SHEGLAM zählt zu den am schnellsten wachsenden Beauty-Marken weltweit – und ist besonders bei jungen Konsumentinnen ein Social-Media-Phänomen. Auf TikTok folgen dem offiziellen Account bereits mehr als 9,7 Millionen Menschen; Marktführer L’Oréal kommt im Vergleich nur auf rund 1,2 Millionen. Dabei gibt es SHEGLAM erst seit 2019. Der Aufstieg zeigt sich auch in den Geschäftserwartungen: Expertinnen und Experten schätzen den Umsatz der Shein-Tochter für 2024 auf rund 400 Millionen Euro, auch wenn das Unternehmen selbst keine Zahlen nennt. Seit Oktober 2025 ist die asiatische Marke nun auch exklusiv bei dm in Deutschland erhältlich – mit erschwinglicher, tierversuchsfreier Kosmetik, die sowohl online als auch in den Filialen stark nachgefragt wird.
Courage hat mit Sylvia Fu gesprochen, der Gründerin und treibenden Kraft hinter SHEGLAM, um zu verstehen, was hinter dem schnellen Wachstum steckt – und wie die Marke mit Kritik, Verantwortung und hohen Erwartungen umgeht.
Courage: Sie haben Finanzwissenschaften an der London School of Economics studiert – ein Fach, das zunächst wenig mit Beauty zu tun hat. Wie führte Ihr Weg von dort zur Gründung von SHEGLAM?
Sylvia Fu: Sie haben recht, dass Finanzen und Beauty auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinen. Nach meinem Abschluss an der LSE begann ich meine Karriere im Venture Capital und konzentrierte mich auf Konsumgütermarken. In dieser Zeit beobachtete ich den unglaublichen Aufstieg chinesischer und koreanischer Beauty-Unternehmen und hatte unzählige Gespräche mit Gründer:innen, die die Branche durch Kreativität und Innovation neu definierten. Diese Einblicke gaben mir ein tiefes Verständnis für die gesamte Wertschöpfungskette – und weckten meine eigene Leidenschaft für Beauty-Entrepreneurship.
Als ich aufwuchs, war ich die typische Einser-Schülerin, die sich oft unsicher fühlte, weil sie sich nicht hübsch oder cool genug fand. Make-up wurde zu meiner ersten Form des Selbstausdrucks. Diese Erfahrung entwickelte sich zur Mission, Beauty für alle inklusiver und individueller zu machen. Auch meine vielen Reisen – über fünfzig Länder mit Anfang zwanzig – haben diese Vision mitgeprägt. Überall sah ich dieselbe Sehnsucht nach Liebe, Selbstbewusstsein und Schönheit – doch nicht alle hatten Zugang zu hochwertigen Produkten, die ihre ihre einzigartige Persönlichkeit widerspiegelten.
Später, als Venture-Capital-Investorin und CEO-Assistentin bei SHEIN, fügte sich alles zusammen: Erfahrungen, Erkenntnisse, Inspirationen. Daraus entstand SHEGLAM.
Von Anfang an war Ihr Ziel, hochwertiges Make-up zu fairen Preisen anzubieten. Wie gelingt Ihnen dieser Spagat konkret, und was unterscheidet Sie von anderen Marken?
Im Gegensatz zu vielen traditionellen Beauty-Marken haben wir ein anderes Geschäftsmodell mit einer relativ niedrigen Marge. Als Marke, die mehr zuhört als spricht, führen wir Produkte bevorzugt für Konsument:innen ein, die sie bereits wollen, und konzentrieren uns auf digitale Interaktion und authentische Mundpropaganda.
Wenn unsere Marge niedriger ist als die anderer Marken, bedeutet das auch, dass Konsument:innen SHEGLAM-Produkte zu besseren Preisen bekommen können. Wir glauben außerdem, dass heutige Konsument:innen sehr versiert und klug bei der Produktauswahl sind; sie bevorzugen es, für wirklich gute Produkte zu bezahlen statt für teure Werbung. Im Gegenzug hilft starke organische Weiterempfehlung dabei, neue Nutzer:innen zu gewinnen – das ist ein Schlüssel zum Erfolg von SHEGLAM.
Diese Balance zwischen niedrigem Preis und hoher Produktqualität zeigt sich in jedem Schritt – von der Produktentwicklung bis hin zu den Marketingabläufen. Für jeden neuen Launch vergleichen wir mehrere Verpackungs- und Materialoptionen. Wir arbeiten mit Weltklasse-Herstellern zusammen, die sicherstellen, dass unsere Produkte denselben Leistungsstandards entsprechen. Mit rund 80 Prozent unserer Produktionslinien, die jetzt vollständig oder halb automatisiert sind, können wir sowohl Qualität als auch Effizienz im großen Maßstab erreichen.
Unser größter Unterschied zu anderen Marken ist jedoch die Innovationsstärke:
Erstens setzen wir stark auf Forschung und Entwicklung. Wir experimentieren mit neuen Formulierungen, Technologien und Texturen – manchmal sogar inspiriert von Hautpflege oder Lebensmitteln –, um überraschende Produkte zu schaffen.
Zweitens sind wir wirklich verbraucherorientiert. Wir halten regelmäßige globale Community-Sessions und Eins-zu-eins-Gespräche mit unseren Konsument:innen ab, um zu verstehen, was sie lieben, was sie brauchen und was fehlt.
Drittens steht Kreativität im Zentrum von allem, was wir tun – von Produktkonzepten bis zur Verpackung. Unser Designteam geht jede Kollektion wie ein Kunstwerk an und verbindet Vorstellungskraft mit der neuesten Technologie.
Am Ende geht es um Mut: Mut zu Innovation und die Überzeugung, dass Luxusleistung keinen Luxuspreis braucht.
Die Beauty-Branche gilt als sehr wettbewerbsintensiv. Wie haben Sie diese Branche als Gründerin erlebt? Vielleicht auch im Vergleich zu anderen, stärker männlich dominierten Industrien?
Ja, die Beauty-Branche ist tatsächlich sehr wettbewerbsintensiv. Interessanterweise ist „Wettbewerb“ laut meinem Gallup-Test (Anm. der Redaktion: Persönlichkeitstest) meine größte Stärke – und ich habe tatsächlich Freude daran, in einem so herausfordernden Umfeld Chancen zu erkennen. Unsere Kernstrategie bei SHEGLAM ist es schon immer, Dinge anders zu machen und andere Dinge zu machen. Unser Ziel ist es, Konsument:innen Produkte und Erlebnisse zu bieten, die wirklich unersetzlich sind.
Beauty ist zudem eine Mischung aus Wissenschaft und Kunst. Anders als in stärker männlich dominierten Branchen geht es hier im Wettbewerb nicht nur um Effizienz, sondern ebenso um Kreativität und tiefes Verbraucherverständnis. Für mich als Gründerin ist es unglaublich bereichernd, jeden Morgen aufzuwachen und mich mit den neuesten Trends und Technologien auseinanderzusetzen – genau das motiviert auch unser weiblich geführtes Team Tag für Tag.
SHEGLAM wird eng mit SHEIN in Verbindung gebracht, einem Unternehmen, das international auch kritisch diskutiert wird. Wie gehen Sie mit dieser Wahrnehmung um – insbesondere im Hinblick auf Vertrauen in die Marke?
Es stimmt, dass SHEGLAM unter der SHEIN-Gruppe gegründet wurde. In den Anfangsjahren – besonders beim Markteintritt in neue Länder – sorgte diese Verbindung oft für kontroverse Diskussionen. Ich glaube – und die Marktergebnisse zeigen es immer wieder –, dass diese Verbindung zwar erste Eindrücke prägt, wenn Menschen SHEGLAM noch nicht kennen. Aber was jedoch wirklich zählt, ist das, was wir als eigenständig geführte Marke tun: kontinuierlich sichere, konforme, hochwertige und innovative Produkte liefern und eine verantwortungsbewusste Marke aufbauen. Um Vertrauen in die Marke aufzubauen, konzentrieren wir uns auf drei zentrale Bereiche:
Erstens sind Fakten immer am wichtigsten.
Egal, wie die Außenwelt SHEGLAM wahrnimmt, für uns ist das Wichtigste immer, sicherzustellen, dass unsere Produkte konform, sicher, hochwertig und ihr Geld wert sind.
Fakt 1: Unabhängige Operation.
Seit Gründung arbeitet SHEGLAM unter meiner Leitung unabhängig – mit eigener Strategie, Produktentwicklung, Marketing, Compliance, Online- und Offline-Vertrieb sowie einer eigenständigen Supply Chain für Kosmetik.
Fakt 2: Produktsicherheit.
Wir erfüllen alle lokalen Vorschriften weltweit, darunter FDA, EU-Kosmetikverordnung, GSO, mexikanische Regularien u.a.
Fakt 3: Produktqualität.
SHEGLAMs Lieferanten durchlaufen strenge Zertifizierungen, um die Produktqualität sicherzustellen. Unsere Lieferanten sind ISO-22716- und GMP-zertifiziert, 100 % erfüllen ISO 14001. Unser Entwicklungsprozess umfasst fünf Phasen und über 50 Tests.
Fakt 4: Soziale Verantwortung.
Unsere Lieferanten folgen internationalen Standards wie den ILO-Kernarbeitsnormen. Sie verfügen über Zertifizierungen wie SA8000, BSCI oder SMETA – geprüft von unabhängigen Organisationen.
Zweitens werden wir weiterhin daran arbeiten, unsere Werte und Praxis direkt mit Konsument:innen zu teilen.
- Wir erhöhen aktiv die Transparenz – indem wir Details zu Inhaltsstoffen, Produktentwicklungsprozessen, Sicherheitsstandards und ethischer Beschaffung offen teilen.
- Wir begrüßen alle positiven und negativen Stimmen, besonders herausfordernde – wie wir es immer getan haben. Wir betrachten öffentliche Kritik nicht als Angriff, sondern als Kraft, die uns hilft, eine bessere und verantwortungsvolle Marke zu werden.
Drittens wird Vertrauen nicht über Nacht aufgebaut.
Es erfordert konsequente Verpflichtung, das Richtige zu tun. Tag für Tag.
Gab es auf dem Weg Rückschläge – und was haben Sie daraus gelernt? Gibt es Dinge, die Sie heute anders machen würden?
Ja, absolut. Es gab viele Rückschläge, besonders in den frühen Tagen von SHEGLAM. Meine wichtigste Aufgabe damals war schlichtweg das Überleben – mit sehr begrenzten Ressourcen. Ich stellte mir ständig zwei Fragen: Warum sollten Konsument:innen SHEGLAM wählen, wo es doch schon so viele erschwingliche Make-up-Marken gab? Und mit einem kleinen Team und engem Budget: Was sind meine Prioritäten, und wie treffe ich jede Entscheidung so, dass sie zählt?
Anfangs glaubte ich, dass allein erschwingliche Preise Wachstum bringen würden – doch schnell merkte ich: Günstiges Make-up gibt es überall. Die wirkliche Antwort musste Produktdifferenzierung und Innovation sein. Konsument:innen brauchten einen Grund, uns zu wählen. Nicht nur wegen des Preises. Sie sollten spüren, dass SHEGLAM besser, neuer und wirklich anders ist. Diese Erkenntnis wurde unser Leitprinzip.
Doch diese Art von Innovation zu erreichen, war nicht einfach. Es dauerte zwei bis drei Jahre, bis wir konsequent Produkte auf den Markt bringen konnten, die sowohl einzigartig als auch leistungsstark waren. Am Anfang versuchte ich, von zwei „Lehrergruppen“ zu lernen: etablierten Branchenführern und schnell wachsenden unabhängigen Marken. Doch ich merkte schnell, dass wir kein Modell davon kopieren konnten. Es war eine harte, aber wertvolle Lektion – sie zwang uns, unseren eigenen Weg zu finden.
Unsere „Nein“-Liste wurde genauso wichtig wie unsere To-do-Liste. Wir kürzten fast sämtliche Marketingausgaben und investierten stattdessen in Rezepturen und Packaging. Rückblickend war das riskant – aber es hat unsere DNA geprägt.
Im Laufe der Zeit lernten wir auch, dass unser bestes Marketing immer von unseren Konsument:innen selbst kommen würde. Unsere Produkte sind unser Marketing. Eine Marke zu sein, die inmitten von Kritik geboren wurde, war nicht leicht – aber jede Herausforderung lehrte uns Resilienz, Demut und die Bedeutung des Zuhörens. Diese Lektionen bilden heute das Fundament von SHEGLAM.
Was sind die nächsten großen Schritte – für SHEGLAM, aber auch für Sie persönlich als Gründerin?
Für SHEGLAM sind unsere wichtigsten Prioritäten:
- Unsere Produktkompetenz weiter stärken, um bei Qualität und Innovation voraus zu bleiben.
- Unsere globale Offline-Präsenz ausbauen, etwa durch Retail-Partnerschaften und neue Märkte.
- Lokalisierung intensivieren – in Produktentwicklung, Marketing und Handel –, um Konsument:innen weltweit noch besser zu erreichen.
- Den Ausbau der SHEGLAM-HAIR-Linie vorantreiben, etwa mit Lockenstäben, Haarpflege und Stylingprodukten, und diese in neuen Märkten einführen.
Für mich persönlich stehen folgende Themen im Mittelpunkt:
Ich möchte ein globales, inklusives und dynamisches Team aufbauen, das Innovation lebt. Besonders am Herzen liegt mir, die nächste Generation kreativer Köpfe innerhalb von SHEGLAM zu fördern – ein Team und eine Kultur zu schaffen, die kreative wie technische Grenzen immer weiter verschieben. Der nächste große Schritt für mich ist daher: nicht nur die Marke wachsen zu lassen, sondern auch die Menschen dahinter. Dort entsteht meiner Meinung nach der bedeutendste Impact.


