Wenn ein Krieg ausbricht, heißt es oft, dass vor allem Frauen am stärksten unter den Folgen leiden. Nach dem Ende eines Konflikts wendet sich die Welt meist schnell anderen Krisen zu, während es an den zurückbleibenden Frauen liegt, ihre Familien und Gemeinden wieder aufzubauen.
Seit 1993 setzt sich die globale Organisation Women for Women International (WfWI) genau für diese Frauen ein. Das Herzstück ihrer Arbeit ist das einjährige Programm „Stronger Women, Stronger Nations“, das Frauen wirtschaftliche, gesundheitliche und rechtliche Fähigkeiten vermittelt – und ihnen so neue Perspektiven eröffnet.
Preeti Malkani, Gründerin des deutschen WfWI-Büros, engagiert sich ehrenamtlich für diese Mission – mit Herz, Weitblick und Tatkraft. Im Interview mit Courage spricht sie über ihren Weg vom Marketing in die Entwicklungsarbeit, die Kraft von „Sisterhood“ – und darüber, wie man konkret dazu beitragen kann, das Leben einer Frau im Krieg zu verändern.
Courage: Wie bist du zu Women for Women International gekommen?
Preeti Malkani: Durch einen Artikel in einem britischen Magazin über eine Afghanin und eine Nigerianerin, die durch bewaffnete Konflikte Traumatisches erlebt hatten. Mit Unterstützung von Women for Women International konnten sich beide eine neue Existenz aufbauen. Das hat mich tief beeindruckt. Und ich habe mich gefragt, warum in Deutschland niemand diese Organisation kennt. Das wollte ich unbedingt ändern.
Denn ich war schon damals – und bin heute mehr denn je – überzeugt: Frauen, die Krieg und Konflikt überlebt haben, sind oft die unsichtbaren Heldinnen. Sie halten Familien zusammen, bauen Gemeinschaften wieder auf und schaffen nachhaltigen Frieden – aber ihre Stimmen werden überhört. Dabei wissen wir längst, dass Frauen der Schlüssel zu nachhaltigem Frieden sind. Ich habe mich entschlossen, eine Stimme für diese starken Frauen zu sein – und Deutschland sollte Teil unserer wichtigen Mission werden.
Hast du dir je die Frage gestellt: Was kann ich als Einzelne schon bewirken?
Angesichts der weltpolitischen Lage und der enormen Probleme kann man schnell das Gefühl bekommen, dass unsere Einflussmöglichkeiten verschwindend gering sind. Diese Sichtweise teile ich absolut nicht – mein Engagement für Women for Women International hat mir bewiesen, was immer möglich ist. Vielleicht können wir nicht die ganze Welt verändern, aber wir können die Welt eines einzelnen Menschen komplett verwandeln. Wenn Claire in Ruanda heute ihre Familie ernähren kann, wenn eine Frau im Nordirak ihre Kinder zur Schule schickt – dann ist das keine kleine Veränderung. Das ist alles für diese Frauen.
Genau diese Menschen inspirieren mich dazu, ihnen auch hier in Deutschland eine Stimme zu geben. Jede einzelne Geschichte zeigt: Veränderung beginnt immer bei einem Menschen. Und von dort aus breitet sie sich aus – in Familien, Gemeinschaften, ganzen Gesellschaften. Das ist die Kraft des Einzelnen: nicht die Welt auf einmal zu retten, sondern einem Menschen die Chance zu geben, sein Leben zu verändern.
Warum setzt sich WfWI gezielt für Allianzen unter Frauen ein?
Weil Frauen von kriegerischen Auseinandersetzungen weitaus stärker betroffen sind als Männer. UN-Generalsekretär António Guterres hat kürzlich gesagt, heutzutage sei es gefährlicher, während eines bewaffneten Konflikts eine Frau zu sein als ein Soldat. Frauen Gewalt anzutun gilt als besonders effektive Waffe, um eine Gesellschaft zu demoralisieren. Denn Frauen sorgen für Stabilität und dafür, dass Familien und Gesellschaften funktionieren. Will man ein Land wieder stabilisieren, ist es wichtig, Frauen zu unterstützen. Und genau das tut Women for Women International.
Gab es eine Geschichte, die dich besonders berührt hat?
Es gibt so viele bewegende Geschichten, aber ich teile gerne eine während meiner Reise in Ruanda. Während des Völkermords vor 31 Jahren sind dort innerhalb von hundert Tagen rund eine halbe Million Frauen vergewaltigt worden. Doch die Frauen, denen ich begegnet bin, haben mich durch ihre Kraft und Energie sehr beeindruckt. Claire überlebte als Kind den Genozid, verlor ihre Eltern und erlebte selbst massive Gewalt. Durch das Zusammentreffen mit anderen Frauen in unserem Programm, die Ähnliches durchgemacht hatten, lernte sie wieder, Vertrauen zu fassen. Diese Sisterhood war genauso wichtig wie das Einkommen, das sie über die Ausbildung generieren konnte. Durch unser Programm erlernte sie die Joghurt-Herstellung und kann heute ihre Familie selbst versorgen. Ihre Kraft und Würde haben mich tief berührt, und sie verkörpert für mich, wofür wir arbeiten: dass manchmal eine einzige Chance ausreicht, um ein ganzes Leben zu verändern.
Wie siehst du die Rolle von Frauen in Friedensprozessen?
Frauen haben – wissenschaftlich belegt – eine erhebliche Wirkung bei Friedensprozessen: Die Wahrscheinlichkeit, dass Friedensabkommen mindestens 15 Jahre halten, ist um 35 % höher, wenn Frauen beteiligt sind. Für jeden Dollar, den eine Frau verdient, gehen 90 % an ihre Familie und Gemeinschaft zurück – bei Männern im Vergleich nur 35 %.
In Ruanda habe ich Frauen getroffen, die nach dem Genozid ihre Traumata in progressive Heilung verwandelt haben. Sie bauten nicht nur ihre Existenzen wieder auf, sondern schufen Strukturen, die Versöhnung ermöglichten. Das ist kein Zufall, sondern harte Arbeit. Denn diese Frauen verstehen, dass Stabilität nicht durch große Gesten entsteht, sondern durch tägliche, kleine Akte des Zusammenhalts. Sie organisieren Nachbarschaftshilfe, gründen Kooperativen, sorgen dafür, dass Kinder zur Schule gehen. Das ist die unsichtbare Infrastruktur des Friedens.
Wie kann ich eine „Sister“ konkret fördern?
Man übernimmt die Patenschaft für eine Frau und unterstützt ein Jahr lang ihre Ausbildung mit 29 Euro im Monat. Wir nennen das „Sister-Supporter“. Ziel ist es, dass jede Frau am Ende eine Fertigkeit beherrscht, mit der sie sich und ihre Familie finanzieren kann. Hilfe zur Selbsthilfe – das ist das Kernelement. Informiert wird aber auch über Themen wie Ernährung, Hygiene oder warum es wichtig ist, zur Schule zu gehen. Außerdem werden die Frauen darin unterrichtet, welche Rechte sie haben. Viele wissen beispielsweise nicht, dass sie erbberechtigt sind, wenn ihr Mann gestorben ist – und sie nicht den Onkel oder irgendein anderes Familienmitglied heiraten müssen, nur um sich über Wasser halten zu können.
Kann ich zu der Frau, die ich unterstütze, Kontakt aufnehmen?
Ja, und dieser direkte Kontakt ist wertvoll, wenn auch kein Muss. Aber zu wissen, da draußen in der Welt ist jemand, der an mich glaubt, bedeutet den Frauen wirklich etwas. Als ich in Ruanda war, hat mir jede einzelne „Sister“, der ich begegnet bin, den Brief und das Foto ihrer Unterstützerin gezeigt. Da hieß es dann: „Das hier ist Claudia, die unterstützt mich.“ Diese Hilfe bereichert das Leben – von beiden.