenn man in Florenz nach langem Anstehen endlich eine der teuren Eintrittskarten für die Galleria degli Uffizi ergattert hat und dann während des Staunens über Botticellis „Geburt der Venus” die Klimaanlage ausfällt. Innerhalb weniger Minuten ist es brütend heiß, und es riecht auch nicht besonders gut.

Ökonomisch gesehen sollten sunk cost bei der Entscheidung, ob Sie nun die Uffizien  schleunigst verlassen und in eine gutklimatisierte Bar gehen, keine Rolle  spielen – doch so wie wir eine miserable Opernaufführung bis zum Ende anschauen, weil die Karte mehr als 300 Euro gekostet hat oder einen pampigen Burger aufessen, weil wir ihn bestellt haben und so oder so bezahlen müssen, quälen wir uns auch noch durch den Michelangelo und den Caravaggio Saal des vielleicht berühmtesten Kunstmuseums der Welt – bevor wir dann schließlich doch entscheiden, die flämischen Meister und Dürer auf das nächste Mal zu verschieben.

Wenn Sie Ihre Ferien genießen und entspannt zurückkommen wollen, sollten Sie loslassen können – und nicht an einer Entscheidung festhalten, die sich als Fehler herausgestellt hat. Bleiben Sie locker, aber quälen Sie sich nicht. Über sunk cost sollte man sich nicht ärgern. Schöne Ferien!

Diesen Artikel teilen

Schreibe einen Kommentar

Anzeige
Foto: Nina Ruge

Neue Ausgabe!

Lehrerin, TV-Moderatorin, Longevity-Expertin: Nina Ruge hat sich in ihrer Karriere oft neu erfunden. Ihrer Lebenseinstellung ist sie jedoch stets treu geblieben: sein Bestes geben, aus Niederlagen lernen und seinem Leben Sinn und Tiefe geben. Ein Interview über gesundes Altern, rebellische Teenagerphasen und erlernte Sparsamkeit. Ab 12. August im Handel oder im Shop schon heute digital lesen.