Paare im Job: Nicht nur die Liebe zählt

Foto: Privat
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Fast jede zweite Person in Deutschland hat sich schon am Arbeitsplatz verguckt. Wenn aus der Schwärmerei Liebe wird, gilt es zu entscheiden: verheimlichen oder offenbaren? Wie können sich Verliebte im Job angemessen verhalten?

Von Jeanne Wellnitz

Eigentlich wollte Jan Scheperski nur seine Kündigung in der Personalabteilung abgeben. Dass er dabei seiner heutigen Ehefrau begegnen würde, hätte er nicht gedacht. Vor sieben Jahren lernten sich die beiden kennen. Damals klopfte der Softwareentwickler an Cathleens Tür, weil er ein besseres Angebot von SAP in der Tasche hatte. Er war schon seit mehreren Jahren in einer Führungsposition im Unternehmen tätig, sie hingegen war erst seit Kurzem Personalerin bei dem Automobilzulieferer. „Wir sprachen über seine Kündigung, trafen uns später immer wieder zufällig auf dem Flur“, erinnert sich Cathleen. Dann bei einem gemeinsamen Fußballgucken merkten die anderen schon etwas: „Da vorn ist der Bildschirm!“, riefen sie feixend, weil die beiden die ganze Zeit die Köpfe zusammensteckten.

Die Gefühle zu verheimlichen kam also nicht infrage. Die beiden waren innerhalb weniger Tage fest liiert, zogen rasch in eine gemeinsame Wohnung. Noch rund drei Monate sollten sie zusammen im Unternehmen verbringen. Das bedeutete auch: drei Monate Tuscheln, Gerüchte, Sticheleien. „Es wurden sogar Wetten auf uns abgeschlossen“, sagt Scheperski.

Viele Menschen verlieben sich am Arbeitsplatz, schließlich verbringen wir hier den Großteil unserer Zeit. Gemeinsame Interessen, Verständnis für Wohl und Wehe im täglichen Gemenge aus Meetings, Kundengesprächen, Pitches und Projekten – hier kommen wir uns nah, lernen einander intensiv kennen. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts OnePoll von 2018 ergab, dass 42 Prozent der 1.000 Befragten bereits mit einer Kollegin oder einem Kollegen ausgegangen sind und 32 Prozent einander geküsst haben. Eine Forsa-Umfrage aus 2017 kam zu ähnlichen Ergebnissen: Jede dritte Person unter den 1.000 Befragten hatte bereits eine sexuelle Beziehung am Arbeitsplatz. Bei 29 Prozent wurde daraus eine längere Beziehung.

So war es auch bei den Scheperskis. Also gingen sie von Anfang an offen damit um. Jan Scheperski erzählte es seinem Team, das war leicht, alle waren miteinander befreundet. Die Kollegen freuten sich für ihn. Cathleen offenbarte die Neuigkeit ihrer Chefin, der Personalleiterin, in einem förmlicheren Rahmen. Diese freute sich ebenso, mahnte aber auch, dass sie bitte die Professionalität als HR-Verantwortliche wahren solle. Es gehe schließlich um sensible Daten, um Vertrauen.

Mehr kann ein Arbeitgeber in solch einem Fall auch nicht tun. Das Persönlichkeitsrecht regelt: Beziehungen sind Privatsache. „Aus rechtlicher Sicht ist die Diskussion also schnell beendet“, sagt Arbeitsrechtler Christoph Seidler. Liebe ist in deutschen Unternehmen erlaubt. Daher versuchen Arbeitgeber mitunter durch Richtlinien etwas Ordnung in die Sache zu bringen und wünschen eine Mitteilungspflicht.

Adidas beispielsweise schreibt in seinem Verhaltenskodex, dass alle ihre persönlichen und geschäftlichen Beziehungen, die zu einem tatsächlichen, potenziellen oder scheinbaren Interessenkonflikt führen könnten, dem Compliance Team melden müssen. BMW erwidert auf Anfrage, dass direkte Arbeitsbeziehungen von Paaren in gleicher Abteilung oder in einer Hierarchiekette aufgelöst werden, um Bevorteilungen oder Konflikte zu vermeiden. Medienkonzern Axel Springer hat nach dem Reichelt-Skandal noch ganz andere Nöte. Dort steht im Code of Conduct, dass Interessenkonflikte in Zuständigkeitsbereichen offen gelegt werden müssen, um sie von vornherein aufzulösen. Detaillierter möchte sich keines der Unternehmen dazu auf Nachfrage äußern.

Motiviert, zufrieden, belastungsfähig

Ohnehin können die Auswirkungen von Paarbeziehungen im Job positiv und/oder negativ sein. Von Vorteil ist, dass Mitarbeitende mit stabilen Liebesbeziehungen zufriedener, belastungsfähiger und produktiver sind. Die Liebe zwischen Mitarbeitenden bindet ans Unternehmen und motiviert, man möchte gemeinsam Erfolg haben. Unternehmen können sich so außerdem als moderne Arbeitgeber profilieren. „Das wäre auch eine Maßnahme für eine gelungene Mitarbeiterbindung“, sagt HR-Beraterin Gesine Schulz. Haben Firmen eine respektvolle, tolerante Kultur, würden Mitarbeitende vielleicht sogar ihre Partner und Partnerinnen ins Unternehmen holen.

Jetzt die Schattenseiten: Die Beziehung kann den Anschein von Parteilichkeit erwecken, vor allem wenn sie asymmetrisch ist: Führungskraft und Teammitglied, Geschäftsführerin und Praktikant. Andere könnten sich benachteiligt oder ungerecht behandelt fühlen. Klatsch und Tratsch können zu einer Belastung für das Paar werden, Interessenkonflikte zu Spannungen führen.

Als Cathleen Scheperski ihrem Partner zu einem früheren Kündigungsaustritt verhelfen wollte, erinnerte die Chefin sie daran, ihn nicht zu bevorteilen. „Ich hätte das jedoch für jede andere Person auch getan“, sagt Cathleen. Viele Lästereien wurden über den Flurfunk an sie herangetragen: „Die geht bestimmt zu ihrem Freund“, obwohl sie auf dem Weg zu einem Meeting war. Wurde eine Information durchgestochen, war sie die Erste, die unter Verdacht stand. „Ich habe nie irgendetwas preisgegeben“, versichert sie, hat immer vermittelt: „Ich war das nicht.“ Letztlich war es entlastend, dass ihr Partner die Firma verließ.

Personalabteilung oft überfordert

Unternehmen täten gut daran, für eine offene Gesprächskultur zu sorgen, rät Beraterin Gesine Schulz. Schließlich entscheidet die Unternehmenskultur, wie Menschen sich verhalten. Vermittelt werden sollte: Wir hören uns deine Wünsche und Sorgen an, nehmen sie ernst, suchen gemeinsam nach Lösungen. Egal, ob es sich um die Liebenden oder Teammitglieder drum herum handelt. Hier könnte die Personalabteilung eine wichtige Rolle einnehmen, als vertrauliche Instanz.

Die Realität sieht meist anders aus: Die HR-Abteilungen scheinen kaum Checklisten oder Handlungsideen für solche Fälle zu haben. „HR einzubeziehen ist momentan eher ein Risiko oder sogar unnötig“, sagt Schulz. Dort werde in Zweifel nach oben berichtet – aus Unsicherheit. Das könne dann schnell wie ein Krisenfall wirken, meint auch Arbeitsrechtler Seidler. Besser seien Gespräche zwischen Führungskraft und Team. Die Vorgesetzten könnten dann vermitteln: Ich freue mich für euch, ich kann euch nichts verbieten, aber überlegt, was angemessen ist und einigt euch auf ein paar Verhaltensregeln.

Zum Beispiel, was Zärtlichkeiten am Arbeitsplatz betrifft: Die Scheperskis haben das pragmatisch gehandhabt. „Wir haben natürlich nicht wild vor den anderen herumgeknutscht, aber zur Begrüßung und Verabschiedung gab es einen Kuss.“ Angemessen und authentisch wollten sie sein. HR-Beraterin Schulz sagt: „Um die private Beziehung zu schützen und Professionalität zu gewährleisten, sollten Paare im Job auf Zärtlichkeiten und Paarmomente verzichten.“ Arbeitsrechtler Seidler wägt hingegen ab: „In einem Meeting ist eher Zurückhaltung gefragt als bei einem gemeinsamen Mittagessen, in der Kaffeeküche oder auf einer Unternehmensfeier.“ Besteht die Beziehung über Hierarchien hinweg, sei es den Teams gegenüber jedoch ein wichtiges Zeichen, Berufliches und Privates zu trennen.

Eingriff in die Menschenwürde

In den USA gelten teils viel strengere Regeln: Hier kann die Beziehung am Arbeitsplatz sogar zum Karrierekiller werden. Im Zuge der Me-too-Debatte haben viele Firmen ihre Regeln verschärft. Google droht im Extremfall mit Entlassung, Facebook behält sich vor, das Paar in unterschiedliche Abteilungen zu versetzen. Als der US-Handelsriese Walmart 2005 hierzulande in den Filialen eine Ethikrichtlinie durchsetzen wollte, wurde die vom Arbeitsgericht Düsseldorf als unzulässiger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und Menschenwürde kassiert. Festgehalten wurde aber auch: Wenn der betriebliche Ablauf gestört wird, kann der Arbeitgeber verhältnismäßige Maßnahmen ergreifen.

Firmen müssen sich also fragen: Wie streng wollen wir sein? Start-ups sind laut Anwalt Seidler oft lockerer: Beziehungen werden weniger problematisiert, die Kultur ist ohnehin meist auf nahe Kontakte ausgelegt, Berufliches und Privates werden bewusst vermischt. In Unternehmenskulturen, in denen Liebe am Arbeitsplatz zwar erlaubt, aber nicht erwünscht ist, wägen indes viele ab: Halte ich die Liaison geheim? Soll ich kündigen?

Gesine Schulz berichtet, dass von allen Liebespaaren am Arbeitsplatz, die sie kennt, letztlich immer eine Partei gegangen ist. Meist diejenige auf der unteren Hierarchiestufe. Das sind oft die Frauen. Eine Xing-Umfrage aus 2017 bestätigt: Männer neigen dazu, eine Beziehung mit Praktikantinnen, Werkstudentinnen oder Auszubildenden einzugehen. Frauen indes orientieren sich eher nach oben. Sie sind somit auch meist die Leidtragenden, wenn die Beziehung scheitert. Schwierig wird es auch fürs Team, wenn Streit und Liebeskummer die Zusammenarbeit belasten.

Als Jan Scheperski das Unternehmen damals verlassen hatte, veränderte sich das Arbeitsklima für seine Partnerin. „Sein Team, das ja eng mit ihm befreundet war, sah mich als Verbündete, wir sprachen viel“, erzählt sie. Die Leute vertrauten ihr. Das blieb nicht unbemerkt: Sie wurde dann vermehrt für sensible Gespräche eingesetzt, um der hohen Fluktuation im Unternehmen zu begegnen. Heute sitzen Cathleen und Jan übrigens täglich beruflich in einem Raum: im gemeinsamen Homeoffice.

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