Texel für Foodies: Salzige Entdeckungen im Schafidyll

Schafe auf Texel: Sie sind die natürlichen «Rasenmäher» der Insel
Schafe auf Texel: Sie sind die natürlichen «Rasenmäher» der Insel Foto: Iris Borst/VVV Texel/dpa-tmn
Lammfleisch gehört zu den Spezialitäten der Insel – die kulinarisch aber gerade umdenkt. Mit Leckereien wie Senfkaviar oder «vegetarischen Austern».

Texel (dpa/tmn) – «Texel hat alles, was man braucht», sagt Henk Slikker lakonisch. Vor 36 Jahren zog der Touristenguide auf die Insel. Eine Rückkehr nach «overkant» kam ihm nie in den Sinn. Mit dem «über den Rand» übersetzten Wort bezeichnen die Insulaner unterschiedslos, was jenseits der westfriesischen Insel liegt.

Sein «Alles» demonstriert Henk am liebsten auf seinen Radtouren. Sie führen zu Strand und Dünen, Wäldern, Deichen, Polderwiesen, Heide, Ackerland und Blumenfeldern. 

Diese abwechslungsreiche Landschaft mit viel Weite und Ruhe hat der größten Nordsee-Wattinsel den Ruf eingebracht, ein familienfreundliches, naturnahes Ferienziel zu sein. Viele Schafe gibt es auf dem dünn besiedelten Texel und sieben verstreut liegende Dörfer.

Mehr als «Poffertjes» und «Kibbeling»

Die gemütliche niederländische Schafinsel ist aber dabei, ihr Profil zu schärfen. Über Sommer, Sonne, Strand und die runden, süßen Pfannkuchen und frittierten Fischhäppchen «Poffertjes» und «Kibbeling» hinaus.

Die bei Urlaubern beliebten Kult-Snacks sind wie die mit Gewürzen aus Übersee gebackenen Spekulatius zwar typisch für die niederländische Esskultur. Aber Texel will seine Gäste auch mit lokalen Spezialitäten aus Land und Meer überzeugen.

Warum und wie, das klärt Henk auf der Radtour. Es hat viel zu tun mit der Natur der Insel im Wattenmeer und der Naturverbundenheit der «Tessellaar», wie sich die Insulaner selbst nennen. Egal, ob zugezogen oder einheimisch.

Auf dem fruchtbaren und wasserspeichernden Geschiebelehm vom Ende der Eiszeit konnten die Insulaner ihr Leben mit Schafzucht und Ackerbau einrichten, nachdem sie ihre Rolle als wichtiger Knotenpunkt der niederländischen Seeschifffahrt im 18. Jahrhundert verloren hatten und später auch Wal- und Fischfang sie nicht mehr über Wasser halten konnte.

Ein 400.000 Euro teures Schaf

Schafe bevölkern auch die Salzwiesen und Deiche. Das eigentliche Schafidyll liegt aber um Hoge Berg (Hoher Berg) herum. Enge Feldwege schlängeln sich zwischen geduckten Bauernhöfen und den grünen Weiden, die ab dem 17. Jahrhundert durch «Tuunwallen» eingefriedet wurden. Heute sichern Zäune einige verfallene Wälle zusätzlich. Wo sie fehlen, sieht man sich glatt 300 Jahre zurückversetzt.

Stolz schwingt mit, als Henk von der Züchtung des Texelschafs erzählt, die vor etwa hundert Jahren auf Texel gelang. Das Fleisch dieser Rasse galt bald als das Beste. Heute sind das Texelschaf und seine Kreuzungen weltweit und massenhaft in Neuseeland und Australien verbreitet. Und das mit umgerechnet mehr als 400.000 Euro weltweit teuerste Schaf war ein Texelschaf, allerdings aus Schottland.

Doch auf der Insel ist man überzeugt, dass das beste Fleisch und die dichteste Wolle nur von Schafen kommt, die auf der Insel natürlich gezeugt und geboren wurden, aufwuchsen und geschlachtet wurden. Hier grasen ab Frühjahr rund 20.000 Lämmer mindestens hundert Tage an der Seite ihrer Mütter. In gesunder Seeluft, auf Kräuterwiesen und bei Wind und Wetter.

Das besonders zarte Milchlammfleisch steht im späten Frühjahr traditionell auf den Speisekarten und ist in den Höfen und Metzgereien zu haben. Das aromatischere Frischfleisch gibt es bis zum Herbst.

Schafidylle ist bedroht

Mit ihrer kleinbäuerlichen Schafidylle können die Bauern angesichts der niedrigen Fleischpreise aus der internationalen saisonunabhängigen Massentier- und Stallhaltung ihre Existenz jedoch nicht mehr sichern. Doch ohne die «lebenden Rasenmäher» würde die Kulturlandschaft, in deren Weite es sich beim Radeln so gut auftanken lässt, schnell verbuschen.

Auch die Tradition, dass saisonal frisches Lammfleisch aufgetischt wird, würde abreißen. Das alles würde den Tourismus, die Haupteinnahmequelle der Insel, aufs Spiel setzen.

Interesse daran, das Schafidyll zu erhalten, haben also nicht nur die Bauern selbst. Aber birgt Texels Natur nicht noch mehr «Schätze», die auch den Gästen gefallen können?

So viel scheint klar: «In Zukunft werden wir wohl weniger Schafe haben», sagt Lennart Witte. Der Schafbauer hat seinen 300 Jahre alten Hof am Rand des Inselhauptortes Den Burg als Erlebnisbauernhof ausgebaut, inklusive eines Shops voller handwerklicher Produkte vom Schaf und von der Insel.

In einem offenen Stall zeigen Lennart und sein flinker Hütehund täglich, wie sie die Herden zusammenhalten. Für Touristen, die im Frühjahr beim «Lämmerstreicheln» mit den Lämmchen auf dem Stroh kuscheln, ist heile Welt angesagt.

Andere Betriebe erfinden sich neu mit Hofläden und Übernachtungsangeboten als zweites Standbein. Auf Mitmachbauernhöfen können Inselgäste Käse machen, Brot backen oder Filzen. Ein Schafbauer schnürt einen Wanderrucksack mit Hofprodukten und macht Wandervorschläge. 

Und im «Essbaren Naturgarten von Texel» am Rande von Oosterend, das als das schönste Dorf der Insel gilt, kann man lernen, mit Gänseblümchen, Löwenzahn, Spitzwegerich und anderem Wildkraut den Speiseplan naturnah und gesund zu erweitern. 

Jährliches Kulinarik-Festival

Zwei Radrouten des Vereins «Echt Texels Produkt» führen Touristen zu Erzeugern. Manche der historischen Bauernhöfe stehen Besuchern als Manufakturen offen. Hier kann man erfahren, wie Craftbier, Wein, Whisky oder Gin von der Insel schmeckt.

Origineller sind Produkte, die den Geschmack der Inseln in Zusammenarbeit lokaler Produzenten einfangen. Eine Senfmanufaktur verarbeitet die Senfkörner vom Bauern nebenan mit heimischen Zutaten wie der historischen Nutzpflanze Pferdeeppich oder Meerfenchel zu verschiedenen Senfsorten.

Eine Käserei veredelt ihre Produkte mit Seetang, eine andere reichert den herzhaften, leicht nussigen Schafskäse mit «Umami» an. Die fünfte Geschmacksrichtung nach Süß, Sauer, Salzig und Bitter wird auf Texel aus Algen fermentiert. Immer mehr Restaurants integrieren bewusst Produkte, die auf der Insel gewachsen und hergestellt sind.

Als besondere Spezialität erweist sich der süß-säuerliche Senfkaviar. Die schwarzen Pfefferkörner haben in der Marinade an Schärfe verloren, ihre zart-knackige Konsistenz kommt Fischeiern tatsächlich sehr nahe. Mit Kindern hält man sich aber wohl besser an die Eismanufakturen.

Man findet Restaurants, die den auf Wattböden gedeihenden Queller und anderes salzige Meeresgemüse auf den Tisch bringen oder mit der «vegetarischen Auster» Salzwiesen-Finesse präsentieren. Die leicht fischig schmeckende Austernpflanze wird in einer echten Austernschale aus dem Watt serviert.

Seit 20 Jahren stellen Restaurants ihre Kreationen an Ständen des Kulinarikfestivals «Texel Culinaire» im Zentrum von De Koog zum Probieren bereit. In diesem Jahr vom 26. bis 28. September und mit einem Themenschwerpunkt auf die Zukunft.

Süßes aus dem Salzboden

Im Norden der Insel geht es den Züchtern der Salt Farm Foundation noch um mehr, als den originalen Inselgenuss zu kreieren. Die Stiftung sucht seit etwa 25 Jahren nach Wegen, salztolerante Pflanzen anzubauen. Solche Pflanzen sollen die lokale Ernährung dort sichern, wo der Anstieg des Meeresspiegels die Böden versalzt, so das Ziel der Forscher. Wie sie sich dieser Herausforderung stellen, erzählt Tommy beim Gang durch die Versuchsfelder des Unternehmens WadZilt in Den Hoorn.

Seine Kostproben zeigen, dass Pflanzen von salzigen Böden nicht unbedingt salzig sind und wie das Gemüse schmeckt. Zu den ersten Ergebnissen zählen Kartoffeln, die mit verdünntem Meerwasser bewässert werden und beim Kochen ohne Salzzusatz auskommen.

Karotten, Kohl und Blumenkohl entwickeln in der dosierten Konfrontation mit dem Salz im Boden dagegen feinere Aromen. Und – Überraschung! – Erdbeeren und Tomaten entfalten mehr Süße.

Ob hier gerade Texels nächste Delikatesse mit Weltruhm wächst? So weit will sich hier niemand aus dem Fenster lehnen. Und so weit will auch Touristenführer Henk nicht gehen, für ihn persönlich lassen die heimischen Produkte schon jetzt keine Wünsche offen.

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Texel liegt vier Kilometer vor Den Helder an der Küste der Provinz Nordholland. Die niederländische Insel ist die größte und westlichste Wattinsel in der Nordsee. Neben dem 140 Kilometer Radweg führen 250 Kilometer Wanderwege durch abwechslungsreiche Landschaft. Etwa ein Drittel steht unter Naturschutz. Autos sind auf der Insel erlaubt.

Anreise: Mit der Bahn ist man ab Amsterdam in etwa 60 Minuten in Den Helder, wo die Fähre Richtung Texel abfährt. Auf Texel gibt es eine Buslinie und Rufbusse (Texelhoppers).

Kuninarikfestival: Auf der 20. «Texel Culinair» in De Koog, 26. bis 28. September 2025, bieten Restaurants und Erzeuger der Insel kostengünstig Proben ihres Könnens. Dieses Jahr erlaubt das Motto «Zeitmaschine» alles zwischen der kulinarischen Tradition und Ideen für eine bodenständige Welternährung von morgen.

Ausflüge und Aktivitäten: Viele Ausflüge sind vorab buchbar über die Touristeninformation. Henk Slikker betreibt in Den Burg mit Texel Excursies eine eigene Ausflugsplattform mit seinen Radreisen und Angeboten anderer Anbieter. Lämmerstreicheln und Schäfervorführung kann man auf dem Schafbauernhof Schapenboerderij in Den Burg buchen. Bei WadZilt findet mittwochs um 11.30 Uhr ein einstündiger Rundgang durchs Anbaugebiet salztoleranter Pflanzen statt, mit Kostproben.

Unterkunft: Das Angebot reicht von Hotels und Hostels über Schafstall auf der Wiese, Jurte in den Dünen und Dünencamping bis zu Luxusvillen. Die Touristeninformation betreibt eine Buchungsplattform

Weiterführende Informationen: texel.net/de

Diesen Artikel teilen
Anzeige
Foto: Nina Ruge

Neue Ausgabe!

Lehrerin, TV-Moderatorin, Longevity-Expertin: Nina Ruge hat sich in ihrer Karriere oft neu erfunden. Ihrer Lebenseinstellung ist sie jedoch stets treu geblieben: sein Bestes geben, aus Niederlagen lernen und seinem Leben Sinn und Tiefe geben. Ein Interview über gesundes Altern, rebellische Teenagerphasen und erlernte Sparsamkeit. Ab 12. August im Handel oder im Shop schon heute digital lesen.