Die promovierte Humanbiologin Sandra Schug startete mit einem Quereinstieg ins Berufsleben und arbeitete zunächst mehrere Jahre für eine britische Investmentbank im Bereich Mergers & Acquisitions. Heute ist sie Head of Site & Headquarters Development Services, Site Management bei Merck KGaA in Darmstadt. Courage wollte von der neuen Generation-CEO-Netzwerkerin unter anderem wissen, wie wichtig internationale Erfahrungen sind, wenn man die Karriereleiter hinaufklettern will.
Courage hat bereits hier über das Netzwerk Generation CEO e.V. und den Auswahlprozess berichtet. Seit September stellen wir alle 13 Top-Managerinnen in einer Serie vor – jeweils am Freitag.
Courage: Frau Schug, Sie verantworten unter anderem die Merck-interne Zeitarbeitsplattform. Was kann man sich darunter vorstellen?
Sandra Schug: Die interne Zeitarbeitsplattform ist eine Personaldrehscheibe mit dem Ziel, vorhandene Ressourcen effizient einzusetzen. Zum Beispiel werden Mitarbeiter, deren Arbeitsplätze durch Transformationen wegfallen, aktiv auf temporäre Arbeitseinsätze im Konzern vermittelt, die auch eine berufliche Weiterentwicklung ermöglichen. Dabei ist das Ziel immer, die Mitarbeiter wieder auf permanente Positionen im Konzern zu platzieren. Die Plattform unterstützt ebenso die dauerhafte Platzierung unserer Ausgebildeten in verschiedenen Einsatzgebieten. So können wir mit internen Ressourcen auf schwankende Arbeitsbelastungen flexibel reagieren, den Einsatz externer Zeitarbeitskräfte aktiver steuern und zum Teil auch reduzieren.
Diese Flexibilität ist vor allem an einem großen Standort wie dem Hauptsitz von Merck in Darmstadt von Vorteil. Hier herrscht ein komplexes Miteinander von Produktion, Forschung, aber auch Bürofunktionen und dies über drei sehr unterschiedliche Geschäftsfelder hinweg. So können wir bei sich verändernden Rahmenbedingungen agil agieren, um zum Beispiel die Auslastung von Produktionsbetrieben zu gewährleisten.
Sie haben drei Jahre als Leiterin des Inhouse Consulting Büros in Boston, USA, gearbeitet. Wie wichtig sind internationale Erfahrungen, wenn man die Karriereleiter hochklettern will?
Es kommt immer auf den Kontext an – es gibt mehr als genug Beispiele, in denen Karrieren auch ohne Auslandseinsätze herausragend verlaufen. Ich persönlich war jedoch schon immer international orientiert, habe während meiner Doktorarbeit bereits mehrmonatige Forschungsaufenthalte in Frankreich und Singapur absolviert. Während des Executive MBA standen Auslandsseminare in Norwegen, China, Singapur und Frankreich auf dem Programm. Merck ist ein global tätiger Wissenschafts- und Technologiekonzern, d.h. selbst wenn man „nur“ am Headquarter in Darmstadt tätig ist, ist man immer in einem globalen Kontext tätig. Für meine weitere Entwicklung war vor allem der Blick von außen auf einen deutschen Mutterkonzern sehr augenöffnend. Die Außenwahrnehmung ist von der inneren fundamental unterschiedlich – ein hochinteressantes und lehrreiches Spannungsfeld. Generell sind vor allem bei globalen Konzernen internationale Erfahrungen durchaus eine wichtige Voraussetzung, um sich intern erfolgreich weiterzuentwickeln.
Welche konkreten Skills haben Sie in den USA gelernt, die Ihnen beim Aufstieg später geholfen haben?
Sich beruflich in einem anderen Kontext, einer anderen Arbeitskultur zu beweisen, fordert Mut und Neugierde. Die Zeit in den USA hat mich als Führungskraft sehr geprägt – im Zentrum stand vor allem eine interkulturelle Führungskompetenz. Die USA sind ein kultureller Melting Pot, im Zentrum stehen oft Themen rund um „Diversity & Inclusion“. Ich durfte diverse Teams führen, die neben US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen auch weitere Nationalitäten umfassten. Sie stammten unter anderem aus China, Indien und Lateinamerika. Da heißt es, sein Führungsverhalten im neuen Kontext ganz klar zu hinterfragen. Neben dem erweiterten globalen Netzwerk und natürlich den verbesserten Sprachkenntnissen, habe ich auch ein erweitertes Verständnis für internationale Märkte und internationale Rechts- und Regulierungsstandards mitgenommen.
Die Zeit hat mir viel Selbstvertrauen gegeben, in einem ungewohnten Umfeld erfolgreich zu sein und es einfach zu versuchen. Auch als Familie agil zu sein, sich auf ein neues Land, neue Schule, neue Freunde usw. einzulassen, war eine unglaublich bereichernde Erfahrung – Flexibilität und Resilienz sind hier die Stichworte.
„Wir haben Ihnen die Geschäftsreise nach Frankreich nicht angeboten, weil wir dachten, dass Sie Ihre Kinder nicht allein lassen möchten.“ Ist das ein Mythos?
Leider sind mir ähnliche Situationen bereits mehrfach begegnet, vor allem im Zusammenhang mit längeren Auslandseinsätzen, in denen es Annahmen gab, die man als diskriminierend betrachten muss. Oft betrifft das weibliche Mitarbeitende – aber nicht nur. Ich musste leider schon Diskussionen erleben, ob Männer mit drei kleinen Kindern zu Hause wirklich für das Talentförderungsprogramm geeignet sind. Hier werden den Mitarbeitenden aufgrund von Annahmen über ihre familiäre Situation Geschäftsreisen, Auslandsaufenthalte oder andere berufliche Möglichkeiten vorenthalten. Solche Entscheidungen sollten ausschließlich auf beruflichen Qualifikationen und der Zustimmung der Mitarbeitenden basieren, nicht auf Vermutungen über persönliche Umstände. Diese Art von Vorurteilen kann zu ungleichen Chancen am Arbeitsplatz führen und gehören immer sofort adressiert, wenn man sie sieht oder gar erlebt. Denn solche Annahmen sind ein absolutes no-go!
Es herrschen raues Klima und Einsamkeit in Führungspositionen! Stimmen Sie dem zu?
Teils teils – das kann ich aus meiner persönlichen Erfahrung nicht ganz bestätigen, aber etwas Wahres ist da schon dran. Als Führungskraft ist man verschiedensten Herausforderungen ausgesetzt, die es voranzutreiben und zu lösen gilt – da ist viel Druck im Kessel, und es gibt auch hohe Erwartungshaltungen: von anderen, aber auch an sich selbst. Da kann der Ton schon „rauer“ werden, aber das sollte nicht grundsätzlich für das Arbeitsklima und den Umgang miteinander gelten. Wenn der Ton dauerhaft rau ist, dann ist das ein kulturelles Problem in der Abteilung oder dem Unternehmen. Druck von oben ungefiltert nach unten weitergeben, toxisches Führungsverhalten, das sich in die Organisation überträgt, aber auch Einzelkämpfertum und schlechte Kommunikation sind ein Nährboden für rauen Umgang und oft Ausdruck einer schlecht gelebten Unternehmenskultur.
Tatsächlich kann ich das Thema rund um Einsamkeit gut nachvollziehen – die Distanz zu Kolleginnen, Kollegen und Mitarbeitenden wächst mit steigender Hierarchie, während der Kreis an Vertrauenspersonen oft schrumpft. Es gibt Situationen, da verstummen Gespräche, wenn man dazustößt – die „Chefin“ ist ja da. Das führt zu einem Mangel an ehrlichem Feedback. Oft erreichen einen nur gefilterte Rückmeldungen, was zu verzerrten Wahrnehmungen führen kann – gar nicht gut für eine erfolgreiche Zusammenarbeit!
Auch das Thema „Führungsstärke“ spielt hier für mich eine große Rolle: Als Führungskraft kämpft man oft dieselben Kämpfe wie Kolleginnen und Kollegen, aber teilweise herrscht der Irrglaube, man kann oder soll keine Verletzlichkeit zeigen, sondern muss Stärke demonstrieren. Da gehen die menschliche Seite und die Empathie häufig verloren, und das schafft weitere Distanz zum Team.
Viele Frauen beklagen, dass sie nach der Elternzeit den Anschluss im Job verlieren. Wie bleibt man während der Elternzeit in Kontakt zu seinem Job, und was kann das Unternehmen dazu beitragen?
Das ist tatsächlich eine große Herausforderung. Während Väter meist nur kürzere Auszeiten haben, heißt es für Mütter oft, ein Jahr und mehr raus zu sein aus dem Job. Und das Arbeitsleben geht ja munter weiter: Stellen und Abteilungen transformieren, Arbeitsabläufe ändern sich rasant, Digitalisierung und KI lassen grüßen. Kontakt halten ist hier das A und O und benötigt Einsatz von beiden Seiten.
Ich kann Mitarbeiterinnen in Elternzeit nur ermutigen, den Kontakt nicht abreißen zu lassen, sondern aktiv am Ball zu bleiben. Das hilft auch zur persönlichen Standortbestimmung: Was tut sich in meiner Abteilung oder auch generell in der Firma? Wie entwickeln sich Themen weiter? Möchte ich wieder zurück in die alte Position bzw. in die alte Aufgabe oder möchte ich etwas verändern mit dem Wiedereinstieg? Desto früher man hier in den Dialog geht, desto mehr kann man die Rückkehr bewusst und aktiv mitgestalten. Der offene Dialog ist auch für die verantwortliche Führungskraft sehr wertvoll – denn das gibt Planungssicherheit auf beiden Seiten.
Und auch das Unternehmen ist hier gefragt, denn zu oft heißt es: „Aus den Augen aus dem Sinn“. Ein Jahr ist schnell um, und auf einmal steht ein(e) Elternzeitrückkehrer(in) auf der Matte, und man hat sich darauf viel zu spät oder gar nicht eingestellt. Als Unternehmen sollte man darauf achten, Möglichkeiten zu bieten, mit dem Team und den Entwicklungen in Kontakt zu bleiben. Zum Beispiel Kontaktlisten so zu aktualisieren, dass Mitarbeitende auch während der Elternzeit (wenn gewünscht) Newsletter und Informationen erhalten. Oder Angebote machen, an Abteilungsfeiern und anderen Veranstaltungen teilzunehmen. Das ist eine großartige Möglichkeit, persönlich in Kontakt zu bleiben. Dabei kann es helfen, „Unternehmenspaten” oder eine zuständige Person zu nominieren, die dafür sorgt, dass Einladungen zu Feiern und Teamveranstaltungen mündlich oder schriftlich an die Mitarbeiter in Elternzeit weitergeleitet werden. Auch wenn es dann so weit ist und der Wiedereinstieg ansteht, kann ein durchdachtes Onboarding bei der Rückkehr helfen, um Wissenslücken zu schließen und wieder anzukommen.
Zur Person: Als promovierte Humanbiologin mit Schwerpunkt Virologie startete Sandra Schug mit einem Quereinstieg ins Berufsleben und arbeitete mehrere Jahre für eine britische Investmentbank im Bereich Mergers & Acquisitions. Nach einem berufsbegleitenden Executive MBA an der Mannheim Business School / ESSEC Business School Paris wechselte sie zum Wissenschafts- und Technologieunternehmen Merck KGaA. Dort war sie in verschiedenen Führungspositionen tätig, zunächst als Leiterin des globalen Nachwuchsführungskräfteprogrammes im Bereich Inhouse Consulting, dann als Leiterin der globalen Konzernstrategie und später als Leiterin des Inhouse Consulting Büros in Boston, USA. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland übernahm sie die Leitung der Standortentwicklung am Standort Darmstadt. Hier verantwortet sie neben der Standortstrategie mit Großinvestitionen im Labor- und Bürobereich auch das Sponsoring von Merck in der Region sowie die Umfeldkommunikation und die Merck-interne Zeitarbeitsplattform.