Anastasia Petraki, Leiterin Nachhaltigkeit für Deutschland, Österreich, die Schweiz und Osteuropa bei Blackrock, spricht über die Entwicklung nachhaltiger Geldanlagen, die Verantwortung der Finanzbranche und die Anlagerisiken und -chancen für Investoren.
Courage: Sie beraten Blackrock-Kunden bei der Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie. Wieso haben Sie sich auf das Thema Nachhaltigkeit spezialisiert?
Anastasia Petraki: Das war nicht von Anfang an geplant. Ich habe meine Karriere kurz nach der Finanzkrise begonnen. Damals ging es vor allem um Finanzmarktstabilität und Fondsgebühren. Nachhaltigkeit war damals allenfalls ein Nischenthema. Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, wo der Marktanteil von nachhaltigen Produkten so bei 1,2 bis 1,5 Prozent lag – und das für sehr lange Zeit.
Inzwischen liegt er laut Forum Nachhaltige Geldanlagen bei über 20 Prozent. Was hat sich in den vergangenen Jahren bei der nachhaltigen Geldanlage getan?
Das Wichtigste: Wir reden nicht mehr darüber, warum wir das Thema ernst nehmen sollten, sondern wie wir Nachhaltigkeit konkret in die Investmentprozesse integrieren können. Das halte ich persönlich für eine sehr gute Entwicklung. Zum dominierenden Thema in der Finanzindustrie wurde Nachhaltigkeit zwischen 2018 und 2020 – und das aus unterschiedlichen Gründen. Die EU verabschiedete den Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen, es wurden neue Produkte entwickelt, die Präferenzen der Kunden änderten sich, und auch die thematische Forschung hat sich weiterentwickelt. Themen wie Klimawandel und soziale Gerechtigkeit sind in den Vordergrund gerückt. Und es gab wichtige technologische Entwicklungen. Erneuerbare Energien etwa sind viel billiger geworden. Für mich war deshalb spätestens 2018 klar: Alle Themen, die zukünftig in der Investmentbranche relevant sind, bündeln sich in der Nachhaltigkeit. Das hat mich begeistert und meine Karriere ein Stück weit geprägt.
Blackrock verwaltet die unvorstellbare Summe von gut zehn Billionen US-Dollar, also 10.000 Milliarden. Wie groß ist der Anteil nachhaltig verwalteter Assets?
Auf unserer Plattform für nachhaltiges Investieren verwalten wir aktuell 800 Milliarden US-Dollar. Im Bereich Transition-Investing legen wir inzwischen über 100 Milliarden US-Dollar in Unternehmen an, die sich auf den Übergang vorbereiten, sich daran ausrichten, dazu beitragen, oder von dieser Entwicklung profitieren.
Das sind weniger als zehn Prozent. Dabei hat Blackrock-Chef Larry Fink schon vor Jahren in seinen Investorenbriefen davor gewarnt, dass „der Klimawandel für die langfristigen Aussichten von Unternehmen zu einem entscheidenden Faktor geworden“ sei. Er sei überzeugt, „dass wir vor einer fundamentalen Umgestaltung der Finanzwelt stehen“. Welche Bedeutung hat Nachhaltigkeit in Ihrem Unternehmen?
Zunächst geht es darum, wie wir das Geld unserer Kunden am besten verwalten können, also die besten Ergebnisse liefern können. Wir stehen beratend zur Seite und zeigen auf, wie man den Anlageprozess anpassen und Klimaziele erreichen kann. Viele Kunden legen Gelder langfristig an, und sie möchten frühzeitig langfristige Trends erkennen. Und verstehen, wie sich das auf die Wirtschaft auswirken wird. Einer der Trends ist der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft. Wir analysieren die Risiken, aber auch die Anlagechancen, die daraus entstehen.
Gibt es bei der Anlage einen Königsweg?
Nein, den gibt es nicht. Manche Kunden möchten, dass wir bei der Geldanlage ein paar Aktivitäten ausschließen. Andere möchten ausschließlich auf die am besten bewerteten Unternehmen jedes Sektors setzen, also nach dem Best-in-Class-Ansatz investieren. Oder aber sie haben sich zur Klimaneutralität verpflichtet. Da gibt es kein einziges eindeutiges „richtig“ oder „falsch“. Für mich persönlich ist Nachhaltigkeit das Ergebnis. Und es gibt viele Wege, zu diesem Ergebnis zu kommen.
Gehört Rüstung für Sie in ein nachhaltiges Depot?
Wir haben Kunden, die kontroverse und oder konventionelle Waffen aus ihren nachhaltigen Produkten ausschließen. Und andere, die gezielt in Rüstung und nicht in nachhaltige Produkte investieren wollen. Unsere Aufgabe als Treuhänder ist es, all unseren Kunden die entsprechende Auswahl anzubieten.
Ist Nachhaltigkeit überhaupt ein Finanzmarktthema und Geld ein guter Treiber?
Als Asset-Manager sitzen wir in der Mitte der Anlagekette, also zwischen unseren Kunden und der realen Wirtschaft. Unser Job ist es, das Geld von Investoren in die Wirtschaft zu bringen. Die Regulierung gibt den Rahmen vor – für die Finanzindustrie etwa die Offenlegungsverordnung (siehe Glossar links). Und es gibt Vorgaben für die reale Wirtschaft – zum Beispiel dürfen keine Produkte in die EU importiert werden, deren Produktion mit Entwaldung verbunden sind. Viele Staaten haben sich das Ziel der Klimaneutralität gesetzt. Deshalb ist die Dekarbonisierung, also der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft, jetzt ein großes Investmentthema. Wir sind überzeugt, dass einige der nächsten Gewinner in der Wirtschaft Unternehmen sein werden, die technologische Lösungen für die Dekarbonisierung erfinden.
Blackrock ist Mitglied der Net Zero Asset Managers. Und gleichzeitig haben Sie eine 15,5 Milliarden-Dollar-Gaspipeline von Saudi Aramco finanziert. Der Chef des Ölkonzerns sitzt bei Ihnen im Verwaltungsrat. Wie passt das zusammen?
Wir bieten unseren Kunden die Wahl. Im Auftrag unserer Kunden investieren wir in die gesamte Energie-Wertschöpfungskette. Wie gesagt: Wir sind Treuhänder. Die Energiewende wird sich über Jahrzehnte vollziehen. Öl und Gas werden noch einige Jahre lang wichtige Quellen für erschwingliche und zuverlässige Energie bleiben, während erneuerbare und alternative Energiequellen den Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht werden.
Wahlfreiheit ist gut, aber ist Nachhaltigkeit nicht Teil des Risikomanagements?
Mit unseren Kunden sprechen wir darüber, dass Klimarisiken auch Anlagerisiken sind. Doch wir sprechen mit ihnen auch über die Opportunitäten, die sich im Wandel der Wirtschaft und der Gesellschaft bieten und ermöglichen Investitionen in Solaranlagen und Ladeinfrastruktur für Elektroautos
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs haben sich nachhaltige Geldanlagen schlechter entwickelt als etwa Rüstung und Öl. Entsprechend ging die Nachfrage nach Artikel-9-Fonds zurück. Wird wieder stärker auf Rendite geachtet als auf Nachhaltigkeit?
Lieferkettenengpässe und höhere Finanzierungskosten haben dazu geführt, dass beispielsweise Unternehmen aus dem Sektor Erneuerbare Energien kurzfristig an Wert eingebüßt haben. Es gibt unterschiedliche Studien wie die von Morningstar, die zeigen, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten in Europa noch stark ist, vor allem für Indexprodukte. Dass die Nachfrage nicht ganz so hoch ist wie in den Jahren 2020 und 2021, liegt auch daran, dass es wieder höhere Zinsen gibt und die Nachfrage nach Staatsanleihen und Geldmarktfonds gestiegen ist.
Blackrock ist über iShares der weltweit führende Anbieter von ETFs. Kann man per ETF glaubhaft nachhaltig investieren?
Auf jeden Fall! Beim indexbasierten Investieren kommt es darauf an, wie man einen Index mit Nachhaltigkeitskriterien abbildet. Dafür gibt es viele Ansätze, wie etwa Ausschlüsse, Best-in-Class oder auch Regeln, die im Anlageprozess festgeschrieben sind, zum Beispiel, dass die Kohlenstoffintensität jedes Jahr um sieben Prozent reduziert werden muss.
Und was wäre Ihr Ausblick?
Der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft ist bereits im Gange. Nachhaltiges Wirtschaften und nachhaltige Geldanlage entwickeln sich genauso wie die Technologien. Auch die Präferenzen der Gesellschaft und die Industriepolitik verändern sich. Und natürlich ist vieles miteinander verbunden. Beispiel Mobilität: Batterien und damit Elektroautos werden besser und billiger. Industriepolitik trägt, zum Teil durch Subventionen, dazu bei. Und am Ende werden mehr Elektroautos gekauft werden, weil die Gesamtkosten günstiger sein werden als bei Diesel oder Benzinern.
Die letzte Frage: Was tun Sie persönlich in Sachen Nachhaltigkeit?
In meinem Alltag? Ich besitze kein Auto und ich esse kein Fleisch, allerdings in erster Linie weil es mir nicht schmeckt. Mein Geld lege ich diversifiziert an. Wie genau, darf ich leider nicht verraten.