Noch immer arbeiten viel mehr Frauen in Teilzeit als Männer. Sie betreuen Angehörige, bilden sich weiter, gründen Firmen. Wir haben sie zu ihren Erfahrungen befragt – und geben wertvolle Tipps für alle, die ihre Arbeitszeit verringern wollen.
Von Michaela Stemper
Wieder ein Dienstag, an dem Michaela Krügel mit dem Kinderwagen am Gleis 22 des Münchner Hauptbahnhofs auf den ICE nach Frankfurt wartete. Eine Pendlerin mit Kleinkind. Fast ein Jahr hat sie in der Mainmetropole bei einer Großbank von Mittwoch bis Freitag gearbeitet, während ihr Mann in München weilte. So wie Michaela reduzieren viele Frauen ihre Arbeitszeit, wenn das erste Kind kommt. Dass sie dabei weiter pendeln musste, hatte mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt zu tun. 2014 war keine leichte Zeit für Banker. Es war schwer, in München, wo ihr Mann arbeitete, einen neuen Job zu bekommen. „Ich wollte das, was ich mir lange in Frankfurt aufgebaut hatte, nicht wegwerfen. Die Chancen, in Teilzeit mit Kind etwas Vergleichbares zu finden, waren gering“, sagt die Bankerin.
Gleichberechtigung? Fehlanzeige!
Traditionell arbeiten in Deutschland vor allem Frauen in Teilzeit. Zwar geht der Trend bei der Fürsorge, der sogenannten Care-Zeit, dahin, dass Männer wie Frauen sich kümmern. Die Reduktion der Arbeitszeit ist jedoch oft ein Tabu. In Zahlen: Betrachtet man Familien mit minderjährigen Kindern, bestätigt sich häufig noch das klassische Familienmodell. Nur sechs Prozent der Männer reduzieren ihre Arbeitszeit, während mehr als 66 Prozent der Frauen Teilzeit wählen. Teilzeit war – trotz vieler Vorteile – lange verbunden mit einfacheren Tätigkeiten. Ein Zusatzverdienst zum Familieneinkommen. Mit dem Stigma behaftet, nicht voll leistungsfähig zu sein.
Aber es gibt Grund zur Hoffnung. Aus deutschen Personalabteilungen heißt es, Teilzeit sei salonfähiger geworden. Wer freudestrahlend ins Büro der Führungskraft stürmt, um seine Arbeitszeit zu reduzieren, sollte ein paar Regeln beachten. Grundsätzlich kann jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer Teilzeit beantragen – auch Minijobber oder Mitarbeitende in Elternzeit. Zumindest wenn der Betrieb mehr als 15 Leute beschäftigt. Gerade in kleinen Steuerberatungen, Arztpraxen oder Handwerksbetrieben ist das oft nicht der Fall. „Auch für größere Arbeitgeber ist Teilzeit herausfordernd. Ein Beispiel: „Ein Meeting ist leichter planbar, wenn ich aus Zeitfenstern von 8.30 bis 17.30 Uhr von Montag bis Freitag wählen kann. Bei mehreren Teilzeitkräften kann es vorkommen, dass nur noch ein einziger Tag zur Verfügung steht“, weiß Personalexpertin Ameli aus der Bankenbranche, die ihren vollen Namen hier lieber nicht preisgeben will. Michaela Krügel hatte es leichter. In der Großbank hatten Kolleginnen das Arbeiten in Teilzeit bereits vorgelebt. Mit ihnen tauschte sie sich aus. „Natürlich traute mir niemand zu, dass ich als Mutter nach Frankfurt pendle“, erinnert sich die 42-Jährige an die Gespräche mit Vorgesetzten. Und Homeoffice stand nicht zur Debatte.
Ihre ursprüngliche Stelle war neu besetzt worden. Doch man bot der studierten Mathematikerin an, Data-Mining-Prozesse für den gesamten Bereich aufzusetzen. „Ich zeigte mich flexibel beim Inhalt. Gleichzeitig kam man meinem Wunsch nach, drei volle Tage zu arbeiten.“ Die Projektarbeit passte perfekt. Personalexpertin Ameli: „Über die letzten Jahre hat sich das Mindset vieler Führungskräfte gewandelt. Frauen und teilweise auch Männer, die trotz Kinder oder Pflege im Beruf bleiben, werden gefördert. Vielfältige Lebensentwürfe und Diversity sind heute keine Fremdworte mehr. Zudem findet ein Change-Prozess statt: Jüngere Mitarbeitende wollen nicht mehr 24/7 verfügbar sein.“
So auch die Unternehmensberaterin Luisa Butzmann aus München. „Neue Arbeitsmodelle finde ich unglaublich spannend“, erzählt die heute 30-Jährige. „Studien aus Island belegen, dass eine Vier-Tage-Woche die Produktivität nicht senkt, sondern sie auf demselben Niveau hält, in vielen Fällen sogar steigert.“ Gleichzeitig suchte sie vor einem Jahr eine Balance zwischen dem hochgetakteten Arbeits- und dem Privatleben. Mit Zeit für Hobbys, Weiterbildung und sich selbst. Dafür reduzierte sie ihre Arbeitszeit temporär auf 80 Prozent. „Mein Counsellor, ein Mentor in Karrierefragen, gab mir den Tipp, meine 32 Stunden nicht über die Woche zu verteilen, sondern mich auf einen Tag festzulegen. So umgeht man die psychologische Falle, täglich doch eine Stunde dranzuhängen. Ich entschied mich für montags, um freitags nicht doch aus Gewohnheit weiterzuarbeiten.“
Sechser im Lotto
„Teilzeit ist so vielfältig wie die Bedürfnisse der Arbeitnehmer:innen. Die einen präferieren einen freien Tag, um Privates zu erledigen. Andere verkürzen ihre Tagesarbeitszeit, um die Kinder um drei von der Kita abzuholen“, erzählt die Personalerin Ameli aus der Praxis und ergänzt: „Arbeitgeber haben eine leichte Tendenz, Mitarbeiter lieber an fünf statt vier Tagen in der Woche zu beschäftigen, damit dringende Themen nicht liegen bleiben.“
Bankerin Michaela gelang nach der zweiten Elternzeit nicht nur ein Modell-, sondern auch ein Arbeitgeberwechsel. Über ihr Netzwerk erhielt sie eine unerwartete Chance in München: als Risikocontrollerin in Teilzeit. Ein Sechser im Lotto. Der neue Chef einer Finanzgesellschaft eines internationalen Konzerns kannte ihre familiäre Situation und ihre Qualifikation. Da er bereits eine Teilzeit-Mutter beschäftigte, wollte er mit zwei Teilzeitkräften eine Vollzeitstelle besetzen. Unterm Strich hieß das für Michaela: eine 55-Prozent-Stelle. Auch hier sei Flexibilität wichtig gewesen. „Es war klar, dass wir alle Wochentage abdecken mussten. Die Kollegin blieb freitags daheim, ich nahm den Montag.“
Auch wenn Arbeitgeber Bedenken haben, eine Stelle auf zwei Kräfte aufzuteilen: Studien belegen, dass Teilzeitangestellte effektiver arbeiten als ihre Vollzeitkolleginnen und -kollegen. „Die Digitalisierung und die vielfältigen Möglichkeiten, remote zu arbeiten, unterstützen das Teilzeitmodell. Weg von Face-Time im Büro, hin zu Inhalten und Ergebnissen. Die sogenannten Deliverables werden wichtiger. Gute Führungskräfte steuern danach. Wer so führt, hat in der Praxis weniger Probleme mit Teilzeit – egal ob Frau oder Mann“, so die Frankfurter Personalexpertin Ameli. Sie weiß: „Flexible Arbeitszeitmodelle helfen bei der Mitarbeitergewinnung und -bindung. Der Kampf um die besten Köpfe wird auch hier entschieden.“ Zumal Arbeitskräfte in vielen Branchen gerade händeringend gesucht werden. „Teilzeit ist ein Geben und Nehmen. Wer Flexibilität fordert, sollte im Gegenzug ebenfalls offen und anpassungsbereit sein. Zum Beispiel, wenn ein Projekt nah an der Deadline ist. Ein Einsatz über das Tagespensum hinaus würde sicher vom ganzen Team begrüßt“, erklärt Ameli. Bei Bankerin Michaela zum Beispiel hatte jede ihre Rolle im Tagesgeschäft. Es funktionierte, weil das Team das Tandem unterstützte. Fehlten am Ende des Teilzeittags etwa notwendige Zahlen, griff ein Vollzeitkollege unter die Arme. Auch die Teilzeitfalle Mehrarbeit ist gelöst: Überstunden werden notiert und genommen. „Sogar eine Doppelspitze kann gelingen“, sagt Personalexpertin Ameli, „Co-Leadership finde ich klasse. Ich kenne Bereichsleiterinnen, die als Doppel gut funktionieren. Doppelt so viele Ideen, Motivation und Potenzial. Schwierig sind Tandems, die uneins sind. Morgens sagt der eine ‚hü!‘, nachmittags der andere ‚hott!‘.“
Gründen in Teilzeit
Kollegiale Fairness ist auch für Nicola Winter, Polizeioberkommissarin aus Wiesbaden, wichtig. In Teilzeit hat sie das nachhaltige Kindermodelabel Westendrebell gegründet. Bei Kollegen und Vorgesetzten sei es gut angekommen, dass sie auf 80 und nicht auf 50 Prozent reduziert habe. So arbeitet Nicola im sogenannten Regeldienst im Notruf und zählt voll für die Gruppenstärke mit. Nur Zusatzdienste leistet sie keine. Aber dafür hat sie einen anspruchsvollen Schichtdienst: Montags beginnt sie um 5 Uhr früh und arbeitet bis 17 Uhr, dienstags wechselt sie in den Nachtdienst von 17 bis 5 Uhr. Es folgen zweieinhalb freie Tage. „Nur so kann ich Familie, Job und Gründung vereinbaren. Aber ich war noch nie der Typ für Nine-to-five“, gibt sie zu.
„In Teilzeit hatte ich endlich Muße, mich mit meiner Geschäftsidee auseinanderzusetzen“, sagt die 30-jährige Nicola lachend. Als sie immer häufiger auf ihre professionellen Kinderoutfits angesprochen wurde, wagte sie das Abenteuer: 2020 gründete sie Westendrebell. Sie wollte mehr als die Mama an der Nähmaschine sein und ließ sich in einem Gründerprogramm coachen. „Ich gründete als Nebentätigkeit oder neudeutsch ,Side-Business‘. Die Einnahmen daraus dürfen deshalb nur einen bestimmten Prozentsatz meines Einkommens ausmachen“, erklärt sie.
Der Antrag an Nicolas Dienstherrn war unkompliziert. Sie musste angeben, wie viele Stunden sie ins Business steckt und was sie voraussichtlich verdienen wird. Aber was gibt man an? „Anfänglich waren es Schätzungen. Vielleicht ein paar 100 Euro für drei kleine Kollektionen. Heute sind es mehrere Tausend“, resümiert Nicola. Ausführlich hatte sich Unternehmensberaterin Butzmann vorbereitet. Den Teilzeitwunsch mit einem Mentor zu challengen, kann sie nur empfehlen. Detailliert setzten sich die beiden mit dem Thema auseinander. Besprachen, woher der Wunsch rührt. Und was die junge Frau mit der Teilzeit erzielen wollte. „Gerade, weil Teilzeit für Kolleg:innen ohne Familie oder Kinder nicht Standard ist. Meine Vier-Tage-Woche wurde zum Pilotprojekt“, sagt Luisa. Auf Anraten des Mentors begrenzte sie den Zeitraum auf sechs Monate, verlängerte später auf neun. Dass die zeitliche Begrenzung rechtlich eine Rückkehr zur Vollzeit garantierte, war ihr damals nicht bewusst : „In der Branche wird mit Vollzeitkräften, die 40 Stunden plus arbeiten, kalkuliert. Ich hätte erwartet, dass es immer einen Weg zurück gibt.“ Mentoren-Tipps gibt sie gern weiter: „Gestalte anfangs einen Übergang. Ziehe Grenzen. Nicht jede Rückfrage ist am freien Tag notwendig. “Verblüffend einfach: ihr Gespräch mit der Führungskraft. Luisas Vorgesetzter, selbst Mitte 30, stand dem Thema offen gegenüber.
Bei aller Flexibilität birgt ein Teilzeitjob auch Nachteile: Ist die Arbeitsbelastung höher als die vereinbarte Stundenzahl, führt das zu Überstunden, die man eigentlich vermeiden wollte. Betroffene berichten auch, bei Beförderungen übergangen zu werden. Ebenso würden die Chancen auf Weiterbildung sinken. Beschneidet man sich also aller Aufstiegschancen? Nicht unbedingt: Wichtig ist, sichtbar zu bleiben.
Auch Luisa hatte Befürchtungen, dass sich ihr Entschluss nachteilig auf ihre Karriere auswirkt: „Gerade weil Beratung extrem performancegetrieben ist. Nimmt man sich raus, wird man vielleicht als weniger ambitioniert angesehen.“ Das sprach sie offen an. Bei der Leitung und dem Team. Sie bat um regelmäßiges Feedback. Die verantwortliche Partnerin und die Projektmanagerin setzten sich für Luisas Idee ein. „Rückblickend hatte die Teilzeit keinen negativen Einfluss. Mein Performance-Rating war sogar sehr gut“, resümiert sie. Luisa bewies, dass es funktionieren kann. Sie gibt aber auch zu: „Komplexer wird es auf lange Sicht bei unterschiedlichen Projekten mit hohem Arbeitspensum.“
Was beschäftigte sie außerdem? „Mit 80 Prozent meines Gehalts in München auszukommen, war herausfordernd. Finanziell unterschätzen auch viele, welchen Einfluss Teilzeit auf die Rente hat. Einen Rentenrechner kann ich nur empfehlen“, rät Luisa.
Faible für Design
Zufrieden ist auch Gründerin Nicola: An den freien Tagen näht sie vormittags und abends. So schafft sie 30 bis 40 Teile pro Monat. Der Polizeijob sei eine gute Basis. Die Kinderkleidung vielleicht die Zukunft. Weil der Betrieb wächst, müsse sie langsam über mehr Teilzeit nachdenken. Weitere 20 Prozent könnten es sein. Die blonde Polizistin kann sich gut vorstellen, im eigenen Ladenlokal zu verkaufen oder Schneiderinnen zu beschäftigen. Wann sie ganz in die Selbstständigkeit springt? Das ist noch ungewiss. „Die Situation im öffentlichen Dienst ist komfortabel. Und ein Gehalt von 2500 Euro muss ich mit Kinderkleidung erst mal verdienen“, rechnet sie vor.
Indes hat Unternehmensberaterin Luisa ein Faible für Interior Design und begann, in ihrer freien Zeit Möbel zu restaurieren. Ihr Meisterstück: eine Fünfzigerjahre-Kommode, die heute im Schlafzimmer steht. Sie hat sich für den Job aber auch in Datenvisualisierung eingearbeitet. Gern hätte sie mehr Zeit zum Nachdenken gehabt. Zum bewussten Nichtstun. „Unsere Gesellschaft zielt darauf ab, permanent etwas zu schaffen, das sich vorweisen lässt. Nichtstun ist negativ behaftet“, sagt sie. Die Teilzeit hingegen sorge für Seelenfrieden und eine stärkere mentale Gesundheit.



