Neutralität durch Vielfalt?

Foto: recep-bg/iStock Frau mit Kopftuch
Foto: recep-bg/iStock

„Es kommt drauf an“, lautet der Lieblingssatz meiner Freunde, die Jura studieren. Und selten passt er so gut wie auf die juristische und gesellschaftliche Debatte rund um das Berliner Neutralitätsgesetz. Nach 19 Jahren wurde es jetzt an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angepasst. Bisher verbot das Gesetz das Tragen religiös konnotierter Kleidung für Lehrer – außer an Berufsschulen – sowie für Polizisten und Justizangestellte. Dieses Verbot hatten das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Jahr 2015 sowie fünf Jahre später das Bundesarbeitsgericht (BAG) zumindest für Lehrer als verfassungswidrig erklärt.

Das bloße Tragen religiöser Kleidung sei an sich kein Hinweis auf eine Missachtung der staatlichen Neutralität, so die Richter. Für ein Verbot müsse eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens im Einzelfall nachweisbar sein. Das Anhaben religiöser Symbole von Staatsbediensteten ist damit wieder erlaubt – solange dabei keine konkrete Bedrohung für den Schulfrieden droht. In der politischen Debatte, die bisher die Tageszeitungen im Großraum Berlin nicht wirklich verlassen hat, geht es vornehmlich um das Tragen eines Kopftuchs bei Lehrerinnen. Aber auch um Kippas, Kreuze oder Turbane.

Die Reaktionen darauf sind gespalten. Sogar unter den Berliner Regierungsparteien CDU und SPD. Befürworter verstehen das Gesetz als schützende Hand über den Schülern, als Verhinderung religiöser Beeinflussung. Hier ende die Religionsfreiheit. Gegner wiederum kritisieren, vor allem muslimische Frauen würden von der Ausübung einer Lehrtätigkeit ausgeschlossen.

Das Gesetz bleibt aber auch nach seiner Reform ein Symbol für die Widersprüche zwischen einem säkularen Staatsideal und gelebter Diversität. Begründet wird damit unter anderem auch, dass ein generelles Anbringen von Kruzifixen in Klassenzimmern staatlicher Schulen gegen die Religionsfreiheit verstieße. Diesen Beschluss gibt es schon seit 1995. Das religiöse Symbol des Kopftuchs wird offensichtlich anders bewertet als das Kreuz. Dabei geht es im Kern um dasselbe Prinzip, nämlich die weltanschauliche Zurückhaltung des Staates.

Ein säkularer Staat ist kein religionsfeindlicher Staat. Er zieht nur klare Linien, damit die staatliche Institution nicht zur Bühne für persönliche Überzeugungen wird – gleich welcher Art. Genau das versucht das Neutralitätsgesetz zu gewährleisten. Das Ziel des Gesetzes bleibt legitim: eine Schule, in der weltanschauliche Unabhängigkeit nicht nur behauptet, sondern sichtbar gelebt wird.

Bestenfalls geht es nicht um ein entweder oder, sondern um die Frage: Wie kann ein Staat Diversität achten, ohne sich in ihr zu verlieren? Wie kann er Diskriminierung vermeiden, ohne auf Neutralität zu verzichten? Gerade jetzt, in einer Zeit wachsender weltanschaulicher Spannungen, ist ein klarer, gerechter Rahmen wichtiger denn je. Neutralität ist keine Bedrohung der Freiheit – sie ist ihr Fundament.

Und wir müssen über so etwas reden, an so etwas auch zweifeln dürfen. Der Zweifel ist der Kern eines jeden liberalen Gedankens. Was also meint ihr dazu? Neutralität durch Vielfalt? Oder Neutralität über Vielfalt? Schreibt mir gerne einen Kommentar. Ich bin gespannt.

Alexa Gräf
Redakteurin Courage

Diesen Artikel teilen

Schreibe einen Kommentar

Foto: Money Day Banner
Anzeige
Foto: Laura Karasek, CR 04/25

Jetzt neu

In Laura Karasek kommt vieles zusammen: Juristerei und Entertainment, Hochkultur und Hotpants, „Opernball und Arschgeweih“, wie sie es im Courage-Interview nennt.