Viel Rauch um viel – Saunakultur in Estland

Eda Verooja in Aktion: Sie ist in Estland eine bekannte Rauchsauna-Meisterin.
Rauchsauna-Meisterin Eda Verooja bereitet das Saunaritual vor
Schwitzt Du noch oder schwebst Du schon? Ein echtes Rauchsaunaritual dauert mehrere Stunden und entspannt tiefer als jeder Luxusurlaub. Zu Besuch bei Estlands berühmtester Saunameisterin Eda Verooja.

Võru/Haanja (dpa/tmn) – Es riecht nach Torf, Herbstwald und ein bisschen nach Schinken. Die Wände rußschwarz, der fensterlose Raum dunkel, feucht und heiß. Nur eine winzige Lichtquelle erhellt schemenhaft Eda Veroojas Gesicht, die nackt mit ihrer Trommel auf der Holzbank sitzt.

«Ausatmen», sagt sie und macht ein paar dumpfe Schläge, «jetzt einatmen.» Immer tiefer und langsamer. «Das verbindet uns mit dem Herzschlag der Sauna, mit unseren Ahnen und allen Generationen, die nach uns kommen.» Sie schließt die Augen und summt im Takt. Dann spritzt sie Wasser auf die heißen Steine. Es zischt und dampft, auf der Haut bilden sich erste Tropfen.

Eda Verooja ist die bekannteste Rauchsauna-Meisterin Estlands. Ihre Rauchsauna ist über 100 Jahre alt. Sie liegt malerisch an einem kleinen See auf ihrer Mooska-Farm, umgeben von dichten Wäldern im Südosten des Landes. Hier, in der besonders dünn besiedelten Region Võromaa, wird die Jahrtausende alte Tradition noch gelebt, während sie im Norden des Landes oder bei den finnischen Nachbarn kaum mehr praktiziert wird.

Es ist Sauna-Urform, und wenn man so will, sind die Traditionssaunen in Estland die vielleicht ältesten Wellnesstempel der Welt. Das Besondere: Es gibt, anders als bei den üblichen mit Holz betriebenen Saunen, keinen Schornstein. Der Saunaofen wird acht Stunden vorher angeheizt. In dieser Zeit füllt sich der Raum mit heißem, dichtem Rauch, der die Holzwände tiefschwarz färbt und anschließend durch die Tür oder ein Fenster wieder herausgelassen wird. Die dabei entstehende Hitze ist besonders wohlig und langanhaltend. 

Weder Mann noch Frau

«Jede Rauchsauna hat ihre eigene Seele.» Davon ist Eda überzeugt: «Sie ist das Tor zwischen den Welten, ein spiritueller Ort der Reinigung. In der Rauchsauna verbindest du dich mit dir selbst, legst deine Rollen ab. In ihr bist du weder Frau noch Mann, du hast kein Geschlecht, nur einen Körper.» Bis zu sieben Stunden kann ein Ritual dauern. Diese Transformation, die Eda beschreibt, sie bräuchte Zeit.

Inzwischen rinnt der Schweiß von den nackten Körpern, die Poren sind geöffnet. Eda verteilt zu Wedeln gebundene Wacholderzweige, mit denen sich jeder abklopft. Beginnend beim linken Fuß, hinauf zum Herzen und wieder runter zum rechten Fuß. Die zarten Nadeln kratzen angenehm, die darin enthaltenden ätherischen Öle regen die Durchblutung an und machen die Muskeln weich.

Dann ist es Zeit für die erste Abkühlung. Raus aus der Sauna und mit einem spitzen Schrei hinein in den See, abreiben mit Schnee. Herrlich! Im Nebenraum brennt ein Kamin, es gibt Decken zum Einkuscheln, mit Honig gesüßten Tee und Cranberrys.

Eine Symphonie für die Rauchsauna

Die Rauchsaunakultur ist tief in der estnischen Identität verwurzelt. Sie ist ihre Kirche, ihr Heiligtum, der Ort, an dem alle ihre Masken ablegen. Der Komponist Märt-Matis Lill hat mit seiner Smoke Sauna Symphony, 2019 uraufgeführt, das einzige und erste Musikstück komponiert, das jemals einer Sauna gewidmet wurde.

Kinder wurden dort geboren, die Alten gingen zum Sterben hinein. Sie wird benutzt, um Fleisch darin zu räuchern oder Wolle zu trocknen. In ihr wurde und wird Politik gemacht. Noch heute gehen estnische Staatsoberhäupter und andere Entscheidungsträger gemeinsam in die Sauna, um sich zu beraten. Und es werden weise Entscheidungen getroffen, heißt es.

Wieder zurück bei Eda: Jetzt verteilt die Rauchsauna-Meisterin Asche, Salz und Honig, um die Körper damit abzureiben. Sich selbst liebevolle Streicheleinheiten geben. Wieder Wasser auf Steine, schwitzen, singen, seufzen, atmen. «Nur wenn wir wirklich entspannt sind, können wir uns öffnen», sagt Eda. In einer Rauchsauna kann alles passieren: Weinen, Lachen, Loslassen, Ekstase bis zu Zuständen, die Eda als «Ich-Auflösung» bezeichnet: «Die Sauna gibt Raum für alle Emotionen, die raus wollen.»

Oft entstehen gegen Ende des Rituals intensive Gespräche, schonungslos ehrlich und ohne Tabus. Viele Gäste empfinden das als befreiend. Plötzlich fällt es leicht, über Themen zu sprechen, für die «draußen» kein Platz ist. «Die Rauchsauna kann wie eine kleine Therapie wirken», sagt Eda. Man ist ohnehin nackt, da fällt schnell der letzte Schutzpanzer. Streiten ist in der Sauna übrigens unmöglich. Meinungsverschiedenheiten nehmen einem die Luft zum Atmen. Der Geist der Sauna schickt einen sofort nach draußen.

Eda, Retterin der alten Kultur

Wäre Eda nicht gewesen, die Rauchsaunakultur wäre vielleicht schon in Vergessenheit geraten. Denn viele der mit Holz befeuerten Saunen im Land werden durch elektrisch beheizte Schwitzkästen ersetzt, die für Eda gerade gut genug sind, «um sich die Glieder zu wärmen».

Im Jahr 2007 kam ihr die Idee, ihr Wissen der ganzen Welt zugänglich zu machen. Sie öffnete ihre Sauna für die Öffentlichkeit, gründete eine eigene Saunaschule und erledigte den Papierkram, damit die Unesco die Rauchsauna in ihre Liste des immateriellen Erbes der Menschheit aufnimmt. 2014 war es soweit. Seitdem kommen Menschen von überall her, um diesen ganz besonderen Seins-Zustand zu erleben, der wohl nur in einer echten Rauchsauna möglich ist.

Der ständige Wechsel zwischen Eintauchen ins eiskalte Wasser, Teetrinken am Feuer und der Rückkehr in die dunkle, feuchte Hitze löst das Zeitgefühl auf. Stunden vergehen, bis Eda schließlich die durchwärmten Körper mit getrockneten Lindenblütenzweigen abschlägt. Eine laute, intensive Massage, die klatschend in jede Zelle eindringt. Zurück bleibt eine rosige, babyweiche Haut, ein Kopf frei von Gedanken und ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Eda sagt: «Du gehst als ein anderer Mensch heraus.»

Zumindest der charakteristische Duft einer jeden Rauchsauna umhüllt einen noch tagelang: erdig, torfig, harzig, pur. «Das kostbarste Parfum der Welt», sagen die Esten.

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Estland, gelegen an der Ostsee, ist der nördlichste der drei baltischen Staaten. Nachbarn sind Lettland und Russland. Es ist naturreich – über die Hälfte des Landes ist Wald. 

Beste Reisezeit: Saunafans und Polarlichtjäger kommen im Winter auf ihre Kosten. Zwischen Mai und September herrschen angenehme Temperaturen. 

Anreise: Direktflüge nach Tallinn gibt es ab Berlin, Frankfurt und München. Weiterreise per Mietwagen.

Einreise: Für EU-Bürger reicht der Personalausweis.

Rauchsauna erleben: Ein Tag Rauchsauna auf der Mooska-Farm von Eda Veroojas kostet pauschal 340 Euro, Rituale inklusive. Teilnehmen können bis zu zehn Personen. Auch im Värska Farm Museum, ein historisches Freilichtmuseum in Värska nahe der russischen Grenze, gibt es eine Rauchsauna, die genutzt werden kann, Preis auf Anfrage. Weitere Alternative ist die Sauna-Erlebniswelt-Setomaa im Lammasmäe Holiday Centre in Linnuse.

Unterkunft: Ein charmantes Gästehaus mit guter Küche ist die «Ööbikuoru Villa» in Rõuge, gute zehn Autominuten von der Mooska-Farm entfernt, Übernachtung ab 58 Euro. Das familiengeführte Naturresort «Ilmaveere» in Obinitsa bietet eine eigene Rauchsauna, Übernachtung ab knapp 90 Euro für drei Personen in Einzelbetten, Doppelzimmer ab knapp 100 Euro.

Weitere Infos: visitestonia.de

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