Präsentismus: Krank zur Arbeit kann langwierige Folgen haben

Chronische Müdigkeit und Überforderung sind häufige Folgen von Präsentismus - und das ist weder für Arbeitnehmer noch für Arbeitnehmer gut.
Chronische Müdigkeit und Überforderung sind häufige Folgen von Präsentismus - und das ist weder für Arbeitnehmer noch für Arbeitnehmer gut. Foto: Peter Steffen/dpa/dpa-tmn
Trotz Krankheit arbeiten und alles schaffen wollen? Daraus kann ein Teufelskreis aus Überforderung und Dauermüdigkeit werden, so Forschende – gerade im Home-Office. Wie kann man das verhindern?

Chemnitz/Köln (dpa/tmn) – Viele Menschen gehen auch mit Husten, Kopfschmerzen oder Erschöpfung zur Arbeit – aus Pflichtgefühl, wegen Terminen oder weil «niemand sonst es machen kann». Doch wer krank arbeitet, riskiert deutlich mehr als einen zähen Arbeitstag. 

Eine Untersuchung der TU Chemnitz, der Universität Groningen und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zeigt: Je öfter Menschen krank arbeiten, desto stärker häufen sich laut Studie Anzeichen chronischer Müdigkeit. «Wer Präsentismus regelmäßig zeigt, läuft Gefahr, in eine Spirale aus Überforderung und dauerhafter Erschöpfung zu geraten», warnt Co-Autor Dr. Oliver Weigelt von der Universität Groningen. Die Forschenden berücksichtigten in ihrer Auswertung auch Faktoren wie Krankheitssymptome, Arbeitsbelastung und Zeitdruck – die Effekte des Präsentismus zeigten sich trotzdem klar.

Zwar da, aber dann länger angeschlagen

«Wer krank arbeitet, braucht wesentlich länger, um sich zu regenerieren», sagt Studienleiterin Dr. Carolin Dietz von der TU Chemnitz. Viele unterschätzten, wie viel Energie der Körper für die Genesung braucht. «Unsere Daten zeigen, dass sich Erschöpfung nach solchen Phasen nur langsam über mehrere Wochen hinweg abbaut.»

Die Forschenden begleiteten 123 Berufstätige über bis zu 16 Wochen. In wöchentlichen Tagebüchern dokumentierten die Teilnehmenden, ob sie trotz Krankheit arbeiteten und wie müde sie sich fühlten. Das Ergebnis ist eindeutig: In den Wochen, in denen Beschäftigte krank zur Arbeit gingen, stieg ihr Erschöpfungsniveau deutlich – und blieb auch in den folgenden Wochen erhöht.

Was also tun?

– Wer krank ist, sollte ehrlich einschätzen, ob er wirklich leistungsfähig ist und langfristige Gesundheit womöglich über kurzfristige Anwesenheit stellen. Davon hat auch der Arbeitgeber etwas, denn «Präsentismus kann aus Sicht der Beschäftigten kurzfristig pragmatisch erscheinen, führt aber mittelfristig zu Leistungsabfall und höheren Belastungskosten», so Wirtschaftspsychologe Professor Bertolt Meyer, TU Chemnitz. 

– Bei Überlastung das Gespräch suchen. Experten empfehlen, nicht erst dann zu reden, wenn man schon völlig erschöpft ist. Es geht hier nicht wie bei einer Gehaltsverhandlung um den idealen Zeitpunkt, zu dem ein Chef besonders wohlwollend ist, so der Kölner Karriereberater Bernd Slaghuis.

Ein kurzes Signal («Ich merke gerade, dass ich zu viel zu tun habe oder gesundheitlich angeschlagen bin») ist souverän und ermöglicht es Führungskräften, Aufgaben umzuverteilen oder Prioritäten neu zu sortieren.

– Gerade bei Home-Office oder flexiblen Arbeitsformen darauf achten, dass Erholungsphasen real wahrgenommen werden, und zwar nicht nur formell, sondern wirklich Körper und Geist herunterfahren – mehrere Studien zeigten bereits vor der Corona-Pandemie, dass Beschäftigte im Homeoffice häufiger
zu gesundheitsgefährdendem Präsentismus-Verhalten neigen, so die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA).

Auch Arbeitgeber in der Pflicht

Und schließlich sind auch die Arbeitgeber gefragt: Um Präsentismus vorzubeugen, sollten Unternehmen eine Arbeitsumgebung schaffen, die es den Beschäftigten ermöglicht, im Krankheitsfall eine angemessene Entscheidung zu treffen, heißt es von der BAuA: etwa durch Maßnahmen wie flexiblere Arbeitszeiten, ein durchdachtes Ausfallmanagement und eine Führungskultur, die den Wert der Regeneration im Krankheitsfall betont. 

«Betriebe sollten deshalb Beschäftigte aktiv dazu ermutigen, sich bei Krankheit auszukurieren», erklärt Bertolt Meyer. So lässt sich nicht nur eine Ansteckung vermeiden, sondern insbesondere die mittelfristigen Folgekosten im Sinne einer verringerten Leistungsfähigkeit.

Hintergrund:

Unter Präsentismus wird in Deutschland und Europa vorrangig das Verhalten von Mitarbeitern verstanden, trotz Krankheit, die ein Fehlen legitimiert hätte, zur Arbeit zu gehen. Er sollte nicht mit dem Verhalten von motivierten Beschäftigten verwechselt werden, die trotz vorübergehendem Unwohlsein, leichter Erkältung oder auch mäßigen Kopfschmerzen ihre Tätigkeit fortsetzen, so die Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA). 

Auch existierten in der medizinischen Forschung mittlerweile zahlreiche Hinweise, dass das Weiterarbeiten bei einigen Erkrankungen vermutlich sogar vorteilhaft sein könne, etwa bei psychischen Erkrankungen oder auch bei Rückenbeschwerden.

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