Sie brauchte eine Auszeit! Einfach mal weg von ihrem fordernden Job als Content Managerin in einem Frankfurter Medienhaus. Anstatt Inhalte für das Internet aufzubereiten, nahm Edith Widmann vor 17 Jahren ein befristetes Stellenangebot als Küchenhilfe auf der Alexanderhütte, hoch über dem Millstätter See, an. Ein Jahr später kehrte sie der Großstadt endgültig den Rücken.
Der Millstätter See liegt in Kärnten, im südlichsten Bundesland Österreichs. Nicht zuletzt aufgrund der Nähe zu Italien herrscht dort eine warme, südländische Atmosphäre. Im Norden liegt der Biosphärenpark Nockberge, das „Reich des Feuersteins der Liebe“, wie die Millstätter Alpe aufgrund des Granatvorkommens im Berg auch genannt wird.
Eine wunderschöne Almbergwanderung ist der ‘Weg der Liebe“, ein Teilstück des Millstätter-See-Höhensteigs und des bekannten Alpe Adria Trails (Großglockner bis nach Muggia, südlich von Triest). Der „Weg der Liebe“ beginnt an der Alexanderhütte (1786 m) mit der „Wall of Love“ und führt über die Almen der Millstätter Alpe in sieben Stationen bis zum Granattor (2060 m).
An jeder Station steht eine Millstätter-See-Bank, die zum Ausruhen lädt, und daneben ein Lesetischchen mit einem Buch, das Gedanken zum Thema Liebe enthält. In die sieben Bücher können Wanderer ihre eigenen Gedanken niederschreiben und tragen so einen Teil zur Geschichte des Weges bei.
Auf diesem Pfad hat Edith Widmann ihren eigenen Liebes- und Lebensweg gefunden. Während ihrer Alm-Hospitanz verliebte sie sich in Manfred, den Wirt der Millstätter Hütte. Zurück in Deutschland, erreichte sie ein paar Monate später die Nachricht, dass Manfred schwer erkrankt war. Sie kündigte, kehrte 2009 in die Nockberge zurück und übernahm die Hütte von ihrem Partner, der 2015 verstarb. Was ihr nach seinem Tod aber blieb, war die Liebe zur Millstätter Hütte, die sie in seinem Sinne weiterführt. Sie hat ihren Platz gefunden. Sie bewirtet ihre Gäste mit täglich frisch zubereiteten Gerichten und setzt dabei auf Kärnter Küchentradition. Im Sommer bringen Bauern die Kühe auf die Alm, und Edith übernimmt sie in ihre Obhut. Mit Hingabe kümmert sie sich um vier Kühe, vier Ziegen, zwei Schweine und zwei Esel, stellt Butter und Käse her.
Courage: Viele Menschen träumen davon, mal eine richtig lange Auszeit zu nehmen und dabei etwas zu tun, was sie schon immer tun wollten. Du hast ein halbes Jahr als Küchenhilfe in Kärnten gearbeitet, also Arbeit gegen Arbeit eingetauscht. Wieso bist Du nicht einfach um die Welt gereist?
Edith Widmann: Dafür gab es mehrere Gründe. Reisen ist teuer und anstrengend. Ich war alleinerziehende Mutter zweier Studierenden und konnte so weiter Geld verdienen. Ich habe als Pendlerin jahrelang täglich mehrere Stunden in Zügen und Bussen verbracht. Meine Vorstellung war, an einem wunderschönen Ort zu leben und zu arbeiten, Sonnenauf- und untergänge zu erleben ohne auf die Uhr zu schauen, und mich Tag für Tag auf neue Begegnungen zu freuen, ohne irgendwohin zu hetzen. Körperliche Arbeit, bzw. Gastronomie, kannte ich aus meinem Studium und wusste, dass es mir gut tut. Meine Weltreise habe ich schon mit 18 Jahren gemacht. Noch lange bevor es „work&travel“ gab.
Jetzt kehre ich in der Winterpause manchmal an Orte zurück, die mich damals fasziniert haben, z. B. Indien.
Bei Deinen damaligen Chefs hielt sich die Begeisterung wohl in Grenzen – oder?
Mein Arbeitgeber war damals sehr entgegenkommend. Mir wurde sogar ein Teilzeitmodell vorgeschlagen, bei dem man dann im Sabbathalbjahr weiterbezahlt worden wäre. Das hätte mir aber zu lange gedauert. Ich wollte schnell weg und habe unbezahlten Urlaub genommen. Ein Freund von mir wurde damals als Vertretung eingestellt.
Hast Du auch daran gedacht, dass diese Auszeit schädlich für Deine Karriere sein könnte?
Ja, vor allem Außenstehende raten einem gerne davon ab, einen sicheren Hafen zu verlassen und man muss sich dann immer wieder selbst überzeugen, dass man mehr gewinnt als verliert. Mein Leidensdruck war hoch und das Vertrauen, dass es nur besser werden kann hat gesiegt. Karriere muss leicht gehen, sonst ist man am falschen Platz.
Wie läuft ein Tag auf der Alm ab?
Er beginnt früh. Wenn man um halb sechs vor die Tür tritt sind schon alle Tiere längst wach. Bei uns werden vier Kühe gemolken. Die Wanderer bekommen um halb acht Frühstück. Um neun sind sie dann schon wieder weg. Dann bereiten wir uns auf die Tagesgäste vor. Abendessen für die Neuankömmlinge ist dann um 18:00 Uhr und Hüttenruhe um 22:00 Uhr. Dazwischen gibt es immer mal Zeit für einen Kaffee in der Sonne.
Kann so einen Job eigentlich jeder machen?
Jeder, der körperlich fit ist, Menschen liebt und keinen Luxus braucht.
Was ist anstrengender – ein Managerjob oder das Leben als Almwirtin?
Für mich der Managerjob. Almwirtin zu sein ging für mich ganz leicht. Ich liebe es Gäste zu bewirten, Tiere um mich zu haben, ein einfaches Leben zu leben. Auch hier gibt es viel zu managen. Aber ohne Projektpläne, Budgetgenehmigungen und Hierarchiekämpfen. Man ist näher am Leben. Es geht hauptsächlich darum, die Grundbedürfnisse von Mensch und Tier zu erfüllen. Im Idealfall überzuerfüllen.
Bringt dieses Leben wirklich Entschleunigung? Ist die Alm als Selbstfindungsort geeignet?
Vor 15 Jahren war das noch so. Die Millstätter Alm und ihre Umgebung sind ein besonders schöner Ort und werden inzwischen von vielen Menschen gerne besucht. Unsere Hütten sind sehr gut frequentiert und im Sommer immer ausgebucht. Das bringt natürlich Arbeit mit sich und die Zeit, die man mit Entspannung und Selbstfindung verbringen könnte gibt es kaum noch. Das ist der Preis des Erfolgs.
Trotzdem kann ich jedem, der sich selbst begegnen will, nur raten, Zeit auf einer Alm zu verbringen. Autofrei, Handyfrei, Stressfrei.
Ist Einsamkeit auf der Hütte ein Thema?
Einsamkeit im Sinne von Alleinsein gibt es nicht. Man hat immer Gesellschaft. Einsam im Sinne von zum Beispiel Entscheidungen alleine treffen zu müssen, oder mit Misserfolgen klar kommen zu müssen, schon.
Was machst Du ab Ende Oktober, wenn der Gastbetrieb auf der Hütte in die Winterpause geht? Urlaub in der Großstadt?
Ja, tatsächlich verbringe ich im Winter Zeit in Großstädten. Ich habe Freunde in Frankfurt, einen Sohn in Berlin und meine Tochter lebt in Melbourne. Ich kann aber nicht sagen, dass ich es vermisse. Ich komme immer wieder sehr gerne zurück nach Kärnten.
Während deiner Auszeit hast du auf der Alexanderhütte gearbeitet, 20 Minuten weg von der Millstätter Hütte. Deinen Mann hast Du beim Spazierengehen kennengelernt. Du bist ihm quasi „zugelaufen“, meinte er. Habt ihr euer Kennenlernen auch in den sieben Büchern festgehalten?
Den Liebesweg hat mein Mann leider nicht mehr erlebt. Ich schaue mir aber immer gerne die Bücher an und freue mich über die Einträge von glücklichen Paaren. Das beschwingt meine Seele.






Zur Millstätterhütte:
Die Millstätter Hütte (1.880 m) liegt eingebettet in eine herrliche Almenlandschaft auf der Sonnenseite der Millstätter Alm oberhalb des gleichnamigen Sees am südlichen Anfang der Kärntner Nockberge. Die sehr kinderfreundliche Hütte ist neben der Alexander- und der Schwaigerhütte einer von drei Stützpunkten auf dem H20-Höhenweg. Sie kann auch Ausgangs- oder Endpunkt von Wanderungen in den Nockbergen sein. Neben Wanderern wird die Hütte auch von Mountainbikern, die auf der Transalp-Tour von Salzburg nach Hermagor unterwegs sind, frequentiert. Toiletten, Waschräume und Duschen sind mit Warmwasser ausgestattet. Übernachtungen mit Hunden müssen, wie in den meisten alpinen Unterkünften, im Vorfeld abgeklärt werden. Der Handy-Empfang ist ausgezeichnet. Ein Gepäcktransport auf die Hütte ist möglich. Gäste können in Mehrbettzimmern und einem Lager übernachten. Außerdem verfügt die Hütte über einen unversperrten, jedoch winzig kleinen Winterraum. Von Anfang Mai bis Ende Oktober durchgehend geöffnet. Übernachtungen bitte vorreservieren. Tel.: +43 (0)664/73633439 / alm@millstaetterhuette.at ; www.millstaetterhuette.at
Weitere Informationen zu Ferien in Kärnten: www.kaernten.at
Fotos © von oben links nach unten rechts: Daniela Ebner (2), Franz Gerdl, Daniela Ebner, Edith Widmann, Daniela Ebner