Perfekte Welle vor dem Aus?

Foto: clu/iStock Surfen Eisbach
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Liebe Leserin, lieber Leser,

die Münchner Eisbachwelle ist gesperrt; eine Stadt ist geschockt. Es ist der zweite Freitagnachmittag im Mai. Eigentlich würden sich hier jetzt – in der Prinzregentenstraße, nahe dem Haus der Kunst – Surfer, Touristen und Schaulustige aufhalten. Im Wasser, ums Wasser herum, dicht gedrängelt an Ufer und Brücke, um einen Blick auf die Surfer werfen zu können. Jetzt steht alles still.

So still, wie eine künstlich erzeugte Welle, durch die in der Sekunde 25.000 Liter eiskaltes Wasser donnern, eben sein kann. Anordnung von ganz oben. Oberbürgermeister Dieter Reiter und die Polizei bleiben resolut, ein an ihn adressierter offener Brief mit Tausenden Unterschriften ändert an der Sperrung zunächst nichts. Die Welle bleibt geschlossen, solange die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft laufen.

Voraus ging der Unfall einer 33-jährigen Surferin vor knapp drei Wochen. Ihre Leash, das an ihrem Knöchel und Board befestigte Sicherheitsseil, verfing sich unter Wasser und hielt die Münchnerin für eine halbe Stunde in einem Horrorzustand fest. Von der gewaltigen Kraft der Welle des Eisbachs wird sie immer wieder unter die Oberfläche gedrückt, bekommt keine Luft, erleidet lebensbedrohliche Schäden. Eine Woche später verliert sie im Krankenhaus ihren Kampf.

Die einzigartige, stehende Welle mitten in einer Millionenstadt gilt seit langem als Weltsensation. Sie ist sogar Adresse vieler Stadtführungen, und auch wenn ich Münchnerin bin und das schwer aus der Perspektive eines Touristen sehen kann: Das verstehe ich. Surfen ist nicht nur ein Sport, es ist eine Lebensart. Es ist die Sensation des Rausches, wenn man die Welle steht. Ich habe noch nichts gefunden, mit dem man dieses High vergleichen könnte. Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen einem Surfer und einem Körper auf einem Surfbrett. Dieser Unterschied beginnt beim Gefühl.

Ich denke, das ist das Geheimnis der Welle. Die Menschen sehnen sich danach. Nicht nur nach einer Auszeit vom hektischen Großstadtleben, das wäre zu einfach gesagt. Es ist mehr als das. Ein „savoir-vivre“, eine Lässigkeit, auf deren Welle jeder gerne mitschwimmen würde. Die Surfer unter euch werden wissen, was ich meine.

Wie viele Sportarten birgt das Surfen, noch viel mehr auf einer stehenden Welle, ein gewisses Risiko. Vor allem am Eisbach. Dennoch war die Welle in ihrem vierzigjährigen Bestehen kein Ort der Tragödie. Nicht so, wie seit dem 16. April.

Der furchtbare Tod der jungen Surferin wirft jetzt Fragen auf. Besonders, weil nicht geklärt werden konnte, worin sie sich verfangen hat. Rechtlich gesehen ist das Surfen seit 2010 hier auf eigene Gefahr erlaubt. Kein Wunder fordern jetzt viele Surfer eine sofortige Wiederöffnung. Auf eigene Gefahr bedeutet eben tatsächlich auf eigene Gefahr – da muss die Stadt nicht die Nanny spielen, erst recht nicht, wenn es in fast fünf Jahrzehnten (erst war das riversurf-Erlebnis verboten) keinen schwerwiegenden Unfall gab.

Was wollen wir? Wer das Gelände kennt, weiß, eine absolute Sicherheit kann es nicht geben. Und sie käme zu dem Preis des Verlusts der Freiheit. „Dieses Prinzip der Selbstverantwortung hat über Jahrzehnte funktioniert und ist Kern des urbanen Surfspirits, der München weltweit einzigartig macht“, heißt es in dem genannten offenen Brief.

Ich selbst bin hin- und hergerissen und noch zu keinem Entschluss gekommen. Freiheit oder Sicherheit? Lasst es uns in den Kommentaren wissen und stimmt bei unserer Umfrage ab.

Und bleibt vorsichtig im Wasser.

Alexa Gräf

Redakteurin Courage

Soll die Eisbachwelle wieder geöffnet werden?
  • Ich würde noch abwarten. Zumindest, solange die Ermittlungen noch laufen. 100%, 2 Stimmen
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    2 Stimmen - 100% aller Stimmen
  • Ja, am besten gleich. Auf eigene Gefahr bedeutet auch auf eigene Gefahr. 0%, 0 Stimmen
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  • Nein, sie sollte geschlossen bleiben. Das Surfen dort war immer schon viel zu gefährlich. 0%, 0 Stimmen
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Abstimmungen insgesamt: 2
9. Mai 2025
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