Als ich vor ein paar Monaten im Flugzeug saß, konnte ich nicht umhin, in die Zeitung zu schauen, die mein Nachbar las. Eine Schlagzeile habe ich bis heute nicht vergessen: „Die Jugend von heute ist nicht mehr stürmisch“. Das hat mich seinerzeit ziemlich aufgeregt, und heute will ich die Gelegenheit nutzen, dieser These zu widersprechen: Wir sind stürmisch, wir drängen. Aber nicht unbedingt, weil wir wollen. Sondern weil wir müssen. Wir haben keine andere Wahl. Uns rennt die Zeit davon, also müssen wir schnell sein.
Mit uns meine ich die Generation Z. Die jungen Erwachsenen, welche häufig mit gerade einmal 18 fertig mit der Schule hinaus in die Welt geschickt werden und sich nun in ihr beweisen müssen. Wenn man sich für ein Studium entscheidet – was die Mehrheit nach wie vor tut – folgen sechs Semester bis zum Bachelor, der Master danach ist optional. Mit Anfang/Mitte 20 ist man oft schon fertig und steht vor der Gestaltung des Rests seines Lebens.
Es fällt uns schwer, den Weg bis dahin zu genießen. So richtig sprechen tun wir darüber allerdings nicht. Geprägt von Untergangsszenarien und Inflationsspiralen, das unterschwellige Klopfen einer Wiedereinführung der Wehrpflicht ignorierend, igeln wir uns ein. Dass es noch viel gibt, auf das man sich freuen könnte, blenden wir aus. Vielleicht ist das auch ein bisschen schick – die Welt geht sowieso unter, irgendwie ist eh alles egal. Den Glauben daran, etwas erreichen zu können, hat man nur, wenn man der Beste, der Schönste oder der Schlauste ist. Zusätzlich gekrönt von einer Nonchalance im richtigen Maße. Am besten alles gleichzeitig, aber zumindest eines davon. Beispiele, wie man es noch besser machen könnte, gibt es in den sozialen Netzwerken zuhauf. Zudem kann potenziell alles für die Nachwelt festgehalten werden. Also darf man niemals aussehen, als wäre man müde.
Ich frage mich, wo unser Selbstvertrauen geblieben ist. Haben wir weniger Grund zur Hoffnung als unsere Eltern früher? Oder ist uns nur der Applaus von außen zu leise geworden? Ständig schaut man nach links und rechts, und merkt dabei nicht, wenn man gar nicht so schlecht steht. Der schmalgesichtige Geselle Neid gehört in den revolutionsausrufenden studentischen Kellern mittlerweile zum guten Ton. Eine solche strukturelle Unzufriedenheit ist oft nur einen Steinwurf von politischen Extremen entfernt.
Auf der anderen Seite kehrt ein Großteil der jungen Menschen in Deutschland zurück zum Wunsch nach einer Familie und einem Eigenheim. Vor dreißig Jahren klang das für Anfangzwanziger noch wie eine graue, aber verlässliche und ein bisschen spießige Komfortzone im Irgendwann. Für uns hört sich das mehr nach Wunschtraum an. In der aktuellen wirtschaftlichen Lage jedenfalls.
Liebe Leserin, lieber Leser, abseits von unrealistischen Vergleichen im Netz traut sich meine Generation das Leben zu. Ja, ganz im Gegenteil der Schlagzeile aus dem Flugzeug: Wir sind sogar stürmisch. Was wir vielleicht noch lernen müssen, ist das ehrliche Kommunizieren – keiner von uns gewinnt einen Preis dafür, sich mit seinen Sorgen allein durchzubeißen. Verschweigt man ein Gespenst, wird es größer.
In diesem Sinne: Lasst Euch nicht stressen. Fahrt die Ellenbogen mal wieder ein Stück ein. Ich versuche das auch – und bleibe dabei stürmisch.
Alexa Gräf
Redakteurin Courage